Kapitel 18

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„Gib mir die Waffe, Rita", sagte er bestimmt, aber sanft. „Komm, ich höre schon die Polizei". 

Mit jedem Schritt den er näher zu mir machte, wurde mir klar, was ich hier eigentlich tat. Ich hielt eine geladene Waffe auf einen wehrlosen Mann, der kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren. Doktor Seehauser schien mir in dem Moment wie ein Spiegel. Ich hörte mein eigenes Schluchzen, als ich an seinen Augen hängen blieb. Würde ich jetzt den Abzug drücken, wäre die Ärztin, die, die eigentlich Leben retten möchte, gestorben. Ich wollte mit einem moralischen Heiligenschein durchs Leben gehen, wie es Herr Seehauser tat. Ich wollte die Heldin in meinem eigenen Leben sein und nicht der Bösewicht und ich sah in seinen Augen das Wissen, dass ich nicht als Bösewicht geboren war.

Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich das Gefühl, er wüsste genau was in mir vorging. Ich spürte wie sich seine warmen Finger um mein Handgelenk legten.

„Lass es gut sein, Rita", sagte er und senkte behutsam meine Hand. „Er wird dir nichts mehr tun"

Vorsichtig löste er die Pistole aus meinen Fingern und ich konnte hören wie er erleichtert ausatmete. Doktor Seehauser entlud die Waffe und lies das Magazin in seiner Kitteltasche verschwinden. 

Die ersten Tränen flossen mir über die Wangen, als ich das Blaulicht der Polizeiautos über Radans bewusstloses Gesicht leuchten sah. Nicht auszudenken, was er meinetwegen anstellen hätte können. Ich hatte so viele Menschen in Gefahr gebracht. Das ganze Krankenhaus hätte in einem einzigen Blutbad enden können. Immer noch hatte ich das Gefühl, er hätte seine dreckigen Hände um mich geschlungen und würde mich mit seinem Verlangen quälen. Was war mit den anderen Mädchen passiert? Seit Jahren wurden sie von solchen Männern wie ihm entführt und missbraucht, ehe Jakov sie an die reichen Männer Kosovos verkaufte.

Die Wut durchfuhr mich wie Stromschläge. Ich trat auf Radan zu und als mein Blick auf sein Gesicht fiel, konnte ich nicht anders, als ihm einen Tritt in die Rippen zu verpassen. Der ganze Druck in mir schien sich zu verflüchtigen.

„Fahr zur Hölle, Radan", brüllte ich auf albanisch und verpasste ihm einen weiteren Tritt. „Möge dir genau das widerfahren, was ihr all den jungen Mädchen antut"

Fast fühlte es sich an, als würde ich Laza verprügeln. Ich wollte ihm so weh tun, wie er es mir die letzte Zeit getan hatte, doch bevor ich weiter auf ihn einschlagen konnte, schlang Herr Seehauser die Arme um mich.

„Rita, hör auf! Es ist vorbei, er kann es nicht einmal spüren. Du brichst ihm noch die Rippen", rief er. Er wollte mich von ihm wegzerren, doch ich wehrte mich und strampelte weiter mit den Beinen, nur um Radan weiter in den Bauch zu schlagen. "Rita, im Schrank sind noch zwei Ampullen Fenta. Ich will nicht davon Gebrauch machen"

Nicht lange her, hatte ich mir vorgenommen, nicht vor ihm zu weinen, doch nun stand ich da und konnte vor lauter Schluchzen meinen Atem kaum fassen. Ich verlor die Kraft in meinen wackeligen Knien und brach am kalten Boden in Tränen aus. Ich fühlte mich wie ein Häufchen Elend und presste die Hände in mein nasses Gesicht. 

"Es ist vorbei, Rita", sagte er und strich mir über den Rücken. 

Er zog mich zu sich hoch und hielt mich fest. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, als er mich so umarmte und meinen Kopf auf seine Brust drückte.

„Beruhige dich", flüsterte er, als die Polizisten die Tür des Foyers stürmten. 

Ich konnte mich nicht erinnern, mich jemals so geborgen gefühlt zu haben. Seine heiße Hand strich sanft über mein Haar, dabei streiften seine Fingerkuppen meine Wange und wischten mir die Tränen aus dem Gesicht. Ich konnte sein Herz schlagen hören, als ich meine Stirn in seiner Brust vergrub und meine kalten Händen in seinen Kittel klammerte. 

Es war das erste Mal, dass ich einen Mann umarmte, ohne befürchten zu müssen, er würde mir etwas antun. Ob ich es morgen noch  tun könnte, wusste ich nicht, aber jetzt tat es mir unheimlich gut. 

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Irgendwelche Ideen, wie es weitergehen könnte? Heute kommt wahrscheinlich noch ein Kapitel:) 

By the way...mögt ihr/kennt ihr BTS? Ich liebe es zu schreiben während ich ihre Songs höre! 

Adieu, eurer Sinusrhythmus:)

Im Namen des Kanun (Frederik Seehauser/Klinik am Südring)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt