Am nächsten Morgen war es nicht Newt, der mich weckte, sondern der Lärm der sich öffnenden Mauern. Als ich mich im Bett umdrehte, sah ich, dass Newts Schlafplatz auf dem Boden leer war. Er war ohne mich aufgestanden und hatte mich weiterschlafen lassen.
Zwar wäre ich am liebsten liegen geblieben, aber da ich sonst noch mehr Probleme kriegen würde, stand ich auf, zog mich an und ging zum Frühstück, das ich allein verdrückte. Wahrscheinlich kam es mir nur so vor, aber irgendwie tuschelten alle über irgendetwas, wovon ich keine Ahnung hatte und die Stimmung war auch etwas angespannt. Von Newt war allerding weit und breit keine Spur zusehen; er war wie vom Erdboden verschluckt.
Auf einmal stupste mich ein Junge an, den ich nicht kannte, an und sagte: „Du arbeitest heute deinen ersten Tag bei uns, den Schlitzern."
„Ah, okay", sagte ich wenig begeistert, „du bist dann der Hüter von den Schlitzern?"
„Ne, Winston ist der Hüter. Aber der kann gerade nicht; ist doch ne Versammlung grad."
„Versammlung?", fragte ich verwirrt, da ich nicht einmal den Grund zur Versammlung kannte, „Was ist denn passiert?"
„Weiß keiner so genau – ist ja auch egal. Komm jetzt mit. Thomas, der andere Frischling, ist heute auch bei uns Schlitzern."
Etwas wiederwillig lief ich dem Jungen nach, der im Laufschritt zum Blutshaus ging. Das war jetzt mit Abstand das Letzte, worauf ich Lust hatte. Ich – als Vegetarierin – im Schlachthaus, wo ich nichts darüber erfahren würde, warum eine Versammlung einberufen wurde. Warum musste ich überhaupt in jeden Beruf hineinschauen, selbst wenn ich jetzt schon wusste, dass er mich nicht interessierte? Ich wollte nichts außer Läuferin werden!
Von weitem erkannte ich Thomas, der vor dem Blutshaus gegen die Wand gelehnt wartete und auf den Boden starrte. Der Junge, der auch ein Schlitzer war – wahrscheinlich der Stellvertreter des Hüters – begrüßte ihn knapp, bevor er uns beide Neue in das Haus hineinführte.
Schon beim ersten Anblick von einer halbierten Kuh, die an einer Stange an der Decke aufgehangen war, spürte ich wie es in mir hochkam. Ich hatte nicht einmal eine klitzekleine Idee, wie ich den Tag hier überleben sollte.
„Du da", der Schlitzer, dessen Name ich immer noch nicht kannte, deute auf Thomas, „kannst dir ein Messer nehmen; ich bringe gleich ein totes Schwein rein, dass könnt ihr dann anfangen auseinander zu nehmen."
Ich warf einen Blick auf Thomas, der nicht weniger angewidert aussah wie ich. Hoffentlich würde mit ihm zusammen der Tag nicht so schlimm werden. Als der Schlitzer aus der Tür ging, um das Schwein zu holen, wurde es still in dem Haus. Es war keine dieser angenehmen Stillen. Es war eine angespannte Stille zwischen uns. Zwar interessierte es mich, was gestern auf dem Schädelfeld passiert war, jedoch konnte ich Thomas wohl kaum einfach so darauf ansprechen. Bei seinem Anblick tat mir das Herz weh: Er schaute einfach bedröppelt auf den Boden und spielte mit seinen Fingern, total in seinen Gedanken verloren.
„Das gestern mit Ben – es tut mir leid", sagte ich dann schließlich, „ich kann mir nur vorstellen wie du dich fühlen musst."
„Es muss dir nicht leid tun", entgegnete er mit kratziger Stimme und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, „wir beide können nichts dafür."
Wieder trat eine unangenehme Stille ein, da ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Es war eine ziemlich dumme Situation, die dann aber von den Schlitzer unterbrochen wurde, der das tote Tier in das Haus trug und auf einen Tisch ablegte.
Die nächsten Stunden bis zur Mittagspause hätten nicht schlimmer sein können: Als Winston, der Hüter – er war ziemlich klein, aber kräftig und relativ still -, ein paar Minuten später angekommen war, erklärte uns dieser bis ins letzte Detail, wie man ein Schwein auseinander nahm und zeigte es uns auch am Modell. Ich konnte gar nicht in Worte fassen wie widerlich ich das fand – Thomas war es seinen Blick zufolge anscheinend genauso gegangen.
Wie Winston einfach so als wäre es nichts die Innereien des Schweins rausriss und in einen Eimer schmiss, der dafür bereit stand, war mehr als nur abschreckend für den Beruf des Schlitzers. Ich konnte mir nicht vorstellen jemals wieder dieser Bilder aus meinem Kopf zu kriegen.
„Ich glaube ich mutiere zum Vegetarier", meinte Thomas, als wir in der Mittagspause zum Mittagessen liefen, auf das ich so gar keinen Appetit hatte, „das war wahrscheinlich das Widerlichste, das ich jemals gesehen hab. Wie er das Schwein auseinander genommen hat... Einfach nur widerlich...."
„Na ja, jetzt wissen wir wenigstens, dass wir keine Schlitzer werden wollen", entgegnete ich und versuchte damit irgendetwas Positives an der ganzen Situation zu finden. Tatsächlich lachte Thomas sogar leise darüber, was mich freute, da ihn die ganze Situation mit Ben mitunter am meisten belastete.
„Hey Leute", schrie auf einmal jemand und aus einer Ecke kam Chuck gerannt, der uns enthusiastisch zuwinkte. Zwar war der Junge ja sicherlich ganz nett, trotzdem wollte ich gerade lieber mit Newt reden, den ich den ganzen Tag noch nicht gesehen hatte.
„Ich glaubt nicht, was Newt und Alby gerade verkündet haben!", japste der Junge und hielt sich seine Seite, die wahrscheinlich vom Rennen stach, außer Atem.
„Was ist denn passiert?", fragte Thomas und zog gespannt seine Augenbrauen hoch.
„Es ist wegen Ben – er – er ist doch nicht tot. Die Eintüter wollten ihn abholen, aber er lebt noch! Der Pfeil hat sein Gehirn verfehlt."
„Und was jetzt? Was werden sie mit ihm machen?", wolle ich wissen, wobei ich ahnte, dass es nichts Gutes sein konnte.
„Die Sanis haben ihn zusammengeflickt und ihn dann sofort in den Bau geworfen und eine Versammlung abgehalten." Sicherlich war Newt deshalb nicht dagewesen.
„Und was kam da raus? Bei der Versammlung?"
„Na was wohl – sie werden ihn verbahnen – der Strunk wünscht sich sicher, dass der Pfeil sein Gehirn zermatscht hätte."
„Was heißt verbannen?", fragten Thomas und ich aus einem Mund. Aber Chuck antwortete nicht – und das war Antwort genug, um zu wissen, dass es etwas Schreckliches sein musste. Sofort sprintete ich die letzten rund hundert Meter zu den Picknicktischen, an denen die Lichter schon ihr Mittagessen verdrückten. Es war dieselbe seltsame Stimmung wie beim Frühstück, nur dass es für mich diesmal mehr Sinn ergab.
Nachdem ich an jeden Tisch nach Newt abgesucht hatte, erkannte ich ihn dann schließlich doch. Er saß ganz allein an einen Tisch, seinen Kopf auf seine linke Hand gelehnt und mit der anderen stocherte er im Essen rum.
„Da bist du ja!", meinte ich erleichtert, als ich meine Beine über die Bank schwang, „ist alles klar bei dir? Du siehst irgendwie – naja, irgendwie niedergeschlagen aus. Ist es wegen Ben?"
Der Junge hob seinen Blick von seinem Teller und schaute mir direkt in die Augen, als er sagte: „Weißt du, er hat die Regeln gebrochen, aber – aber wirklich schuldig ist er ja nicht. Er war krank. Trotzdem hat er die Regeln gebrochen. Es ist – es ist wie ein-"
„Dilemma", beendete ich seinen Satz, „ich verstehe was du meinst. Ist wirklich eine schwierige Situation. Aber vielleicht wird ihn seine Strafe einen Denkzettel geben."
Newt lachte, aber es war ein Lachen ohne jeglichen Humor.
„Glaub mir", meinte er und schüttelte den Kopf während er redet, „dass dieser Denkzettel genug für ihn ist."
„Er wird verbannt, stimmt's?"
Der Junge nickte.
„Was heißt das?", wollte ich wissen. Eine Vorahnung machte sich in mir breit, aber meine innerliche Moral hoffte inständig, dass die Jungs das niemals machen würden.
Newts Blick schweifte zu einem der großen Tore im Labyrinth, als er – mit einer seltsamen Ehrfurcht in der Stimme - sagte: „Du siehst es heute Abend noch."
„Ihr schickt ihn über Nacht ins Labyrinth, oder? Da werden er von diesen Dinger geholter – Griewer oder wie die heißen. Ihr bringt Ben um."
„Wir überlassen ihn dem Labyrinth", meinte er und damit war mir klar, dass ich richtig mit meiner Vermutung lag. Ich wusste nicht, wie ich mich fühlte – was ich fühlte. War es Mitleid? War es Schock über die Grausamkeit der Lichter?
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Alles, was wir geben mussten ~Maze Runner FF
FanfictionDas einzige, woran sich Tori erinnern kann, als sie auf der Lichtung aufwacht, ist ihr Name. Keine Gesichter aus ihrer Vergangenheit, keine Bilder ihrer Freunde oder Familie - nichts. Schon bald erfährt sie, dass es allen auf der Lichtung genau glei...