Harry:
Barfuss tappe ich durch den Flur und reibe mir verschlafen über die Augen. Ich habe heute Nacht mal wieder kaum ein Auge zugetan. Aber obwohl mein Kopf schmerzt bis zum zerbersten, bin ich voller Tatendrang. Seit unserer Trennung und meinem Ausraster habe ich mich dermassen in die Arbeit gestürzt, dass ich gar keine Zeit zum Nachdenken hatte. Und wenn ich abends trotzdem kein Auge zubekommen habe, habe ich einfach so lange Liegestütze oder andere Übungen, die mir mein personal- Trainer gegeben hat gemacht, bis mir buchstäblich die Augen zugefallen sind. Manchmal bin ich sogar vor lauter Erschöpfung auf dem Teppichboden eingeschlafen...
Jeden Morgen ist es schlimmer für mich, aufzustehen und so zu tun, als würde es mir gut gehen. Aber es ist jetzt schon Wochen her und ich habe keinen Bock, den Jungs die Ohren vollzuheulen und sie mit meiner schlechten Laune zu nerven.
Leider scheinen sie immer noch Angst vor einem erneuten Ausbruch meinerseits zu haben. Jedenfalls gehen sie mir meistens aus dem Weg, was mich ehrlich gesagt ziemlich verletzt, denn irgendwie scheint unser Vertrauen und unsere offene, lockere Art miteinander zu reden, kaputt gegangen zu sein. Ausserdem werde ich das Gefühl nicht los, dass sie schon seit Tagen über mich reden.
Ständig erwische ich sie dabei, wie sie die Köpfe zusammenstecken und miteinander tuscheln, wie die Waschweiber, aber wenn ich dazu komme, hüllen sich alle in ein geheimnisvolles Schweigen und gucken mich mit Unschuldsmienen an. Das alles geht mir so langsam gehörig auf die Nerven...
Aber leider scheint es auch heute morgen nicht anders zu sein, denn als ich in die Küche komme, sind sie noch damit beschäftigt über irgendwas total Spannendes zu diskutieren. Louis hat sich über den halben Tisch gebeugt und flüstert Niall gerade etwas zu, doch in dem Moment, als ich den Raum betrete, lässt er sich zurück in seinen Stuhl sinken und hält mitten im Satz inne. Die Jungs sehen mich aus grossen Augen an und als ich sie fragend anstarre, sagt Naill verdächtig gutgelaunt: „Hey Haz, gut geschlafen?“
Was soll der Bullshit? Niall weiss ganz genau, dass ich Probleme mit dem Schlafen habe...
„Mhm.“, grunze ich also nur miesgelaunt in ihre Richtung und schnappe mit einen Apfel aus der Obstschale. „Lasst euch nicht bei eurem netten Morgenkaffeekränzchen stören. Ich geh laufen.“ Und mit diesen Worten wende ich mich beleidigt wieder Richtung Küchentür.
Aber Zayn ruft mich zurück: „Harry. Ähm... Wir... naja, wir dachten, wir könnten mal wieder was zusammen unternehmen.“, stottert er. Haben diese Idioten etwa immer noch nicht gecheckt, dass ich keinen Bock habe, feiern zu gehen und einen auf gute Laune zu machen?!
Anscheinend nicht, also wende ich mich mit einem genervten Ausatmen wieder den Jungs zu und erkläre so ruhig wie nur möglich: „Ich habe keine Lust auszugehen, Zayn.“ Aber er gibt nicht locker: „Diesmal ist es etwas anderes.“
„Ja, es ist voll cool, Mann. Der Oberhammer.“, mischt sich Lou ein und schenkt mir ein begeistertes Louis- Grinsen der Extraklasse. Aber leider weiss ich aus Erfahrung, dass dieses Grinsen rein gar nichts Gutes verheisst. Gerade will ich protestieren, da mischt sich auch Niall ein. Meine Güte, was ist bloss los mit ihnen? Woher kommt dieser Enthusiasmus, mich für etwas zu begeistern, von dem sie ohnehin wissen, dass ich es hassen werde?
„Halt dich fest, Harry. Wir haben Konzertkarten für Kodaline! Ein zweihundert Leute Konzert- der Wahnsinn, oder nicht?“, kreischt er begeistert. „Wow, macht mal langsam. Ihr müsst euch nicht gleich einpissen, es ist nur Kodaline.“, antworte ich genervt, aber die Jungs scheinen da ganz anderer Meinung.
„Kodaline ist klasse!“, sagt Lou und grinst noch breiter.
„Ja, Kodaline ist toll.“, stimmt Zayn ihm zu und sogar Liam schwärmt auf einmal.
„Kodaline ist richtig, richtig toll.“
Und die vier Vollidioten grinsen mich an, wie Honigkuchenpferde und ich bin einfach nur... masslos überfordert.
„Seit wann, zum Geier, steht ihr vier auf Kodaline?“, frage ich dann halb entsetzt, halb belustigt über so viel Freude und mustere die Jungs einen nach dem anderen verwirrt.
Aber Niall zuckt nur die Schultern: „Du stehst doch auch auf Kodaline. Ich glaube sogar zu wissen, dass es deine Lieblingsband ist.“
Ja. Waren sie zumindest. Bevor...
Bevor ich jeden verdammten Nachmittag mit ihr im Bett lag, ihr fünf Fragen gestellt, sie geküsst und mich zu den sanften Klängen meiner Lieblingsband in ihren Augen verloren habe. Vor ein paar Monaten wäre ich komplett ausgerastet, wenn ich Karten für so ein Konzert gehabt hätte, aber jetzt kann ich mir nichts schlimmeres vorstellen, als zu diesem Konzert zu gehen. Überhaupt der Gedanke, auch nur zu irgendeinem X-bliebigen Konzert zu gehen, tut weh.
Ich habe seit der Trennung keine Musik mehr gehört. Selbst das Singen hat wehgetan. Es ist einfach... ich entdecke sie in jedem Lied, das ich höre wieder. Das mag wahrscheinlich bescheuert klingen, aber sie war meine Musik. Mein Beat...
Also schüttele ich nur den Kopf und antworte heftiger, als eigentlich beabsichtigt: „Ohne mich!“ Und mit diesen Worten sinken die Mundwinkel der Vier in perfekter Synchronität.
„Aber Harry, du bekommst so eine Chance vielleicht nie wieder!“, sagt Liam. Und Louis sieht mich geschockt an: „Das ist deine Lieblingband, Mann. Komm schon...“ Ich balle die Hände zu Fäusten: „ich kann diese Scheissband auf den Tod nicht austehen.“, zische ich wütend und verlasse in windeseile die Küche. Ohne die Jungs auch nur noch etwas sagen zu lassen, knalle ich die Tür hinter mir zu. Und während ich eilig in meine Turnschuhe schlüpfe, höre ich Zayn hinter der geschlossenen Tür flüstern: „Das hat er bei ihr auch gesagt.“
Natürlich habe ich das auch bei ihr gesagt. Das ist sie nicht ausstehen kann und alles. Dabei hat sie mir mehr bedeutet, als irgendjemand sonst in meinem Leben... Und bei dem Gedanken an sie und an alles, was ich falsch gemacht habe, treten mir Tränen in die Augen. Wütend wische ich sie weg. Ich darf jetzt nicht schon wieder schwach sein. Schau nach vorne, Harry! Entschlossen stapfe ich zur Haustür hinaus und balle die Hände zu Fäusten.
Ich werde einfach so lange rennen, bis ich nichts mehr spüre. Nur noch den brennenden Atem in meinen Lungen und den Schmerz in meiner Seite, denke ich grimmig und laufe los, ohne mich noch einmal zu unserem Haus umzudrehen.
Nach einer Stunde komme ich vollkommen ausser Atem und total verschwitzt wieder Zuhause an. Natürlich konnte ich verdammt nochmal die ganze Zeit an nichts anderes denken, als an sie und je schneller ich lief, desto schlimmer wurde es... Und irgendwann habe ich dann einfach aufgegeben, was meine Laune auf ihren Tiefpunkt gebracht hat. Ich bekomme auch rein gar nichts auf die Reihe. Nicht mal joggen...
Schnurstracks laufe ich durch den Flur, auf das Badezimmer zu. Es ist auf einmal ziemlich still im Haus, wahrscheinlich sind die Jungs zu Nandos gefahren oder so. Das tun sie öfters an freien Tagen... Naja, ist mir auch egal, denke ich trotzig. Sollen sie doch alle machen, was sie wollen...
Ich lasse mir Zeit im Badezimmer und geniesse die seltene Ruhe. Ich rasiere mich und steige dann in die Dusche.
Ich schliesse die Augen, als das eiskalte Wasser auf meine Schultern tropft. Seit langer Zeit fühle ich gar nichts. Ja, ich fühle mich mit einem Mal total leer und ausgelaugt.
Dieses Gefühl ist verglichen mit dem, was ich sonst jeden Tag so fühle sogar so angenehm, dass ich solange unter der Dusche stehenbleibe, bis ich anfange, zu zittern. Erst dann steige ich wieder hinaus und schlinge mit einem leisen seufzen ein weisses Handtuch um meine Hüften.
In genau diesem Moment öffnet sich die Badzimmertür. „Oh, entschuldige! Ich dachte, du wärst noch unterwegs.“, sagt Liam entschuldigend und will schon wieder einen Rückzieher machen. „Kein Ding. Ich bin gleich fertig.“, antworte ich schnell. Zögernd macht Liam einen Schritt auf mich zu und ich frage ihn, wo die anderen sind. „Sind Essen holen gegangen.“, gibt Liam daraufhin schulterzuckend zurück. „Und du?“, frage ich. Erneut zuckt er die Schultern: „Keine Lust gehabt.“ Ich nicke und dann schweigen wir. Es ist irgendwie unangenehm. Nervös streicht sich Liam immer wieder über den Unterarm. Schliesslich atmet er gequält aus und sieht mir geradewegs in die Augen: „Also schön, Hazza. Warum willst du nicht auf das Konzert?“
Genervt schnaube ich auf: „Ich hab doch gesagt, dass ich diese Band nicht leiden kann.“
„Ja klar, Harry.“, erwiedert er und verdreht die Augen. „Red nicht immer so einen Stuss zusammen.“ „Dann glaubs mir eben nicht, ist mir auch egal.“, gebe ich mit meiner mich-interessiert-das-alles-einen-scheissdreck-Stimme zurück, die ich in letzter Zeit ständig gebrauche, wie ein kleines, bockiges Kind. Aber Liam scheint nicht darauf reinzufallen. „In Ordnung, Harry. Mach weiter so, als ob dich das alles einen Scheissdreck interessiert. Damit machst du es dir nur endgültig kaputt. Ich versteh nicht, was dein Problem ist. Du hast Louis und Eleanor zusammengebracht und füher noch mich und Danielle. Du schaffst es bei jedem, aber dein eigenes Leben bekommst du nicht auf die Reihe. Und soll ich dir was sagen? Du wirst als einsamer, alter Mann sterben. Und du wirst zurückdenken und dir sagen: Verdammt, warum habe ich es nicht einfach probiert?“, verdammt, Liam klingt echt wütend und obwohl ich ihm am liebsten „Lügner!“ ins Gesicht schreien würde, weiss ich genau, dass er irgendwie Recht hat. Und deswegen beisse ich mir auf die Lippe und halte die Klappe. Liam jedoch, steht mit verschränkten Armen vor mir und wartet auf eine Antwort. Seine dunklen Augen mustern mich gebannt, aber ich bin nicht bereit, ihm zu antworten. Was soll ich schon antworten? Was soll man sagen, wenn man die Wahrheit kennt, aber diese nicht einsehen kann? Also wende ich mich einfach ab. Ich kann das alles nicht...
Hinter mir höre ich Liam flüstern und seine Stimme klingt dabei ungewohnt feindselig: „Du bist ein Feigling, Harry.“
Und auch das stimmt. Ich weiss es. Trotzdem drehe ich mich wieder zu Liam um. Liam jedoch kehrt mir den Rücken zu, bereit den Raum zu verlassen. Und ich stehe immer noch da, wie vom Blitz getroffen. Liam hat recht. Und er scheint nicht mal eine Rechtfertigung oder so von mir zu erwarten, so sicher scheint er, dass er recht hat. Aber auf einmal will ich genau das. Ich will mich rechtfertigen.
„Ich habe Angst, Liam.“, flüstere ich schliesslich und meine Stimme bricht dabei. Verwirrt dreht Liam den Kopf zurück in meine Richtung: „Was?“ Ich nicke: „Ich habe Angst.“, wiederhole ich. „Ich verstehe nicht.“, Liam schüttelt den Kopf. „Meinst du sowas wie... Bindungsangst?“
„Nicht direkt.“, antworte ich. „Ich habe Angst, dass ich jemandem zu sehr vertraue und am Ende verlassen werde. Ausgenutzt. Dass es einfach nur um Sex geht. Dass ich schwach wirke. Dass Leute über mich lachen. Dass ich aussehe, wie ein Schlappschwanz. Ich will selbstbewusst und stark wirken, Liam. Ich will keine Fehler machen. Und ich will mir keine Abfuhr einhandeln. Ich weiss, dass ich einen Fehler gamacht habe, Mann. Aber ich kann einfach nicht zu ihr gehen, verstehst du? Wie soll ich es ihr erklären? Wie soll ich erklären, was für ein mieser Arsch ich bin Liam? Wie? Ich kann es einfach nicht. Ich kann nicht schwach sein, versteh doch!“, verzweifelt sehe ich ihn an und versuche, mich an seinem Blick festzuhalten, während ich ihm meine Antwort beinahe ins Gesicht schreie. „Ich kann mich nicht ändern! Ich bin nun mal so, Liam. Ich habe nun mal Angst...“
„Und ich will auch kein Mitleid, verstehst du? Ich spiele lieber den Macho, der mit halb Hollywood schläft. Ich tue das, weil ich Angst davor habe, was mit mir passiert, wenn sie wissen, wie kaputt ich eigentlich bin...“, flüstere ich, den Tränen nahe.
Mir ist bewusst, dass ich ihm in diesem Moment meine ganze Verletzlichkeit, die tiefsten Abgründe meiner Seele anvertraue, aber ich kann nicht anders, als es zu erzählen. Einmal angefangen, sprudelt alles aus mir heraus. Und ich hoffe einfach, dass er es irgendwie verstehen kann.
Liam steht im Türrahmen und starrt mich an. Sehr lange. Und auf einmal verziehen sich seine Mundwinkel zu einem klitzekleinen Lächeln. Aber es ist nicht so ein Lächeln, wie normalerweise. Es ist irgendwie... traurig. Aber ich weiss trotzdem, dass er mich versteht...
„Harry, weißt du eigentlich, dass du dich als weitaus schlechteren Menschen siehst, als alle anderen? Warum tust du das? Du bist ein guter Mensch, Mann!“, sagt er dann und fasst mich energisch bei den Schultern: „Hör zu, Mann. Wir könnten uns keinen besseren Freund wünschen, als dich. Wir haben dir so viel zu verdanken: unsere Beziehungen, die Band, dass du immer ein offenes Ohr für uns hast. Haz, du bist unentbehrlich für uns und du bist ein verdammt guter Mensch, wann checkst du das endlich?!“, eindringlich sieht er mich an.
Ich schniefe- gerührt von seinen Worten: "Ich liebe sie.“, gestehe ich Liam dann und ich kann nichts dagegen tun, dass sich eine Träne aus meinem Augenwinkel stiehlt. Ich bin Liam wirklich dankbar, dass er wegsieht. Dann lässt er mit einem kleinen Lächeln meine Schultern los: „Dann sags ihr endlich, du Vollidiot.“, strahlt er mich an. Aber ich schüttele nur traurig den Kopf. „Dazu ist es zu spät.“ „Für Liebe ist es nie zu spät, Trottel.“, unterbricht er mich dann streng und seine Stimme duldet keinen Widerspruch.
Er dreht sich um, bereit den Raum zu verlassen. „Warte.“, ich rufe ihn zurück- auf einmal mehr als panisch.
„Was ist?“, fragt er und dreht sich mit fragendem Blick wieder im Türrahmen um.
„Was soll ich jetzt machen?“, frage ich.
Liams Lächeln wird noch eine Spur breiter: „Unten liegen fünf Karten für Kodaline.“, sagt er dann geheimnisvoll und verlässt selbstzufrieden Grinsend den Raum.
Und während ich zitternd und mit nassen Haaren im Badezimmer stehe, wie ein begossener Pudel und mich frage, was das alles zum Teufel noch mal soll, höre ich ihn unten im Flur, wie er „Love will safe the day“ Von Boyzone summt. Und ungewollt breitet sich ein Lächeln auf meinen Lippen aus. Es ist das Erste seit Wochen.
Und Dankbarkeit durchströmt mich. Ich weiss nicht warum, aber ich glaube, dass Liam vieles versteht, was wir anderen nicht sehen und vielleicht auch nie verstehen können. Aber ich bin Dankbar, dass er es tut. Vielleicht ist es das, was uns zusammen hält.
Und ich will es ihm wirklich sagen, ich will nach unten rennen und ihn in den Arm nehmen. Meinen grossen, verständnisvollen Liam, der immer alles zum Rechten rückt. Aber ich glaube nicht, dass ich dafür jetzt die richtigen Worte finde. Vielleicht irgendwann mal, aber nicht jetzt.
Aber ich glaube sowieso, dass er es weiss.
Nein. Ich bin sicher, er weiss es.
So ist Liam eben...
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Teasing is a Sign of Affection
FanfictionIt takes a lot of love to hate you like this "...Ich hasse ihn! Ich hasse ihn- verdammt, ich hasse ihn! Ich hasse ihn für seine unendliche Arroganz und für sein Selbstbewusstsein, das schon beinahe an Selbstverliebtheit grenzt. Ich hasse ihn...