Over again?

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Abby:

Immer noch stocksteif stehe ich in der Menge, während die Welt um mich herum in einem ohrenbetäubenden Begeisterungsjubel untergeht und ich zittere, wie Esbenlaub. Ich versuche vergeblich, dem Impuls zu widerstehen abzuhauen, aber ich... Ich schaffe es einfach nicht. Ich kann ihn einfach nicht hören und dabei genau wissen, dass meine Brust heute Nacht zerbersten wird, wenn ich nicht schlafen kann...

Übelkeit steigt in mir auf, als ich mich panisch umdrehe und anfange, mich hektisch durch die Menge zu boxen. Der Schweiss läuft mir in Sturzbächen die Handflächen hinunter.
Wo ist der Ausgang?

Ich bin dabei zu Hyperventilieren. Ich... ich brauche dringend Luft.
Aber die Leute stossen mir unbarmherzig ihre Ellenbogen in die Seite und lassen mich einfach nicht passieren.

Ich merke, wie Angst und Übelkeit mich langsam zu lähmen beginnen. Ich bekomme keine Luft mehr. Und ich weiss, dass ich stehenbleiben muss, anstatt mich zwischen den Menschen hindurchzuschlängeln. Wenn ich stehenbleibe, wird die Platzangst besser... Aber ich kann nicht. Der natürliche, menschliche Impuls vor der Gefahr zu fliehen, treibt mich an.
Atmen, denke ich. Einfach nur atmen...

Und dann, wie aus dem Nichts, höre ich auf einmal seine raue Stimme von der Bühne aus und ich bleibe stehen, als sie zu mir hinunter dringt. Sofort verschwindet der Schmerz, der mich schon seit Monaten festhält und der Knoten in meiner Brust löst sich auf. Luft strömt in meine Lungen. Ich kann wieder atmen. Und es tut nicht mal weh, als ich die Luft tief in meine Lungen befördere. Es fühlt sich so... normal an.
Und es tut einfach gut, ihn zu hören. Es fühlt sich vertraut an. Richtig.
Ja, im Moment ist es das Einzige was ich noch will, obwohl ich genau weiss, dass ich es später bitterböse bereuen werde. Aber seine Stimme beschert meinen Schmerzen Linderung. Ich stehe da und sauge begierig jedes seiner Worte auf...

„Hi Leute. Äh, also ich habe die Ehre heute Abend auf diesem wundervollen Konzert von meinen Mates Kodaline einen Song zu performen, den ich für meine Band One Direction geschrieben habe.
Naja... eigentlich stimmt das so auch nicht ganz. Also... in Wahrheit habe ich den Song eigentlich für einen Menschen geschrieben, den ich sehr verletzt habe... und naja, also...
Abigail, wenn du hier bist...
Äh... also, das hier ist für dich.“

Ich habe nie auch nur im Enferntesten damit gerechnet, dass er meinen Namen sagen würde.
Ich habe nicht damit gerechnet, dass seine Stimme bricht, als er ihn sagt.
Ich habe nie damit gerechnet, dass er mir einen Song schreiben würde.
Ich habe gedacht, dass es einfach für ihn war, mich gehen zu lassen...
Seine Worte bringen mich demnach ziemlich aus der Fassung.
Sie bringen mich sogar so aus der Fassung, dass ich einfach stehenbleibe und mich darauf einlassen, obwohl sich gleichzeitig auch eine seltsame Anspannung in mir breit macht.

Als die ersten, sanften Klänge der Gitarre ertönen, ist es so still im Konzertsaal, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte.
Ich schliesse die Augen.
Das ist sein Geschenk an mich.
Dieser Moment gehört nur mir.
Ich versuche, mir das Grün seiner Augen in Erinnerung zu rufen, als ich seine rauchige Stimme höre.

„So your friend's been telling me
You've been sleeping with my sweater
And that you can't stop missing me
Bet my friend's been telling you
I'm not doing much better
'Cause I'm missing half of me”

Ich versuche wirklich, ihn mir genau vorzustellen, aber mit dem Wissen, dass er wirklich hier ist und ich mich eigentlich nicht bloss mit einer einfachen Erinnerung begnügen muss, schlägt mein Herz doppelt so schnell.
Das Grün seiner Augen kann in Wirklichkeit doch unmöglich so blass sein, oder?

„And being here without you
Is like I'm waking up to
Only half a blue sky
Kinda there - but not quite
I'm walking 'round with just one shoe
I'm half a heart without you
I'm half a man at best
With half an arrow in my chest
I miss everything we do
I'm half a heart without you”

Als seine raue Stimme zu mir herunter dringt und ich seine Worte verstehe, treten mir die Tränen in die Augen.
Ich muss ihn sehen, denke ich beinahe panisch.
Ich muss sehen, dass es stimmt.
Das er wirklich hier ist und diese wunderschönen Zeilen für mich singt...
Und ich bahne mir meinen Weg zurück durch die Menge, jedoch achte ich diesmal nicht darauf, dass ich Ellenbogen in die Seite gedrückt bekomme. Ich achte nicht darauf, wie nah ich den ganzen Menschen eigentlich bin.
Es ist mir egal.
Ich quetsche mich durch sie hindurch, den Blick entschlossen auf die Bühne gerichtet...

„Forget all we said that night
No, it doesn't even matter
'Cause we both got split in two

If you could spare an hour or so
We'll go for lunch down by the river
We can really talk it through

And being here without you
Is like I'm waking up to”

Und endlich stehe ich am Rand der Bühne und sehe ihn. Er steht mit geschlossenen Augen vor dem Mikrofon, an das er sich klammert, wie ein Ertrinkender. Gierig gleitet mein Blick über seinen Körper und nimmt jedes Detail auf, das mir so unendlich vertraut ist. Sieh mich an, will ich zu ihm hinaufschreien, aber ich will nicht, dass er aufhört zu singen, also versuche ich, es ihm telepathisch mitzuteilen.

„Only half a blue sky
Kinda there - but not quite
I'm walking around with just one shoe
I'm half a heart without you
I'm half a man - at best
With half an arrow in my chest
'Cause I miss everything we do
I'm half a heart without you”

Sieh mich an, ich bin hier, denke ich wieder.
Sieh mich an.
Sieh mich an.
Sieh mich an.
Ich wiederhole es, wie ein Mantra, kann es kaum erwarten, endlich das vertraute Grün seiner Augen zu sehen, seinen sanften Blick auf mir zu spüren.

Es wird alles gut, denke ich voller Glück, als sich auf einmal eine schwere Hand auf meine Schulter legt.
„Hey, Baby.“, zischt mir eine vertraute Stimme ins Ohr, bei deren Klang ich augenblicklich zu Eis erstarre.
Eine Gänsehaut verteilt sich über meinen ganzen Körper, während ich herumfahre und geradewegs in Alex stechend blaue Augen starre.

„Hör mir zu, Abby.“, wispert er mir hektisch zu. „Du willst doch keinen Fehler machen, oder? Ich würde mir gut überlegen, was ich jetzt tue.“ Mir grossen Augen starre ich in sein Gesicht, in dem ich nichts mehr ausser Kälte und Verachtung finden kann. Was hat mich nur damals dazu geritten, diesem Mann zu vertrauen? „Was meinst du?“, frage ich und versuche, die Panik in meiner Stimme zu verbergen, was mir kläglich misslingt.
„Ich würde mir gut überlegen, ob ich diesem Kelr verzeihe, Baby. Ich weiss ziemlich viel über ihn. Nein, warte, das ist untertrieben- Ich weiss alles über ihn. Ich kenne seine dunkelsten Geheimnisse, so wie ich Deine kenne. Und wir wollen doch nicht, dass diese Geheimnisse an die Öffentlichkeit gelangen, oder?“, er schenkt mir ein höhnisches Grinsen, bei dem übel wird.

Du warst das also?!“, ist alles, was ich herausbekomme und er nickt voller Selbstüberzeugung. Er wikrt befriedigt- fast schon stolz.
„Ich kann seinen kompletten Ruf zerstören, wenn ich will. Ich kann ihn so unbeliebt machen, dass er daran zerbricht und sich wünscht, nie geboren zu sein. Und das willst du doch nicht, oder, Baby? Du willst ihm doch nicht weh tun, dem kleinen, zerbrechlichen Harry, das willst du doch nicht, oder?“ Er klingt komplett irre, aber ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er nicht blufft.
„Du bist widerlich.“, presse ich zwischen zusammengepressten Zähnen hindurch.
„Aber du hast mich geliebt.“, zischt er und greift nach meiner Schulter. Er lächelt mich an und säuselt in mein Ohr: „Und ich liebe dich, mein Engel.“

Ich unterdrücke meinen Brechreiz und die Angst, die in mir hochsteigen. Alex Blick wird mit einem Mal wieder klar und seine Augen funkeln gefährlich: „Antworte mir endlich, du kleines Miststück!“, zischt er dann und schüttelt mich heftig.

Ich liebe Harry. Ich liebe ihn so sehr, dass ich mir nicht vorstellen kann, ihm jemals wehzutun. Ich muss ihn vor so etwas beschützen, selbste wenn es mein eigenes Unglück bedeutet, also tue ich das Einzige, was mir in dieser Situation möglich ist. Ich nicke.

„Ich werde nicht zu ihm zurückgehen.“, antworte ich Alex mit brechender Stimme.
„Das ist mein Baby.“, gibt dieser mit einem irren Lächeln zurück und streicht mir genüsslich über die Wange. Ruckartig drehe ich den Kopf von ihm weg.
„Ich bin nicht dein Baby.“, zische ich und stosse ihn angewidert von mir, aber er lächelt nur. Und dann zieht er sich in die Menge zurück und lässt mich voller Panik zurück.

„Without you
Without you
Half a heart without you
Without you
Without you
I'm half a heart without you”

In diesem Moment dringen die letzten Töne der Musik zu mir hinunter. Es ist Zeit, zu gehen. Es ist besser, wenn er mich nicht sieht, denke ich voller Schmerz. Aber mein eigener Schmerz spielt keine Rolle.
Es geht nur um Harry.
Ich muss ihn beschützen, das ist alles, was noch zählt.
Ich will einfach nur, dass er wieder glücklich sein kann.

Aber genau in dem Moment, als ich mich abwenden will, öffnet Harry seine Augen.

Sein Blick bohrt sich in meinen und mit einem Mal kommt alles wieder hoch.

Ich fühle alles, was ich in den letzten Monaten vergessen hatte.
Als sich unsere Blicke treffen, prallen zwei Welten auf einander, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Aber trotzdem knistert die Luft um uns herum und für einen winzigen, vollkommenen Moment gibt es nur uns beide. Und obwohl Applaus ertönt, ist es um mich herum vollkommen still.

Und ich versuche, mich zu verabschieden, als wir uns ein letztes Mal in die Augen sehen.
Ich versuche, ihm alles zu sagen, was ich niemals sagen konnte.

Ich liebe dich, Harry Styles, denke ich.

Und ich wende mich ab, bevor mir die Tränen über die Wangen laufen.

Wer hätte gedacht, dass unser "Happy End" so enden würde?
Wer hätte gedacht, dass sein Happy End mein Untergang sein würde?

Teasing is a Sign of AffectionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt