Alley

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Mein Blick fiel immer wieder auf mein Handy, während ich auf dem Weg nach Hause war. Ich hatte beinahe den ganzen Tag mit einer guten Freundin gelernt, bis ich gemerkt hatte, dass es bereits dunkel war. Meine Mutter machte sich schon wieder Sorgen und schrieb mir alle paar Minuten, wo ich denn blieb, jedoch war der Weg zu Fuß nach Hause etwa eineinhalb Kilometer lang, weshalb es einige Minuten dauern würde, bis ich da war. 

Immer wieder fiel mein Blick in die dunklen Gassen auf meiner Straßenseite. Alle paar Schritte trat ich in Pfützen, bei denen ich inständig hoffte, dass sie aus 99,9% Wasser bestanden. Man konnte in dieser Stadt schon öfter mal in Pfützen aus Urin oder Erbrochenem treten, weshalb ich großzügig nichtdurchsichtigen Pfützen auswich und meine Nase in dem dicken Wollschal vergrub, der immer noch so stark nach meinem Lieblingsparfüm roch, als hätte ich es gerade aufgetragen. 

Zum wiederholten Mal fiel mein Blick hinter mich, da man nie wusste, ob man in dieser gottverlassenen Stadt von jemandem verfolgt wurde. Dabei waren die Drogenjunkies auf ihrem Trip noch harmlos, da sie meistens so sehr neben der Spur waren, dass sie einem nur hinterher liefen, weil sie ansonsten kein Ziel hatten. Angst hatte ich da eher vor denen auf Suche nach Stoff oder den Obdachlosen, welche einem hinterher liefen, um einem entweder Stoff abzukaufen, soweit man welchen hatte, oder für Geld oder Drogen, die man dabei hatte, zu überfallen. Meiner Mom war das schon zwei Male passiert, weshalb sie nie viel Geld mit aus dem Haus nahm und erst recht kein Bargeld. Mit Kreditkarten konnten die Junkies nicht viel anfangen, da die Dealer alle nur Bargeld nahmen. Wie komisch wäre es auch, wenn ein Dealer auf einmal ein EC Gerät aus der Jackentasche ziehen würde. Zudem wäre dadurch Geldwäsche unmöglich und die Anonymität dahin.

Wieso ich so viel darüber wusste, wusste ich auch nicht. Schien wohl an der Stadt zu liegen. Ich selbst war eher so der Strebertyp, auch wenn ich lieber zu den "Bösen" gehören würde. Meine Mom drillte mich beinahe zu guten Noten, damit ich Medizin studieren konnte und ganz viel Geld verdiente. Ich sollte einen gut verdienenden Mann finden, viele Kinder Zeugen und außerhalb der Stadt die Familie weiterführen. Sie selbst war Anwältin, bekam jedoch momentan nur die Pflichtverteidigerfälle zugewiesen, da sich in dieser Stadt niemand aus eigener Tasche einen Anwalt leisten konnte. 

Außerdem waren 80% der Fälle, die vor Gericht gingen Drogendelikte oder Körperverletzungen, wo meine Mom nicht viel zu verteidigen hatte. Manche waren so dicht, dass sie sich verplapperten oder so auf Entzug, dass sie es freiwillig zugaben. Natürlich gab es aber auch die, die nur wieder ein Verbrechen begingen, um den Winter nicht auf der Straße verbringen zu müssen. Auch wenn der Knast kein leichtes Pflaster war, hatte man in der Zeit wenigstens ein trockenes Dach über dem Kopf und etwas zu Essen. 

Die richtig dicken Fische wurden leider von Moms größten Konkurenten betreut, von dem beinahe die halbe Stadt wusste, dass er korrupt bis hinter beide Ohren war. Wie sollte er sich sonst ein Penthouse und jeden möglichen Luxus leisten können?

Ich hatte von einigen anderen aus meiner Stufe gehört, dass er für die mexikanischen Drogenkartelle arbeitete und Geld wusch, aber so wirklich glauben konnte und wollte ich es nicht. Der Typ hatte immerhin was mit meiner Mom gehabt und war immer für mich da, wenn Mom ein Gespräch hatte. Sie hatte mich öfter mit in die Kanzlei genommen, als ich noch kleiner war. 

Nun war ich 17 und blieb meistens alleine Zuhause. Ich musste ja lernen, damit ich später einmal erfolgreich werden würde. 

Die dumme Fotze konnte mich gerne mal am Arsch lecken. 

Ich wusste, dass ich so eigentlich nicht über meine eigene Mutter reden sollte, aber es war mein Ernst. Ich hasste sie. 



Von weitem konnte ich zwei verschiedene Stimmen aus der nächsten Gasse hören. "Jetzt gib mir mein scheiß Geld!", schrie eine tiefe Stimme beinahe, was mich aufhorchen ließ. Ich versteckte mich zwischen zwei geparkten Autos, darauf bedacht, keine der Alarmanlagen aufheulen zu lassen. Aus dem Schatten beobachtete ich zwei Männer, die sich gegenüber standen. 

Direkt neben dem Eingang zur Gasse stand eine Straßenlaterne, weshalb ich die beiden noch besser erkennen konnte. Ich selbst hockte genau zwischen zwei Laternen, weshalb ich nur schlecht zu sehen war. 

"Ich habe kein Geld", lachte der zweite dreckig. Seine Stimme klang ekelhaft rau und kratzig. Er erinnerte mich an einen der Klienten meiner Mutter. Ein Methamphetaminabhängiger. 

Man konnte auf den ersten Blick sehen, dass ihm einige Zähne fehlten und die Kleidung zerlumpt war. Der andere, der zuerst gesprochen hatte, verbarg sein Gesicht unter einer schwarzen Kapuze und trug über dem Pullover eine ebenso schwarze Lederjacke.

Ich sah genauer hin und erkannte, wie der erste einen schwarzen, glänzenden Gegenstand hervorzog und auf den anderen Mann richtete. Ich musste mir den Mund zuhalten, um nicht zu schreien. Er hielt ihm eine Pistole an den Kopf. Ich versuchte unbemerkt zwischen den Autos auf die Straße zu kommen, damit ich weglaufen konnte. Zwar würde er mich bemerken, jedoch hätte er mich bestimmt sowieso gesehen und wenn ich schon einige Meter weg war, war ich schlechter zu treffen, wie als wenn ich in der Falle sitze. 

Als ich es bis auf die nasse Straße geschafft hatte, auf der momentan zum Glück kein Auto fuhr, begann ich sofort zu rennen. Ich rannte beinahe um mein Leben, denn eins wusste ich. Ich hatte eindeutig zu viel gesehen. 

Ich glaube, ich war noch nie in meinem Leben so gerannt wie jetzt. Hinter mir hörte ich ein männliches Schreien, wobei mir das Herz in die Hose rutschte. Er kam mir immer näher, das merkte ich. Ich war verloren. 

Immer weiter rannte ich, auch wenn ich wusste, dass er mir immer näher kam und mich irgendwann kriegen würde, da er ohnehin viel schneller war als ich. Es war ja auch nicht schwer, schneller zu sein als ich. 

Schon nach einigen weiteren Metern merkte, wie ich den Halt verlor und der Länge nach auf den Boden in eine Pfütze fiel. Als ich mich zwischen die Autos gehockt hatte, war es angefangen, zu regnen, sodass ich immer mehr durchnässte.

Plötzlich spürte ich zwei starke Arme, die sich um meinen Buch legten und mich anhoben. "Hab ich dich", raunte er mit seiner tiefen Stimme in mein Ohr. Ich wollte gerade beginnen zu schreien, jedoch legte er mir seine Hand auf den Mund und machte mich in diesem Moment vollkommen bewegungsunfähig. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als er mich plötzlich umdrehte und mir ins Gesicht sah. "Wer hat dich geschickt?", knurrte er mir ins Gesicht, worauf ich noch stärker begann zu zittern als ich es ohnehin schon tat. Tropfen liefen über seine Lederjacke und tropften von der Kapuze herunter. "N...Niemand. Ich will doch nur nach Hause", begann ich zu wimmern, worauf mir bereits Tränen aus den Augenwinkeln quollen. 

"Jetzt hör auf zu flennen und sag mir deinen Namen", meinte er kalt, worauf ich versuchte, mich zusammen zu reißen. "A..Alexine", stammelte ich vor mich hin, während ich in seine Augen sah, die mich durch ihr kaltes Blau beinahe mit einfroren. "Geht doch. Ich behalte ein Auge auf dich und wenn du auch nur irgendjemanden, sei es dein Plüschtier, irgendetwas von dieser Begegnung erzählst, können deine Eltern dein Gehirn von der Mauer kratzen, haben wir uns verstanden?", drohte er mir, worauf ich nur benommen nickte. 

Ich hatte mir zwar immer gewünscht, etwas Aufregung in mein Leben zu bekommen, jedoch hatte ich damit keine Morddrohung gemeint. "Jetzt geh, ich behalte dich im Auge", murrte er, wobei ich ihm ansehen konnte, dass es im nicht genehm war, mich gehen zu lassen, geschweige denn am Leben zu lassen. 

Eingeschüchtert nickte ich und begann beinahe nach Hause zu rennen, wenn auch humpelnd. Ich hoffte nur, er folgte mir nicht. 

Smoke and Red LipstickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt