Watcher

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Ich drehte mich um, einen Schrei unterdrückend und sah in das Gesicht von Fina. "Du hast mir einen Schrecken eingejagt", warf ich ihr vor, worauf sie nur lachte und einfach in die andere Richtung nach Hause ging. Ich seufzte genervt, da sie scheinbar gar keinen Grund dazu gehabt hatte, mich zu Tode zu erschrecken. 

Wie immer alleine ging deshalb nach Hause, während ich Musik hörte. Ich langweilte mich auf dem Weg wie ich es jeden Tag tat, da ich die einzige war, die in diese Richtung musste und lief statt Fahrrad zu fahren oder den Bus zu nehmen. Mom meinte immer, dass ich kein Fahrrad brauche, da ich ja sowieso nicht so viel Unterwegs war. Dass ich jeden Tag zur Schule musste, ließ sie dabei außer Acht. 

Ich lief mal wieder an der Straße mit den vielen Gassen entlang, an der ich am Abend die beiden Männer beobachtet hatte. Ich war heute noch vorsichtiger, da ich nicht schon wieder in so etwas hereingezogen werden wollte und vielleicht von jemanden aufgegriffen werden, der nicht so gnädig war. 

Ich eignete mir beinahe einen Tunnelblick an, um alles unwichtige auszublenden und lief schneller als gewöhnlich. Irgendwann machte ich dann meine Musik aus, als ich schon fast zuhause war, da mein Handyakku schon wieder fast leer war. Seit einigen Wochen war der Akku kaputt und ich musste mein Handy ständig laden. Meiner Mutter war es natürlich egal, da es ja immer noch funktionierte. Dann meinte sie, ich solle mir einen Job suchen, wenn ich unbedingt ein neues Handy wollte. 

Was erwartete sie eigentlich? Sollte ich gut in der Schule sein und jede freie Minute lernen oder arbeiten gehen, damit ich mir etwas kaufen konnte? Unter anderem war auch sie dafür verantwortlich, dass ich immer alte und beinahe täglich die gleiche Kleidung trug. Sie selbst kaufte sich ständig neue Kleidung, damit sie einladend für Klienten aussah und mich vertröstete sie immer damit, dass die High School ja lediglich ums Lernen ging und Freundschaften nach der Schulzeit sowieso keinen Halt mehr hatten. 

So ein Unsinn. 

Ich schnaubte und lehnte mich an eine Hauswand. Mit meiner Hand fuhr ich über mein Gesicht. Ich war doch nur ein ganz normales 17jähriges Mädchen, das gerne genauso wie alle anderen schöne Klamotten und viele Freunde haben wollte. War das nicht normal heutzutage? Aber natürlich gehörte ich nicht dazu. 

Als ich eine schmerzlich bekannten Stimme hörte, schreckte ich zusammen. "Freut mich, mit dir Geschäfte zu machen", hörte ich ihn nur sagen und das reichte schon, sodass mir das Herz bis in den Hals schlug. Zitternd drehte ich meinen Kopf zur Seite, sodass ich in die kleine Gasse sah, aus der nun der Junge vom Vorabend hervorkam. Reflexartig zog ich den Bauch ein und hielt die Luft an, während er sich zu einem Motorrad begab, das zum Glück in die andere Richtung stand. Beinahe Elegant schwang er sich darauf und zog sich den Helm über, den er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte. 

Er ließ den Motor aufheulen und fuhr mit einer übermäßigen Geschwindigkeit los. Erst als er außer Sichtweite war, atmete ich auf und schaute mich um. Es war niemand mehr zu sehen, weshalb ich mich auf den restlichen Weg nach Hause machte. Ich zitterte wieder am ganzen Körper und rannte beinahe die Straße entlang. Ich wollte nur noch nach Hause und mich in mein Zimmer einschließen. Ich wollte mich sicher fühlen, denn ich bekam wieder Verfolgungsängste. Zwar wusste ich aber nicht, ob er mich verfolgte oder ich vielmehr ihn, aber es war bestimmt kein Zufall, dass ich ihn heute schon wieder gesehen hatte. Ich hoffte nur, dass er mich nicht bemerkt hatte, denn ansonsten wäre ich dran. 

Ich lehnte mich von innen an die Haustür, nachdem ich die Wohnung betreten und abgeschlossen hatte. Ich atmete schnell und panisch ein und aus, an Beruhigung war nicht zu denken. Was war, wenn er mich wirklich gesehen hatte?

Ich hastete ins Badezimmer und durchsuchte die Schubladen nach den Schlaftabletten meiner Mutter. Auch wenn Medikamente keine Lösung waren, musste ich jetzt irgendwas zur Beruhigung nehmen. 

Als ich sie endlich gefunden hatte, drückte ich mir gleich drei heraus und nahm sie mit mehreren großen Schlucken Wasser. 

Ich ging zitternd in mein Zimmer und verkroch mich unter meiner Bettdecke. Es dauerte eine viertel Stunde, bis die Tabletten endlich wirkten und ich einschlafen konnte. Ich hatte zwar immer noch Angst, jedoch war die Panikattacke vorbei und das war das Mindeste. 

In dieser Nacht träumte ich zum Glück nichts, sondern sah nur Dunkelheit, die mich ununterbrochen umgab. 



Erst durch meinen Wecker am nächsten Morgen wachte ich wieder auf. Endlich war Freitag, also musste ich nur noch heute einmal aus dem Haus, bevor ich mich dann das ganze Wochenende in der Wohnung verbarrikadieren konnte. Ich hatte zwar bei meiner Mutter den Versuch gestartet, dass sie mich wegen Kopfschmerzen zuhause ließ, jedoch wollte sie davon nichts hören. "Bis jetzt hast du doch auch nie gefehlt", hatte sie nur gemeint und mich zur Schule geschickt. 

Nur halb hatte ich in der Schule aufgepasst. Ich war heute vollkommen neben der Spur, was zum einen an den Erlebnissen der letzten Tage lag, zum anderen aber auch an der Restdröhnung durch die Schlaftabletten. Ich glaube eine hätte gereicht. 

Fina begleitete mich durch den Schultag und erzählte mir von einem Date, auf das sie Abends gehen würde. Ich hatte ihr bei den Erzählungen nur mit einem Ohr zugehört, wusste nicht einmal, mit wem sie ausging, es interessierte mich jedoch auch nicht. Der Unterricht zog sich wie Kaugummi, auch wenn er wie Nebel an mir vorbeizog. 

Erst nach dem Unterricht begab sich alles wieder in die richtige Zeit und ich konnte auch wieder ohne Hilfe richtig bewusst geradeaus laufen. Ich zog wieder meine Kopfhörer aus meiner Tasche, die heute mal nicht verknotet waren und steckte sie ein. 

Musik an, Welt aus.

Smoke and Red LipstickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt