Boss

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Der nächste Morgen begann eher holprig. 

Als ich meine Augen zum ersten Mal öffnete, konnte ich auch sehen, warum das so war. Vice lag zwischen Xater und mir, der mittlerweile blind auf diesen einschlug. Ich schwang mich aus dem Bett, damit Xater hin herunterstoßen konnte, sodass Vice nur kurz später vor meinen Füßen auf dem Boden lag. Er hielt sich den Rücken und jaulte herum, dass es ja so weh tat, während Xater ihn nur auslachte genauso wie ich. 

"Wir fahren heute zum Boss", verkündete Ghost, der an den Türrahmen gelehnt stand und uns belustigt beobachtete. Xater schleppte Vice aus dem Raum heraus, sodass wir wieder alleine waren. Er suchte mir wieder einmal Kleidung heraus, die ich mir anzog, nachdem er sich von mir weggedreht hatte. Im Gegenzug beobachtete ich ihn auch nicht. Wenigstens darin waren wir uns einig. 

Nach einem kurzen, nicht wirklich reichhaltigen Frühstück stiegen wir alle zusammen in das Auto von Ghost, wobei jener fuhr, Xater neben ihm saß und Vice mit mir auf der Rückbank. Immer wieder schaute ich zu Xater, den ich von meinem Platz aus gut von der Seite sehen konnte. Er wirkte angespannt und gestresst, auch wenn ich nicht wusste, warum er so drauf war. 

"Warum nehmt ihr mich eigentlich mit?", stellte ich die Frage, die ich mir, schon seit wir losgefahren waren, stellte. "Weil wir dich nicht alleine zuhause lassen können", antwortete Ghost schlicht, während er seinen Blick nicht von der Straße löste. Ich schnitt das Thema auch nicht weiter an, da ich ihnen allen ansah, dass diese Situation für sie sehr ernst war. 

Es dauerte beinahe eine Stunde, in der ich irgendwelche Spiele auf meinem Handy gespielt hatte, sodass der Akku sich irgendwann verabschiedete, bis wir endlich ankamen und vor einem alten, baufälligen Haus ausstiegen. 

Xater ging vor und wir folgten ihm in das Haus, wobei er kurz hinter der Tür eine Plane zur Seite schob, die scheinbar einmal durchsichtig gewesen war. Jetzt war sie voller Wasser- und Dreckflecken und war von einer Staubschicht bedeckt, wodurch man jeden Fingerabdruck darauf erkennen konnte. Xater hatte sie aber scheinbar aus Sicherheit nicht mit den Händen angefasst sondern lediglich mit einem Ellenbogen zur Seite geschoben. 

"Da seid ihr ja wieder!", rief uns ein etwas älterer Mann zu, der gerade an einer grünen Pflanze herumhantierte. "Und ihr habt jemanden mitgebracht. Habt ihr das ganze Geld schon verpulvert und wollt mit ihr bezahlen? Ich habe euch doch gesagt, dass ich das nicht mehr mache", scherzte er und schlug mit den Jungs ein. Vor mir blieb er stehen. "Du siehst mir nicht so aus, als würdest du in diese Branche gehören", stellte er fest. Mein Blick flog zu Xater, der sofort dazwischen ging. "Sie vertickt es nicht. Sie ist nur mein Feuerschutz", erklärte er dem Mann und klopfte ihm auf die Schulter. 

Augenblicklich wandte er sich von mir ab und den anderen wieder zu. "Ich habe was neues für euch, das kostet aber auch ein bisschen", begann er zu erklären, bevor er noch mehr erzählte, was ich nicht verstand. Ich schaltete ab und trottete nur den anderen hinterher, wenn sie sich mal vom Fleck bewegten.  

Ich half ihnen später dabei, die ganzen Päckchen in den Kofferraum zu verstauen und unter decken zu verstecken, was wirklich eine Menge war. Zudem wunderte es mich, dass das ganze nicht aufflog, da das hier ja im recht großen Stil war. 

Das einzige, was ich dabei aber hoffte, war, dass wir nicht erwischt wurden und erst recht, dass ich als Verteidigerin nicht meine Mutter bekommen würde. Dann hätte ich nämlich schon vor Prozessbeginn verloren. 

Wir kehrten noch einmal ins Haus zurück, wobei Ghost bezahlte. Als wir jedoch das Haus wieder verlassen wollten, hielt mich der Mann auf. "Warte mal, Kleine", meinte er und zog aus seiner zerschlissenen Jacke ein kleines Tütchen, das er mir in die Hand drückte, bevor ich den Inhalt erkennen konnte. "Schenke ich dir", flüsterte er mir zu und rannte dann wie ein Verrückter zurück zu seinen Pflanzen. Kopfschüttelnd steckte ich das Tütchen ein und folgte den anderen nach draußen. Ich war die letzte, die einstieg, bevor Ghost losfuhr. 

Ich zog recht schnell wieder mein Handy hervor, bemerkte jedoch zu schnell, dass es ja schon leer war und steckte es seufzend wieder weg. Meinen Kopf lehnte ich an die Kopfstütze, während ich an die Decke des Autos starrte und imaginäre Punkte zählte. Langsam wurde ich in deren Nähe verrückt. 

Zum Glück kam mir die Rückfahrt jedoch kürzer vor als die Hinfahrt, was vielleicht aber auch daran gelegen hatte, dass wir an einem McDonalds gehalten hatten, um etwas zu Essen zu kaufen. Demnach hatte ich die zweite Hälfte der Fahrt essend verbracht, sodass die "Landschaft" nur so an mir vorbei zog.  Die Jungs redeten nur wenige Worte miteinander, schienen aber mittlerweile entspannter als auf der Hinfahrt. 

Als wir wieder bei ihnen ankamen, verzogen Xater und ich uns in sein Zimmer, da es nicht mehr viel zu tun gab. "Pack deine Sachen bitte zusammen. Ich bringe dich gleich nach Hause", erklärte ich, weshalb ich ihn mit großen Augen anstarrte. "Du lässt mich nach Hause?", fragte ich nach, was er mit einem Lachen quittierte. "Wieso sollte ich dich nicht nach Hause lassen? Ich will nicht ewig mit dir in einem Bett schlafen", witzelte er. Beleidigt schlug ich ihm auf den Arm, er lachte jedoch lediglich. 

Recht schnell hatte ich alles zusammengepackt, hielt aber nun die Lederjacke in meinen Händen. "Und die darf ich wirklich behalten?", fragte ich nochmal nach, er lachte jedoch wieder. "Also ich kann die schlecht anziehen. Außerdem habe ich sie für dich gekauft", gab er zu. Ein Lächeln bildete sich auf meinem Gesicht, bevor ich ihn einfach umarmte. Ich wusste nicht, warum ich das genau tat, aber es fühlte sich in diesem Moment jedoch so richtig an. Auch er schien im ersten Moment ziemlich perplex, erwiderte die Umarmung aber kurz danach. "Wir sehen uns bestimmt noch öfter. Ich braucheja jemanden als Rückendeckung", raunte er in mein Ohr. 

Wir lösten uns recht schnell wieder voneinander, ich legte die Jacke in meine Tasche und zog dann den Reißverschluss zu. "Ich glaube ich werde von dem Geld erstmal shoppen gehen", lachte ich, wo er einstimmte. 

"Kauf dir aber was Ordentliches"

Smoke and Red LipstickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt