Die Tür wurde mit solcher Gewalt aufgerissen, dass sie den Türstopper aus dem Boden riss. Der fette Mann vor dem Computerterminal schwang in seinem großen Ledersessel herum. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, und dazu noch eines das weit wirkungsvoller war als die meisten geschriebenen, dass ihn niemand stören durfte solange er arbeitete. Doch als er sah wer da auf ihn zukam wunderte ihn nichts mehr.
„Morgen Schoman. Feige?“
„Sie werden mich mit Herr Schoman ansprechen, Herr Mackensen, und nein danke, ich möchte keine Feige.“
Der Chef des Geheimdienstes war hochgewachsen, dünn und trug einen eleganten Schnurrbart, der perfekt zu seinem schwarzen Anzug, der schwarzen Krawatte und der schwarzen Brille passte.
„Natürlich, wie unhöflich von mir, Schoman. Setzen Sie sich doch. Feige?“
Beide Aufforderungen ignorierend ging der Geheimdienstler zum Tisch, fegte achtlos alles beiseite was darauf stand und platzierte einen Laptop auf der freien Fläche.
„Das wäre nicht nötig gewesen. Sie haben eine Schale voller deliziöser Feigen auf den Boden geworfen. Ich habe doch auch einen Computer. Er steht direkt vor Ihnen.“
„Ich weiß“, erwiderte Schoman, während er das Notebook hochfuhr. „Aber ich würde es Ihnen glatt zutrauen, mir einen Virus auf die Festplatte zu spielen.“
„Na, na, Schoman. Ziehen Sie Ihre Krallen ein. Wir sind immerhin Kollegen.“
Mackensen musste sich ein Grinsen verkneifen, als er sah wie die Köchel der Finger, die bis eben noch wie wild auf die Tasten eingehämmert hatten, weiß hervortraten als sich die Hände zu Fäusten ballten. Er wusste genau, was im Kopf des anderen vorging.
„Kollegen? Ich und er? Ha! Ich bin Chef des Geheimdienstes! Einer der mächtigsten Männer des Landes! Und er? Was ist er schon!“
Was war er eigentlich? Mackensen wusste es selbst nicht so genau. Dritter Assistent des Chefsekretärs, oder irgendetwas in der Art. Aber über die Jahre war es ihm gelungen, sich so unentbehrlich zu machen, dass sein Büro inzwischen dreimal so groß war wie das des Chefsekretärs, und dass er an einem Plasmabildschirm mit drei Metern Durchmesser arbeitete, während seinem Vorgesetzten der alte Röhrenbildschirm kaputt gegangen war und er einen neuen aus eigener Tasche hatte bezahlen müssen.
„... und das in nur 29 Stunden! Geradezu unvorstellbar! Und meine Leute haben es erst vor drei Minuten entdeckt.“
Mackensen, bis eben in seine eigenen Gedanken versunken, drehte sich zu dem Geheimdienstler um. „Wie bitte? Haben Sie etwas gesagt, Sachoman?“
Das Gesicht des Geheimdienstchefs wurde puterrot. Etwa eine halbe Minute sagte niemand etwas. Dann: „...98, 99 , 100!“
„Sie zählen aber schnell auf Hundert, Schoman. Fix wie eine Dampflok.“
„Ich habe auch eine Menge Druck im Kessel. Man könnte sagen, ich platze. ICH PLATZE!“
„Na, na. Entspannen Sie sich.“
„Ich halte Ihnen einen Vortrag über eine Gefahr, die den Staat in dem wir leben zerstören könnte, und Sie geben sich Tagträumen hin!“
„Sagen Sie, Schoman, von was reden Sie eigentlich?“
„DAVON!“
Mackensen blickte auf das Display des Notebooks.
„Die Staats-AG, Schmidt & Braun“, las er. „Na und? Ist ein Alter Hut.“
„Ein was?“
„Eine nicht mehr ganz junge Kopfbedeckung, wenn Ihnen das besser gefällt. Gibt es seit...“
Er blickte kurz auf die Uhr an seinem fleischigen Handgelenk, deren Armband kurz davor war den Kampf aufzugeben.
„...exakt 29 Stunden, 34 Minuten, 22 Sekunden und 10 Millisekunden.“
„Jetzt sagen Sie bloß, Sie haben die Seite zusammengeschraubt.“
„Ich wünschte, ich hätte es getan. Dann hätte ich von Anfang gewusst, was Sie hier wollten und Sie gleich wieder hinauswerfen lassen.“
„Sie... Sie... Wir müssen sofort etwas unternehmen!“
„Was?“
„Einer meiner Assistenten hat eine Liste für mich zusammengestellt. Warten Sie... wo war das... Eigene Dateien/Geheim/Höchstgefahr/Operation Vorhang/To-Do Liste“
„Operation Vorhang? Was hat ein Vorhang damit zu tun?“
„Das ist ein Codename, verdammt noch mal!“
„Ich habe einen Alternativvorschlag. Wie wäre es mit Operation Blinddarm. Oder Operation Blindfisch. Immerhin wird sie von Ihnen geleitet.“
„Halten Sie doch endlich einmal die Klappe! Hier ist die Liste.“
Mackensen blickte auf den Bildschirm.
To-Do Liste:
1. Abstellung des Internetanschlusses im Gefängnis, das die zwei Übeltäter beherbergt
2. Anklage gegen die Herren Schmidt und Braun wegen Hochverrats
3. Verbot der Internetseite
4. Der Regierung einen Gesetzesentwurf nahe- bzw. vorlegen, der vorsieht Internetzugänge, Post und Besuche in staatlichen Gefängnissen zu verbieten.
5. Die beiden Übeltäter, und alle die versuchen wollen, ihrem Beispiel zu folgen, werden in ein besonderes Hochsicherheitsgefängnis verlegt und bekommen lebenslänglich
Mackensen lächelte, ergriff Schoman freundschaftlich bei der Hand und schüttelte sie herzlich.
„Gratulation. Wenn Sie die auf dieser Liste abgesteckten Ziele verfolgen, dann bin ich sicher, dass sich in ein bis zwei Wochen äußerst zufriedenstellende Resultate ergeben.“
„Wirklich? Denken Sie das?“
Schoman wirkte verdutzt, aber auch erfreut. Zum ersten Mal solange Mackensen ihn kannte, lächelte er.
„Vielen Dank, mein lieber Mackensen. Ich packe dann besser meine Sachen zusammen und mache mich an die Arbeit. Je schneller dies alles über die Bühne geht, desto besser.“
Als der Chef des Geheimdienstes den Raum verlassen hatte, öffnete Mackensen eine neue Tüte mit Feigen. Immer noch lächelnd schob er sich eine nach der anderen in den Mund. Schließlich lehnte er sich entspannt zurück und kicherte leise.
„Äußerst zufriedenstellende Resultate, ja wirklich. In spätestens 14 Tagen ist er seinen Job los.“
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Dieses Kapitel ist Mauberzusel gewidmet, meiner fantastischen Korrekturleserin! Vielen, vielen Dank für die Mühe die du dir machst!! :)
GLG
Robert
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Die Staats-AG
HumorZwei Unglückliche die in den Wagen des auf sie angesetzten Steuerfahnders gerasselt sind und jetzt für fünf Jahre hinter Gittern sitzen sinnen auf Rache gegen das System: Vom Gefängniscomputer aus eröffnen sie die Website www.staats-ag.de, auf der s...