„Auf welchem Sender läuft es noch mal?“ fragte Schmidt.
„Den Namen weiß ich nicht. Jaschke verlangt astronomische Preise für geschmuggelte Fernsehzeitschriften. Aber für 100 € hat er mir verraten, es sei Kanal 36 auf der Fernsteuerung. Eigentlich verrückt. Fernsehzeitschriften gibt es hier nicht, aber einen HDTV-Fernseher mit allem drum und dran.“
„Psst. Es geht los.“
Eine wohlbekannte Melodie erklang aus den Lautsprechern. Dann erschien eine Nachrichtensprecherin auf dem Bildschirm, vor freundlich-blauem Hintergrund.
„Hallo und herzlich willkommen zur Sondersendung von ‚Neuigkeiten Heute’“, verkündete die Dame in professioneller Manier. „Alle unsere Zuschauer, die daran interessiert waren, unseren letzte Woche angekündigten Bericht über das Atmungssystem der weiblichen Wiesel zu sehen, muss ich leider enttäuschen.“
Für einen Moment ersetzte ein wenig überzeugender Ausdruck des Bedauerns das gekünstelte Lächeln der Sprecherin.
„Wie die Staatsanwaltschaft gestern bekannt gab, soll die Auswahl der Geschworenen für den Prozess ´Der Staat gegen Schmidt & Braun´ heute stattfinden. Wegen diesem aktuellen politisch-gesellschaftlichem Ereignis mussten wir leider unsere Tierdokumentation auf nächste Woche verschieben.“
Braun schnaubte.
„Ha! Die werden sie garantiert bis zum jüngsten Tag verschieben. Ich würde meinen letzten Cent darauf verwetten, das wir in der nächsten Sendung wieder das Tagesthema sind.“
„Sei still!“ zischte Schmidt.
Das Bild auf dem Schirm hatte sich verändert. Nun zu sehen war das Gerichtsgebäude in dessen Gefängnis die beiden einsaßen. Vor der Kamera stand eine Reporterin mit einem großen Mikrophon in der Hand.
„...befinden wir uns hier vor dem Gerichtsgebäude, in dem dieser Jahrhundertprozess stattfinden wird“, sagte die Reporterin gerade. „Da kommt gerade Staatsanwalt Nolting. Herr Nolting, einige Worte an die verunsicherte Welt?“
„Kein Kommentar.“
Der Mann rückte seinen Hut zurecht und eilte ins Gerichtsgebäude. Ihm folgte eine ganze Armee aus Anwälten, Sekretärinnen und Anwaltsgehilfen.
„Herr Nolting scheint bisher nichts von seiner Prozessstrategie offenbaren zu wollen. Doch es nähert sich schon der zweite Gigant auf diesem Schlachtfeld.“
Schmidt und Braun betrachteten den langsam näher kommenden Haake in seinem schmutzigen, halb zerfetzten Regenmantel, nicht mehr als 1 Meter sechzig groß und mit einer Wampe, die einem Sumoringer Ehre gemacht hätte, und fragten sich wie viele Millionen Fernsehzuschauer sich angesichts dieser Worte halb tot lachten.
„Herr Haake, einige Worte für unsere Zuschauer?“
„Na klar doch! Frohe Weihnachten allerseits! Ein Staat kostet nur 29,99 Euro! Tschüss!“
Und fröhlich pfeifend ging er des Weges, hinter sich eine verblüffte Reporterin zurücklassend.
„He, Schmidt?“
„Ja, Braun?“
„Ich glaube, du hast doch den richtigen Anwalt ausgesucht.“
„Glaub’ ich auch.“
„U- und jetzt unterbrechen wir dieses Programm für ein wenig Werbung. Wie der Prozess gegen die Staat-AG weitergeht, erfahren Sie exklusiv bei uns, in unser Sonderserie 'Die Staats-AG – Voltaire oder Revolutionär', jeden Wochentag von 9 Uhr bis 11 Uhr.“
Schmidt wollte schon den Aus-Knopf betätigen, doch Braun hielt seine Hand fest.
„Warte einen Moment.“
„Wieso? Was ist an Werbung interessant?“
„Diese ist interessant. Vertrau mir.“
Der Bildschirm wurde schwarz. Zuerst erschienen nur einige weiße Punkte, dann kam die Erde in Sicht, politische Ansicht.
Eine kräftige Männerstimme aus dem Off begann zu sprechen:
„So sieht die Erde heute aus.“
Langsam veränderte sich die Ansicht. Scheinbar aus dem Nichts heraus erschien ein winziges Land, wurde immer größer, verschluckte einen Staat nach dem anderen.
„So könnte es schon morgen aussehen.“
Eine Schrift erschien auf der Riesen-Nation, die inzwischen zwei Kontinente umfasste.
DEIN STAAT!
„Die Staats-AG. Dein Eigentum, dein Land. Nur 29,99 Euro.“
Langsam gab Herr Braun Herrn Schmidts Hand frei. Dieser drückte ebenso langsam auf den Aus-Knopf. Der Bildschirm wurde schwarz. In der Dunkelheit lächelten sich die beiden Männer zufrieden an.
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Die Staats-AG
HumorZwei Unglückliche die in den Wagen des auf sie angesetzten Steuerfahnders gerasselt sind und jetzt für fünf Jahre hinter Gittern sitzen sinnen auf Rache gegen das System: Vom Gefängniscomputer aus eröffnen sie die Website www.staats-ag.de, auf der s...