Kapitel 04

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Bis zum Gefängnis war es eine Fahrt von 75 Kilometern. Es lag in der Nachbarstadt und hatte die Adresse Buchenstraße 19. Eine Weile saßen beide Insassen des Polizeiwagens stumm da. Schließlich fragte Herr Braun: „Warst Du schon mal im Gefängnis, Schmidt?“

„Einmal. Ein ausländischer Besucher an der Uni hat mich mit einem Professor verwechselt und wollte mir unbedingt einen Scheck über dreitausend Euro für ein wissenschaftliches Projekt geben. Da habe ich natürlich nicht nein gesagt.“

„Was hast du mit dem Geld angestellt?“

„Einmal darfst du raten.“

„Versoffen?“

„An einem Tag. Die Polizei musste drei Tage lang warten, bis ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, damit sie mich in den Knast stecken konnten.“

„Tja, so ist das Leben.“

„Ja, da hast du wohl recht.“

„Ich hoffe nur...“

„Was?“

„Ich hoffe nur im Gefängnis gibt es auch Essen für Vegetarier.“

Der Gefängnis-Aufenthaltsraum war himmelblau tapeziert. Orange karierte Vorhänge hingen vor den vergitterten mit Milchglas verglasten Fenstern.

„Was für ein Ort“, flüsterte Herr Schmidt und ließ seinen Blick über die Gefängnisinsassen schweifen, von denen die meisten in verstreut herumstehenden Ohrensesseln saßen und Zeitungen studierten. „Fast wie eine Universität. Alle sitzen nur dumm herum und wissen nicht, was sie mit ihrer Zeit anstellen sollen.“

„Da wir schon beim Thema sind, was sollen wir eigentlich machen?“

„Was trinken?“

„Geht nicht. Zumindest kein Alkohol. Ist hier strikt verboten.“

Herr Schmidt seufzte wehmütig.

„Also hatte ich mich geirrt. Dieser Ort gleicht in keinster Weise einer Universität.“

„Neulinge, eh? Wollt Ihr was zu lesen?“

Ein kleines, dürres Individuum mit stechenden grauen Augen hatte sich den beiden unbemerkt genähert.

„Hier, nehmt.“

Er hielt ihnen eine Zeitung hin.

Braun winkte ab. „Nein, vielen Dank.“

„Nehmt schon. Es lohnt sich. Das heißt, falls Ihr Knete habt.“

„Die Zeitung kostet etwas?“

„Die Zeitung nicht, nein. Los, nehmt sie endlich.“

Achselzuckend nahm Braun die Zeitung an sich und schlug sie auf.

Es war eine ganz gewöhnliche Zeitung, schon eine Woche alt. Doch auf der dritten Seite war ein Zettel aufgeklebt.

1 Päckchen Zigaretten - 30 €

1 Flasche Bier - 10 €

1 Tüte Gras - 50 €

1 Ausbruch - 4000 €

„Tja“, meinte Herr Schmidt. „Geld regiert die Welt, das ist im Gefängnis auch nicht anders.“

„Aber warum wohl jemand Gras kaufen wollen sollte“, überlegte Herr Braun. “Im Gefängnishof ist doch ein Rasen, dort gibt es genug für alle.“

„Ich glaube das muss ich dir irgendwann mal erklären, Braun. Solche Unwissenheit kann leicht zu peinlichen Missverständnissen führen, vor allem wenn man sich mit einem Gefängniswärter unterhält.“

„Braun?“

„Ja, Schmidt?“

„Wir sind jetzt erst drei Tage hier. Wir haben nichts getan, ausser uns dreimal zu waschen, dreimal zum Morgenappell zu gehen und uns zahllose schlechte Fernsehfilme anzuschauen. Wenn das noch 1822 Tage so weiter geht, drehe ich durch.“

„1823.“

„Wie bitte?“

„Es geht noch 1823 Tage so weiter. Du hast das Schaltjahr vergessen.“

Schmidt schnaubte. „Oh ja. Und das macht natürlich einen sooo großen Unterschied. Worauf ich eigentlich hinaus will ist, dass wir irgendetwas finden müssen, um uns zu beschäftigen.“

„Was hältst du davon“, schlug Herr Braun vor, „wenn ich mich in den Computer deiner Universität hacke und ihn davon überzeuge, alle deine früheren Professoren zu entlassen?“

„Hätte keinen Sinn“, brummte Schmidt. „Die würden das sowieso nie glauben. Baumann, Holzer und Beck würde ich zwar gerne eins auswischen, aber die sind alle verbeamtet.“

„Verbeamtet... Du bringst mich da auf eine Idee, Schmidt. Die Beamten sind doch daran schuld, dass wir im Knast sitzen, nicht wahr? Ein Steuerprüfer hat uns verklagt, ein Richter verurteilt, ein Polizist ins Gefängnis gebracht. Ganz zu schweigen von diesen Politikern, die vollkommen überhöhte Steuern verlangen, um es sich auf irgendeiner Südseeinsel bequem machen zu können.“

Vor allem der letzte Punkt erntete ein heftiges Nicken von Schmidt. „Da hast du recht. Und?“

„Wir sind einem unbarmherzigen Beamtenapparat zum Opfer gefallen. Hart arbeitende Leute wie uns...“

„Beziehungsweise anständige Faulenzer.“

„Ja ja, ist ja gut. Hart arbeitende und anständig faulenzende Leute wie uns wirft man ins Gefängnis, während Mörder auf freien Fuß gesetzt werden.“

„Stimmt.“

„Ist das alles, was du zu sagen hast? Daran muss sich etwas ändern. Wir müssen protestieren.“

„Ha. Und hast du vielleicht eine Idee wie? Wenn wir mit Plakaten den Gefängniskorridor blockieren, brummen sie uns höchstens noch ein paar Jährchen auf.“

„Das habe ich auch gar nicht vor.“

„So? Was denn dann?“

„Wart’s ab.“

Braun lächelte geheimnisvoll.

„Ich habe da so eine Idee. Sie ist vollkommen verrückt aber sie gefällt mir."

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