Zitternd saß ich hinter den Stapeln von Zeitungen und hielt die Luft an. Wo stand der Unbekannte?
Und was würde ich jetzt dafür geben, mich vorher in eine Position gebracht zu haben, in der ich durch eine Ritze schauen könnte.
Doch noch immer war nichts zu hören.
Aber dann zwei Schritte.
Zwei Schritte, die definitiv in meine Richtung kamen. Und ein schabendes Geräusch. Als ein andauerndes leises Rascheln folgte, wagte ich es endlich, mich einige Zentimeter nach vorne zu ziehen.
Vorsichtig legte ich den Kopf schief und blickte zwischen zwei Stapeln hindurch. Beinahe wäre mir ein kleiner Schreckenslaut entwichen. Wobei, wenn man es einmal so recht bedachte, hätte ich damit rechnen können.Etwa zwei Meter von mir entfernt stand Goldkauz. Aufrechte Haltung, durchgedrückter Rücken und in der Hand ein - Buch. Ich schaute noch einmal genau hin. Doch mittlerweile reichte das Licht locker aus, um zu erkennen, dass Goldkauz einen ziemlich dicken Wälzer in der Hand hielt, bei dem er Seite für Seite umblätterte. Was suchte er denn da? Und interessierte er sich denn gar nicht mehr für mich? Nein, er schien etwas anderes gefunden zu haben.
Aber dann sah ich, wie er das Buch mit dem gleichen schabenden Geräusch wieder zurücksteckte und sich zu mir umdrehte.
Ich sah ihm direkt in die Augen. Aber ich schaute nicht weg, nein ich hielt den Blickkontakt. Ich hatte panische Angst mich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Doch seltsamerweise schien Goldkauz geradewegs durch mich hindurch zu starren. So als hätte er mich gar nicht wahrgenommen. Ich flehte inständig, dass dem auch so war.Einige schrecklich lange Sekunden später, auch wenn ich es nicht zu hoffen gewagt hatte, drehte Goldkauz den Kopf wieder von mir weg und bog in den nächsten Gang ein. Wie in einer Momentaufnahme verharrte ich noch kurz in der selben Position, dann fiel die Anspannung langsam von mir ab.
Aber trotzdem wusste ich, dass die Gefahr noch nicht gebannt war. Vielmehr beschlich mich immer mehr der dringende Verdacht, dass Goldkauz bestimmt noch einige Tricks auf Lager hatte, um mögliche Eindringlinge zu stellen.
Was zum Beispiel, wenn er die Tür der Bibliothek abschließen würde? Dann könnte er morgen früh ganz bequem gucken, ob jemand fehlt und die Bibliothek noch einmal durchsuchen.Je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass ich hier raus musste. Und zwar bevor Goldkauz den Saal verließ. Also, wenn man es so recht bedachte, am besten sofort. Außerdem begann mein linkes Bein immer stärker zu schmerzen, weil mein ganzes Gewicht auf ihm lag. Doch wenn ich mich jetzt bewegte, würde Goldkauz zurückkommen. So viel war sicher. Lieber sollte ich mir überlegen, wie ich danach möglichst schnell zur Tür kommen würde. Ich rief mir noch einmal den Weg ins Gedächtnis, den ich bis hierhin gegangen war.
Wenn mich nicht alles täuschte, musste ich diesem Gang bis zur Mitte des Raumes folgen. Wenn ich dann nach rechts abbog, sollte ich direkt auf die Tür zulaufen.
Ich lauschte auf Goldkauz' Schritte. Sie waren leiser geworden und kamen von links. Da die Tür rechts lag, war jetzt wohl die beste Chance. Und wahrscheinlich auch die einzige. Mit einem etwas wehmütigen Blick verabschiedete ich mich von den Zeitungen und dankte ihnen im Stillen für den Schutz, den sie mir geboten hatten.
Dann schob ich ohne groß darüber nachzudenken mit beiden Händen die Zeitungsstapel von mir weg. Mit einem lauten Knall kamen sie auf dem Boden auf. Das war laut gewesen. Wahrscheinlich zu laut.
Aber egal, wenigstens hatte ich nun freie Bahn. Ich schwang meine Beine vom Regalbrett und duckte mich unter der nächsten Etage hinweg. Doch ich unterschätzte die Größe meines Oberkörpers - scheinbar war ich doch nicht so klein wie ich immer gedacht hatte, Minderwertigkeitskomplexe adé - und schlug geradewegs mit dem Kopf gegen das Regalbrett über mir. Ich rieb mir kurz die schmerzende Stelle, dann richtete ich mich auf und stand auch schon auf den Zeitungen. Kleine Pünktchen tanzten vor meinen Augen, aber ich beschloss sie schlichtweg zu ignorieren.Schon hörte ich polternde Schritte, die sich in meine Richtung bewegten. Mit einem letzten Fußtritt verteilte ich die Zeitungen als Hinderniss in alle Richtungen auf dem Boden, dann rannte ich los. Die Bücher flogen nur so an mir vorbei und ich spürte, dass ich es schaffen konnte. Endlich sah ich das Ende des langen Regals, das mir signalisierte, dass ich hier nach rechts musste. Schlitternd bog ich um die Ecke. Irgendwo hinter mir hörte ich Goldkauz aufschreien. Ob er wohl gerade tatsächlich auf den Zeitungen ausgerutscht war? Ich bezweifelte es. Viel wahrscheinlicher war es, dass er schon direkt hinter mir war. Also zwang ich mich dazu noch schneller zu laufen. Doch mein linkes Bein schmerzte noch immer und ich merkte, wie ein merkwürdiges Gefühl bis in den Fuß zog. Aber da war vor mir auch schon die Tür. Ich stieß sie auf und schlüpfte hindurch. Dann riskierte ich einen kurzen Blick nach hinten und was ich sah jagte mir einen gehörigen Schrecken ein. Goldkauz kam gerade um die Ecke gebogen und es trennten ihn höchstens noch dreißig Meter von mir. Zu allem Überfluss hatte er jetzt wahrscheinlich auch noch mein Gesicht gesehen und wusste nun wer der Eindringling war. Wut über mich selber stieg in mir auf.
Und das gab mir neue Kraft. Mit einem dumpfen Laut stieß ich mich von der Wand ab und rannte den langen Gang zurück zum Trakt der Adeligen, nur dass ich diesmal keine Augen mehr für irgendeine Holzbearbeitung unter der Decke hatte und sei sie noch so schön. Meine Lungen begannen zu pfeiffen und ich fühlte, dass der Drang anzuhalten und einfach aufzugeben immer übermächtiger wurde. Aber ich durfte nicht aufgeben, nicht jetzt. Damit setzte ich nicht nur mein Wohl aufs Spiel, sondern vermutlich auch das meiner Familie.
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Rat der Sinne
Fantasy~ Eine Weile saßen wir so da. Ohne Worte. Und diesmal liebte ich die Stille, die sich zwischen uns breitgemacht hatte. Sie bildete keine Mauer mehr, die uns trennte, sondern vielmehr eine Glocke, die uns umgab und im stillen Einvernehmen miteinander...