41

29 7 7
                                    

Ziemlich wortkarg lief ich neben Lenius her, bis ich es nicht mehr aushielt.
"Deinen Auftritt gerade fandest du wohl ganz lustig, wie?" Mit verschränkten Armen drehte ich mich zu ihm um. Als mir aber auffiel, dass man beim Gehen die Arme nur schlecht verschränkt halten konnte, ließ ich sie wieder sinken und begnügte mich damit Lenius mit meinen giftigen Blicken zu durchboren.

"Das war peinlich, weißt du das eigentlich? Dalantus war gerade mitten in einer Erzählung und du hast alles kaputt gemacht!" Mir gefiel dieses immernoch anhaltende Grinsen nicht. Was war nur los mit ihm?

"Aha, so weit ist es schon gekommen. Dalantus nennst du ihn also..."
"Ich habe...", im letzten Moment biss ich mir auf die Zunge. Ich glaube es war besser, wenn die wenigsten davon erfuhren, dass Dalantus mein Onkel war. In der Öffentlichkeit würde er einfach wieder Nigrus sein.

"Ja, ich weiß, du hast geschlafen", verstand Lenius meinen Satz völlig falsch und doch war es ein kurzer Schockmoment. Hatten wirklich alle gedacht, dass ich schlafe? Ich hatte mir bloß alles bildlich vorgestellt. Und die Stühle waren halt gemütlich. Fast zog ich einen Schmollmund, aber ich konnte mich gerade noch davor hüten ihn Lenius zur Schau zu stellen. Ich könnte mich ohrfeigen!
"Sehr spannend schien das, was Nigrus erzählt hat, aber nicht zu sein", redete Lenius unbeirrt weiter und musterte mich dabei ganz komisch. Kam es mir nur so vor, oder war er ein Stück größer als sonst. Er guckte so von oben auf mich herab. Oder der Gang war einfach nur klein und deshalb sah es so aus. Jedenfalls hatte Lenius es geschaff,t schon wieder eine Akürzung zu finden, die ich noch nie gegangen war. Den Anfang der Strecke hatte ich noch gekannt. Es war natürlich der Gang vor Dalantus' Gemach gewesen und das Ende sollte ich wohl auch kennen, wenn wir, wie Lenius es gesagt hatte, zum Training gingen. Aber diese kleinen Gänge, die voller Spinnenweben waren, sahen nicht aus, als ob sie oft benutzt würden.

Um endlich von diesem elendigen Thema Schlaf wegzukommen, wagte ich einen Versuch das aufzuklären, was mir schon seit dem Tag, an dem Lenius mich zur Küche mitgenommen hatte, durch den Kopf ging.

"Weißt du noch, als du mir heimlich die Küche zeigen wolltest?" Ich merkte selber, dass meine Stimme eine Spur zu melancholisch klang, um Lenius zu einer Antwort herauszufordern. Also bemühte ich mich um einen festeren Klang, als ich fortfuhr: "Du hast mich einmal in diese Nische gezogen, weißt du noch?" Eigentlich erwartete ich keine Antwort darauf, aber mir viel schon wieder auf, wie falsch man diesen Satz interpretieren konnte. Wir zwei zusammen in einer engen Nische...
"Warum wusstest du so früh, dass jemand kommen würde? Erst habe ich gedacht, du hättest bestimmt jemandem in dem langen Gang gesehen. Aber bevor ich ihn hören konnte, wäre das ziemlich unwahrscheinlich. Und ich hatte auch noch nicht genug Trainigsstunden, als dass du mir erzählen könntest, ich hätte die Stimmen in meinem Inneren ausgeblendet", fügte ich hinzu, um ihm jede Möglichkeit zu nehmen, mir eine Lüge aufzutischen.

Doch der einzig sichtbare Effekt war bisher, dass Lenius' Lächeln verschwand und er trotz seines normalerweise zügigen Schrittes auf einmal stehen blieb. Fast wäre ich in diesem engen Gang in ihn hinein gerannt, aber ich konnte mich gerade noch bremsen. Das wäre jetzt noch das allerletzte gewesen.

"Lucy!" Täuschte es mich, oder sah Lenius gerade sehr erwachsen aus? Dieser Gesichtsausdruck machte mir Angst und ich biss mir auf die Lippe, bis ich das Gefühl hatte, dass sie blutete. Lenius hatte den Schergen nicht einfach nur so gesehen, dass bestätigte sich in der langen Zeit, in der er um eine Antwort rang. Auf einmal fiel mir auf, wie dunkel es eigentlich in dem Gang war. Ich atmete einmal tief durch und stützte mich an der Wand ab. Doch als ich meine Hand zurückzog sah ich, wie die Wand grüne Schlieren darauf zurückgelassen hatte. Aber endlich war Lenius so weit und lenkte mich von dem Würgreiz ab, der sich gerade von meinem Magen aus hocharbeitete.

"Lucy, das ist nichts für hier und jetzt. Es wäre ein Fehler es dir zu sagen. Ich kann nicht leugnen, dass da etwas nicht so gelaufen ist, wie es hätte laufen sollen, aber du musst verstehen, dass ich es dir nicht sagen kann." Er bedachte mich mit einem mitleidigen Blick, aber dadurch würde ich mich nicht erweichen lassen. Nicht, nachdem wir so lange in diesem moderigen Gang gestanden hatten. Nun gut, wahrscheinlich waren es nicht mehr als zwei Minuten gewesen, aber dieser schimmlige Geruch schnürte mir mehr und mehr die Luft ab und ich bereute es schon, es genau an dieser Stelle angesprochen zu haben. Wobei hier der Vorteil war, dass niemand vorbeikommen würde und unsere Unterhaltung mithören konnte.

"Du bist sicher, dass du mir nichts davon sagen kannst?", startete ich einen neuen Versuch, schob aber noch schnell hinterher: "Es ist mir wichtig Lenius, versteh das bitte. Ich kenne dich nun schon eine Weile und du bist ein guter Freund geworden. Du hast mir das Leben gerettet und wir haben viel Zeit miteinander verbracht, als ich krank bei dir zu Hause lag. Ich würde mir wünschen, dass wir keine Geheimnisse mehr voreinander haben."

Vielleicht war es gemein es auf diese Weise zu versuchen, aber es stimmte, was ich gesagt hatte. Lenius war wirklich ein guter Freund geworden. Er war der Einzige auf der Burg, mit dem man ganz normale Gespräche führen konnte. Und auch wenn er seine Macken hatte, so wie die, dass er mir gerade nicht sagen wollte, warum er gewusst hatte, dass ein Scherge kam, so schätzte ich ihn wirklich sehr.

"Ich weiß, dass es dich nur noch neugieriger machen wird", fing Lenius an, "aber du hast schon Recht in deiner Annahme. Es war auch keine Absprache, dass dieser Scherge in dem Moment vorbeikam. Und schließlich waren es mehrere, denen wir begegnet sind. Ich hoffe das reicht dir, um zu wissen, dass es nicht an dir liegt, dass ich dir keine weiteren Informationen geben kann. Es ist mir einfach nicht möglich, verstehst du Lucy, ich darf nicht."

Er warf mir einen vielsagenden Blick zu, aus dem ich jedoch überhaupt nichts herauslesen konnte. Es hätte alles heißen können von jetzt hör mal auf mir diese Fragen an den Kopf zu werfen, bis zu gräme dich nicht, dass ich dir meine Geheimnisse nicht verrate. Aber im Endeffekt war es mir auch egal.

Er durfte also nicht. Eigentlich hatte ich mir auch schon gedacht, dass es keine Absprache mit einem Schergen gewesen war, der extra in diesem Moment aufgetaucht war, nur damit er mich in diese Nische ziehen konnte. Aber er hatte recht, aufgekommen war er mir schon. Auch hätte ich ihm eine solche Aktion nicht zugetraut, aber ich musste zugeben, dass es mir vielleicht sogar gefallen hätte. Vielleicht.

Trotzdem klärte das immer noch nicht meine Frage, aber ich beschloss die Sache auf sich beruhen zu lassen. Lenius schien in solchen Dingen nicht sehr gesprächig zu sein. Immerhin hatte er mir, als ich ihn nach der Volksstimme gefragt hatte, ebenfalls kein Sterbenswörtchen dazu gesagt.

"Es tut mir Leid, Lucy", meldete sich Lenius' Stimme wieder zu Wort. Und ob ich wollte oder nicht, ich musste ihm einfach glauben.

"Schon in Ordnung." Ich wusste, dass dieses Thema nun entgültig abgeschlossen war, aber immerhin würde ich hier vielleicht noch einmal die Gelegenheit haben, andere Leute über Lenius auszufragen. Wogegen die Gelegenheit, etwas über diese sagenumwobene Legende der Sehenden und Riechenden zu erfahren, entgültig verflogen war. Ich hätte sie packen müssen, festhalten und ausnutzen. Ich hätte keines von Dalantus' Worten verpassen dürfen. Und wenn ich dafür hätte Handstand machen müssen, um wach zu bleiben. Es war die Gelegenheit gewesen und ich wusste wie immer nur die Hälfte. Langsam wurmte mich das Ganze.
Aber vielleicht würde ich ja beim Training für einen Moment vergessen können, was mir gerade alles durch den Kopf ging. 


Rat der SinneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt