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Ein sanfter, warmer Geruch kitzelte mich in meiner Nase. Es roch ein wenig nach Minze und Zitrone, wahrscheinlich ließ Aluana gerade den Tee ziehen. Lange konnte ich also nicht geschlafen haben, wenn ich überhaupt geschlafen hatte.

Ein paar Sekunden später öffnete sich auch schon die Tür und Aluan kam herein, dicht gefolgt von Lenius, der ein großes Tablett mir drei dampfenden Tassen balancierte.
In Ermangelung irgendwelcher Ideen, wie ich ein halbwegs sinnvolles Gespräch beginnen konnte, beließ ich es bei einem dankbaren Kopfnicken. Aluana schien mein Schweigen richtig zu deuten und fing an zu reden. Doch auch sie schien sich im Voraus Gedanken über unser Gespräch gemacht zu haben, denn ihre Worte kamen schnell und ohne Atempause.
"Lucy, wie geht es dir denn jetzt? Ich wusste nicht, was für Tee du magst, aber ich habe uns jetzt eine heiße Zitrone gemacht. Ich hoffe das schmeckt dir." Sie stellte mir eine Tasse neben das Bett, jedoch nicht, ohne währenddessen weiterzusprechen. "Aber pass auf, der Tee ist noch sehr heiß, was würden denn deine Eltern sagen, wenn sie erführen, dass du dir bei mir direkt die Zunge verbrannt hast?" In diesem Moment bedachte Lenius sie mit einem tadelnden Blick der ungefähr sagte: Man Mama, wie konntest du nur so taktlos sein, die Schergen haben sie ihren Eltern weggenommen und auf die Burg gebracht. Und auch Aluana schien sich schnell wieder an meine Geschichte zu erinnern, denn sie schlug erschrocken die Hand vor den Mund.
"Oh nein, es tut mir wirklich so Leid, Lucy, so Leid", schon wieder redete sie so schnell, dass sie sich immer wieder verhaspelte. "Ich dachte nur für einen ganz kurzen Moment, weißt du, also..."

Eine verdächtige Röte stieg ihr ins Gesicht und sie machte nicht den Eindruck, als würde sie ihren Satz noch zu Ende bringen wollen. Aber als ich ihr aufmunternd zulächelte, tat sie es doch.
"Also ich hatte mir nur ganz kurz vorgestellt, Lenius hätte endlich jemanden kennengelernt und diejenige mit hierhergebracht. Dann würde er vielleicht auch endlich sein Schergen-Dasein aufgeben und ich bekäme ihn etwas öfter zu Gesicht" Inzwischen hatte sich das Rot noch intensiviert und kleine Flecken bedeckten ihre Wangen. Beschämt drehte sie sich um und ging, gefolgt von ein paar giftigen Blicken von Lenius, mit schnellen Schritten aus dem Raum.
"Ich lass euch dann mal ein bisschen alleine", rief sie noch hinterher, aber da war die Tür schon fast wieder zu. Ihre Tasse hatte sie völlig vergessen. Sie stand unberührt und unschuldig dampfend auf dem Tablett und würde wohl noch eine Weile warten müssen, bis sich jemand ihrer erbarmte und sie austrank.

Schon wieder füllte diese unangenehme Stille den Raum aus. Manchmal kam es mir so vor, als baute sie eine richtige Mauer zwischen den Menschen auf, sodass es, je länger die Stille anhielt, immer schwerer wurde, diese Mauer zu überwinden. Kurz gesagt, ich hasste Stille. Außer ich brauchte sie gerade ganz dringend, weil in meinem Inneren alle Geräusche explodierten. Aber in diesem Moment war es so ruhig, dass ich sogar meinen Herzschlag zu hören meinte.
Und zwischen Lenius und mir war mir das Schweigen ganz besonders peinlich. Also probierte ich es mit etwas ganz Banalem.
"Danke Lenius, dass du mich hier herunter gebracht hast. Ich glaube ohne dich wäre ich..." Meine Stimme brach und ich spürte, wie sich ein dicker Kloß in meiner Kehle formte. Ich glaube, das war doch nicht das richtige Gesprächsthema, das ich da gewählt hatte. Aber jetzt war es zu spät.
"Lucy, ich freu mich doch selber, dass ich dich gefunden habe. Ich weiß immer noch nicht wie es kam, dass ich dich entdeckt habe, aber irgendetwas hat mich genau an die Stelle gezogen wo du lagst."
Auch seine Stimme klang etwas belegt und eine gewisse Starre lag wie eine Maske auf seinem Gesicht. Nein, eindeutig keine gute Themenauswahl.Ein kleiner Themenwechseln konnte da sicherlich nicht schaden.
"Wie geht es eigentlich deinem Arm?" Mit einem leichten Seitenblick stellte ich fest, dass da noch immer diese Verdickung an seinem Arm war, die wohl von einem Verband herkam.
"Es geht", antworte Lenius und es klang wahrheitsgemäß. "Eigentlich schon wieder viel besser. Nur manchmal habe ich noch Schmerzenswellen, die ziemlich unangenehm sind. Aber meine Mutter hat sich die Stelle schon angeschaut und eine ihrer Salben darauf gemacht. Sie meinte, dass das bald wieder werden würde." Auch wenn es mich interessierte, ich wollte nicht fragen, wer ihn nun letztendlich versorgt hatte, nachdem Artos ihm das Messer in den Arm gerammt hatte. Außerdem wollte ich immernoch wissen, wo das Messer hätte eigentlich landen sollen. Aber das war sicherlich keine Frage, die man hier und jetzt erörtern sollte.

Also war da schon wieder diese Stille zwischen uns. Das Knarren, als Lenius sich neben mich aufs Bett setzte, hallte unnatürlich laut in dem Raum wieder.
Ich wollte weder weiter über mich und das Labyrinth sprechen, noch hatte ich das Gefühl in dieser Situation einfach ein neues Thema anschneiden zu können. Irgendwas machte ich falsch. Grundlegend.

Lenius öffnete seinen Mund, als wolle er etwas sagen, doch ohne, dass ein Laut über seine Lippen kam, schloss er ihn wieder.
Irgendetwas stimmte hier nicht. Die Atmosphäre war viel zu bedrückt, als das es nur an meinem taktlosen Gesprächsbeginn liegen könnte.
Ich nahm einen Schluck von dem Tee, um überhaupt etwas zu tun. Er rann mir heiß den Rachen herunter und verbrannte mir die Zunge, auch wenn er schon eine Weile neben meinem Bett gestanden hatte. Trotz der Hitze breitete sich ein fruchtiger Geschmack auf meiner Zunge aus und ich beschloss hier und jetzt zu klären, was eigentlich los war.

"Was beschäftigt dich Lenius, ist irgendwas? Ist es wegen mir? Habe ich was falschgemacht?"
Er sah mich abwesend an. Als meine Worte endlich zu ihm durchgedrungen waren, hielt er noch für einen kurzen Moment inne und antwortete mir dann: "Ja, und - nein. Du hast nichts falschgemacht. Ich musste nur über etwas nachdenken."
Als er nicht weitersprach, schaute ich ihn mit einem flehenden Ausdruck in den Augen an. Warum mussten denn hier alle immer mitten im Satz aufhören und das Wichtigste außen vor lassen?
Ich konnte ihn doch nicht ernsthaft fragen, worüber er nachgedacht hatte. Aber ich musste schon zugeben, dass es mich interessierte. Vor allem weil seine Antwort eben nahelegte, dass es doch um mich ging.

Nach kurzem Überlegen schien sich Lenius aber doch freiwillig dazu zu entschließen, mir den Rest der Wahrheit auch noch mitzuteilen.
"Wenn du es wirklich wissen willst, werde ich es dir sagen."
Meine Güte, dass klang ja sehr formell und wirklich wichtig. Mit einem ernsten Gesichtsausdruck nickte ich ihm zu. Wenn es mich betraf, wollte ich es wissen. Unbedingt.
"Meine Mutter hat mir etwas erzählt. Du weißt, dass sie mich nicht zu dir lassen wollte, als du die Fieberträume hattest? Aber trotzdem hat sie mir einiges über deine Fantasien berichtet und mich gefragt, ob ich wüsste, was sie zu bedeuten hätten. Leider konnte ich es ihr nicht sagen, aber ich muss zugeben, dass ich es selber gerne wüsste."
Trotz seines steinernen, vielleicht sogar ein bisschen traurigen Gesichtsausdrucks, der den Ernst der Lage nur zu gut verdeutlichte, schweiften meine Gedanken schon wieder ab und ich musste daran denken, wie Lenius immer wieder schaffte, so um den heißen Brei herumzureden, dass man überhaupt nicht wusste, worauf er eigentlich hinaus wollte.
"Was habe ich denn nun gesagt, was scheinbar so schlimm war?" Langsam machte er mich wirklich neugierig und ich merkte, wie mein Herz hefig zu Pochen anfing, als ich im Kopf verschiedene Dinge durchging, die ich in meinen Fieberträumen erzählt habe könnte.
"Du hast immer wieder von jemandem gesprochen. Man konnte nicht alles verstehen, hat mir meine Mutter gesagt, aber doch so viel. Du hast immer wieder gerufen Komm her, lass dich anschauen. Du bist wunderschön."
Erschöpft stützte Lenius den Kopf in seine Hände und mir wurde in dem Moment klar, mit welchem Hintergrund Lenius mir diese Dinge erzählt hatte.
Die Erkenntnis, dass ich ihm noch mehr bedeutete, als ich bisher gedacht hatte, jagte mir einen wohlig warmen Schauer über den Rücken und ich musste mich schnell abwenden, damit er nicht sah, wie ein breites Lächeln mein Gesicht zierte.

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Eine Frage an euch, kennt ihr auch dieses Gefühl, wenn ihr gerade jemandem gegenüber sitzt, meistens jemand, den man nicht so gut kennt und keiner weiß, wie man das Gespräch anfangen soll?

Mir ist es dann immer mega unangenehm und ich suche verzweifelt nach irgendwelchen Gesprächsthemen, die dann halt meistens mehr oder eben auch weniger sinnvoll sind. Weil es an diese Stelle so gut passte und ich denke, dass viele das kennen werden, musste ich das einfach einbauen...

Dieses Kapitel kommt mal etwas früher als am Wochende. Ich muss schauen, ob ich am Wochenende noch eins schaffe, aber ich gehe mal eher nicht davon aus, da ich gerade sehr verplant bin ;)

Rat der SinneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt