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Ich spielte nun ernsthaft mit dem Gedanken umzudrehen. Was sollte das Ganze denn noch, wenn der Gang doch nur eine Sackgasse war und ich wieder zurück musste?

Plötzlich wurde ich jäh aus meinen Überlegungen gerissen. Vor meinen Füßen erstreckte sich ein riesiges Loch im Boden. Gerade noch rechtzeitig schaffte ich es stehen zu bleiben. Eine Sekunde später und ich läge jetzt - ich schaute in die Senke hinein - in einem gut und gerne drei Meter tiefen Loch. Wer hatte sich denn bitte sowas ausgedacht? Und warum baut man überhaupt ein Loch in einen Gang?
Ich verzog das Gesicht.

Mir fielen genau zwei mögliche Erklärungen ein. Entweder der Gang war nur zur Materialbeschaffung gedacht, oder aber es gab einen Grund, dass man ihn nicht benutzen sollte.
Beides war genauso plausibel wie abwegig. Wer lief schon so weit, nur um Baumaterial zu beschaffen? Und sollte man diesen Gang nicht lang gehen, kam direkt die Frage auf, wo der Gang denn hinführte. Nein, die wahrscheinlichste Lösung war be immer noch die Sackgasse.
Trotz dieser Vermutung, die sich mir immer weiter aufdrängt, beschloss ich weiter zu gehen.
Trotz des Loches  -  oder gerade wegen des Loches, weil ich unbedingt wissen musste, warum es da war. Und die Antwort darauf lag nunmal geradewegs weiter den Gang hinunter.
Erst spähte ich noch einmal in das Loch, was ich besser nicht gemacht hätte, angesichts der Tatsache, dass an der rechten Wand nur ein wenige Zentimeter breite Steg blieb, um das Loch zu überwinden.
Ich drehte mich mit meinem Gesicht zur Wand und stellte meine Zehenspitzen hintereinander auf den Steinvorsprung und tastete mich vorsichtig vorwärts. Millimeter für Millimeter schob ich meine Füße nach vorne und grub meine Hände in die Wand.

Als ich endlich auf der anderen Seite ankam, waren meine Hände aufgescheuert und meine Fingernägel eingerissen. Ich lutschte provisorisch an meinen Fingerspitzen, aber es half nicht viel.
Und jetzt, wo ich auf der anderen Seite stand wurde mir bewusst, dass ich diesen Weg auch wieder zurückgehen musste, falls ich mit der Sackgasse richtig lag.
Egal. Nach vorne schauen und weitergehen.
Das hieß dann wohl oder übel den feucht-nassen Tunnelwänden weiter ins Ungewisse zu folgen.

Nachdem ich eine Weile monoton einen Schritt vor den anderen gesetzt hatte, ohne groß über irgendetwas nachzudenken, bemerkte ich, dass ich die nächste Fackel nicht mehr erkennen konnte. Entweder der Gang bog scharf ab oder da waren keine Fackeln mehr.
Mein Herz begann schneller zu schlagen. Schon in diesem Dämmerlicht zu laufen war schrecklich. Aber ganz ohne Licht würde es schier unmöglich sein, nicht alle fünf Meter mit seinem Kopf gegen die Wand zu schlagen.
Doch je näher ich der tiefen Schwärze kam, desto mehr wurde mir das Ausmaß dessen bewusst, was dort vor mir war. Oder besser gesagt, sich vor mir auftürmte.

Vor mir lag ein großer aufgeschichteter Geröllhaufen. Fassungslos starrte ich ihn an, als könnte er dadurch verschwinden. Aber es tat sich nichts. Kein einziger Stein bewegte sich unter meinem stechenden Blick, so sehr ich auch in Gedanken darum flehte. Das gehörte wohl eindeutig nicht zu den Dingen, die mir meine Gabe ermöglichte.

Aber mal ganz ehrlich. Warum baut man erst ein tiefes Loch in einen Gang und schichtet dann, dreihundert Meter weiter hinten, den Aushub auf einen Haufen, der den kompletten Tunnel blockiert?
Das müsste doch einen Grund haben.
Ein bitteres Lächeln schlich sich in meine Mundwinkel.
Wahrscheinlich war diese Idee einzig und allein der wirren Fantasie von Goldkauz entsprungen.

Trotzdem musste ich weiter. Haufen hin oder her. Denn wie es aussah, sollte wirklich keiner mehr durch diesen Gang gehen.
Ich trat ganz dicht vor den Steinhaufen. Die Brocken waren groß und wogen bestimmt mehrere Kilos. Langsam ließ ich meine Hand über die raue Oberfläche fahren.  Irgendwie hatten die Steine etwas altehrwürdiges und mächtiges. Wie sie so ruhig im Halbdunkeln lagen und sich seit Jahren nicht bewegt hatten.
Aber das würden wir ändern.
Ich schob mir die Ärmel von meinem Kleid hoch und begann einen Stein probeweise hochzuheben. Er war schwer. Sehr schwer.
Doch mit ein wenig Mühe würde ich sie schon wegbekommen.
Ich hob den Brocken vor meinem Bauch, machte ein paar unsichere plumpe Schritte zur Tunnelwand und ließ den Stein fallen.
Mit einem dumpfen Schlag kam er auf dem Boden auf, der verzzerrt im ganzen Gang hin und her hallte und vielfach zurückgeworfen wurde.
Aber um den Lärm machte ich mir schon länger keine Gedanken mehr. Mir kam keiner hinterher und bis oben in die Burg würde man das Geräusch sowieso nicht hören. Selbst Goldkauz nicht, der ja nunmal die gleiche Gabe besaß wie ich.
Und selbst wenn, sollte er doch denken, dass es eine kleine Lawine war, die sich weiter unten im Tal gelöst hatte.

Rat der SinneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt