Das alles kam mir so unwahrscheinlich bekannt vor. Hatten wir nicht vor drei Wochen genau auf diesen Plätzen im Saal gesessen und auf Neuigkeiten von der Volksstimme gewartet?
Der einzige Unterschied war wohl, dass Lord Forly damals bis zum Ende nicht mit den Neuigkeiten herausgerückt war, ich keine Ahnung von Regierungsgeschäften hatte und auch eher ungewollt bei der Ratssitzung dabeigewesen war.Nachdem ich an fast jedem Tag in der letzten Woche neben dem Training auch noch mit Goldkauz über die Funktionsweise des Bundes gesprochen hatte, fühlte ich mich schon viel informierter und inzwischen war ich sogar rechtmäßig bei den Sitzungen dabei. Es gab mir ein gutes Gefühl, wirklich dazuzugehören. Wobei ich mich die meiste Zeit trotzdem wie jemand fühlte, der keine Ahnung hatte. Deshalb war ich auch eher der stille Zuhörer, der sich seine eigene Meinung bildete und sie erst in der Abstimmung zeigte. Ob es nun um die Bestellung der Felder, die Marktplätze, oder die Versorgung der Adeligen ging, ich bemühte mich stets darum, mit meinen Abstimmungen nicht zu viel Aufsehen zu erregen. Das hieß, dass ich meistens die selbe Meinung wie Goldkauz vertreten musste, was mir nicht immer passte. Aber wenn es irgendwie ging, entschied ich aus Sicht des Volkes. Die Gedanken an meine Mutter und an Liv ließen es nicht zu, dass ich mich gegen das Volk wandte, aus dem ich selber kam. Die Gedanken hielten mich fest und leiteten mich in meinen Entscheidungen. Sie sind diejenigen, die mich an meinem Glauben festhalten lassen.
Ein Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. Mit einem schnellen Knarzen öffnete sich der eine Türflügel und ein stämmiger Mann streckte seinen Kopf herein. Es herrschte Totenstille im Raum. Wäre jetzt auch nur ein Sandkorn auf den Boden gefallen, jeder hätte es hören können. Nachdem der Fremde, immer noch ohne ein Geräusch zu machen, einmal die Augenbrauen hochgezogen hatte und einen langen Blick in die Runde geworfen hatte, drückte er die Tür endlich ganz auf und trat herein.
Als ich mich umschaute, glich mein Blick genau dem der anderen. Skepsis, gemischt mit einer Spur Argwohn und Verwunderung. Was tat dieser Mann hier? War er derjenige, der uns die Informationen bringen sollte? Er war jedenfalls nicht wie ein klassischer Bote gekleidet. Normalerweise hätte seine Uniform die eines Schergen sein müssen, mit dem Symbol des Bundes ganz in Gelb als Zeichen der Boten. Seine Uniform glich jedoch eher einer normalen Alltagskleidung. Er trug ein derbes Hemd und eine weite Hose. Sein Kinn war unrasiert, was seiner Stärke nur noch mehr Ausdruck verlieh und seine Füße steckten in grauen Lederschuhen. Immerhin die schienen zu einer Schergenuniform zu gehören.
Goldkauz löste sich als erster aus seiner Starre. Scheinbar hatte er es aufgegeben auf die vorgegebenen Höflichkeitsfloskeln zu warten. Stattdessen wagte er sich nun selbst daran, den Fremden zu begrüßen.
"Seien Sie gegrüßt mein Herr! Ich sehe, Sie haben Ihren Weg hier zu uns gefunden. Erlauben Sie mir die Frage, ob Sie der Bote sind, der Neues von der Volksstimme zu berichten weiß?" Ich spürte, dass Goldkauz nicht überzeugt war vom Auftritt des Fremden. So akrobatische Formulierungen verwendete selbst Goldkauz sonst nicht. Er strich sein ohnehin knitterfreies Hemd glatt und ich merkte, wie er die Situation abschätzte. War das wirklich ein Scherge, oder doch ein böser Eindringling, vielleicht ein Gegner des Bundes?
Der Fremde zeigte sich jedenfalls vollkommen unbeeindruckt. Er trat noch einen Schritt weiter auf den Tisch zu und ich sah, wie die Hände aller drei Nigri an ihre Gürtel zuckten.
Doch auch das ließ ihn kalt. Stattdessen verbeugte er sich jetzt doch, bis seine Nase fast auf den Boden stieß. Die Luft surrte in meinen Ohren und verbreitete ein unangenehmes Vibrieren.
Ironie oder Ernst? Langsam wurde ich auch nervös. Alle Blicke waren wachsam auf ihn gerichtet, doch er hatte noch immer kein Wort gesagt. Das sollte sich aber jetzt ändern."Verehrte Ratsmitglieder, ich bin derjenige, der die Informationen über die Volksstimme preisgeben wird. Ich habe sie erfahren, sie in mir bewahrt und gehütet wie meinen eigenen Augapfel. Ich bin gekommen, um sie Ihnen nun zu übergeben."
Seine Stimme klang voll und klar. Und ganz entgegen aller Erwartungen war er äußerst höflich. Ich glaube niemand hätte es von ihm erwartet, denn erst jetzt legten die Nigri ihre Hände wieder auf den Tisch und die Atmosphäre lockerte sich langsam. Das Surren verschwand aus meinen Ohren und ich konnte meine volle Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen vor mir widmen.
Der Fremde deutete ein weiteres Mal eine Verbeugung an und fuhr dann fort: "Ich bin ein Bote. Mir ist bewusst, dass man es mir nicht mehr ansieht, aber ich wurde von den Mitgliedern der Volksstimme angefallen. Als sie entdeckten, dass ich keiner von Ihnen war, sondern mich nur als solcher ausgegeben habe, haben sie mich eingesperrt. In den Tiefen der Höhlen habe ich gesessen. Tag für Tag, Nacht für Nacht."
Erst jetzt fielen mir seine dunklen Augenringe auf, die sich wie ein Schatten unter seinen Augen herwanden. Sie minderten zwar nicht seinen Ausstrahlung von Stärke und Entschlossenheit, aber sie zeigten, dass er nahbarer war, als ich vielleicht zu Anfang gedacht hatte.
"Um mein Leben habe ich gebangt. Doch so viel sie mich traten, schlugen und baten, gesagt habe ich nichts. Nicht woher ich komme, nicht wohin ich will, nicht was meine Pläne sind.
Ich habe geschwiegen. Geschwiegen und ausgehalten." Er machte ein theatralische Geste und ließ seinen Kopf zur Seite kippen, als wäre er in diesem Moment gestorben."Ich habe bei einmal täglich Wasser und einem Stück Fisch mein Leben verteidigt. Einen stillen Kampf habe ich ausgefochten. Das Wasser von den Steinwänden habe ich geleckt."
Seine Worte fesselten mich. Ich konnte nicht mehr anders als gebannt seiner Erzählung zu lauschen. Endlich bekam ich ein Bild von der Volksstimme. Von dieser Gruppe, die Leben zerstörte, die Menschen quälte.
"Aber ich habe durchgehalten, für unser aller Wohl." Er führte seine Hand zur Faust geballt an seine Brust und stand in einer Siegerpose vor uns. Dabei fiel mir ein Riss ins Auge, der sich seitlich sein Hemd hinunterzog. Darunter befand sich ein blutiger Wulst, der auch die Ränder des Risses mit Blut tränkte. Aber nach einem kurzen Blick, ließ er seinen Arm wieder sinken und der Schnitt wurde wieder verdeckt.
Das Bild der Wunde hielt sich in meinem Kopf wie ein Feuerwerk, dessen Lichtschein vor dem inneren Auge hängen bleibt. Dieses getrocknete Blut. Wer konnte einem Menschen so etwas antun? Aber der Bote nahm keine Rücksicht auf meine Gedankengänge, sondern führte seine eigenen in epischer Breite weiter aus. Und sofort hing ich wieder wie gebannt an seinen Lippen.
"Ich habe den weiten Weg aus dem Tal des Todes auf mich genommen, damit meine Bemühungen nicht umsonst waren."
Mit einem kurzen Blick über die versammelten Ratsmitglieder sah ich, dass ausnahmslos jeder ihm alle seine Wort förmlich aus dem Mund sog. Niemand unterbrach ihn. Niemand fing auch nur eine hitzige Diskussion an, wie das sonst so oft der Fall war. Nein, der Fremde hatte uns alle in den Bann gezogen."Drei Wochen war ich mitten unter der Volksstimme, habe als einfaches Mitglied die Strukturen kennengelernt, um nun darüber berichten zu können. Und nun hören Sie, was ich Ihnen zu berichten habe."
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Und ein Dank geht nochmal an Eule1805, sie hat mir nämlich nochmal mit ein paar Tipps zu Kapitel 43 geholfen und gesagt, dass ich noch viel mehr Gedanken einbauen kann, damit es nicht so wirkt, als würde Lucy das Zittern einfach hinnehmen.
Das habe ich getan und danke, dass du mir immer so fleißig hilfst :))
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Rat der Sinne
Fantasy~ Eine Weile saßen wir so da. Ohne Worte. Und diesmal liebte ich die Stille, die sich zwischen uns breitgemacht hatte. Sie bildete keine Mauer mehr, die uns trennte, sondern vielmehr eine Glocke, die uns umgab und im stillen Einvernehmen miteinander...