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Inzwischen saßen Lenius und ich nebeneinander auf meinem Bett. Lenius hatte kein Wort mehr darüber verloren, warum er eigentlich hergekommen war. Ob er mich nun zum Training bringen sollte, zu Goldkauz, zum Rat..., ich wusste es nicht und es war mir in diesem Moment auch ziemlich egal. Aber die Vorstellung, dass er nur so gekommen sein könnte, ohne einen offiziellen Grund dazu zu haben, zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht. Das nicht unbemerkt blieb. Lenius Mundwinkel hoben sich ebenfalls leicht an und er missverstand es offensichtlich als eine Aufforderung, ein Stück näher an mich heran zu rücken.

War das gut? War das schlecht? Auf jeden Fall ließ es mir für einen Augenblick den Atem stocken. Höchstens zehn Zentimeter trennten uns und wenn ich gewollt hätte, hätte ich ganz einfach meine Hand auf seinem Bein ablegen können.

Ich verspürte ein Gefühl von Aufregung, als würde mir gleich eine schlimme Prüfung bevorstehen. Und gleichzeitig war ich so nervös, dass ich am liebsten wieder ein Stück von ihm weggerückt wäre. Aber natürlich machte ich nichts von alldem, sondern blieb einfach nur steif sitzen und zermarterte mir das Gehirn darüber, welche halbwegs vernünftigen Worte ich auf den Weg bringen sollte.

Zum Glück kam mir Lenius in diesem Moment zuvor, schien aber ebenfalls arge Zweifel zu haben, was er eigentlich sagen wollte. "Lucy, ich - ich" Und schon geriet er ins Stocken, brachte mich gleichzeitig noch mehr in Bedrängnis, weil er seinen Arm hob und ich kurz davor war zu denken, dass er ihn nun um meine Hüfte legen würde. Allein dieser Gedanke reichte schon aus, um meine Handflächen feucht werden zu lassen und mein Herz einen unangenehmen Salto drehen zu lassen.

Was passierte hier gerade? Und noch schlimmer, was passierte eigentlich gerade in meinem Kopf?

Ich war extrem nervös und alle meine Sinne fühlten sich geschärft an. Jede von Lenius' Bewegungen wurde in sekundenschnelle analysiert und eingeordnet. Dabei hatte er seine Hand ohne auch nur irgendetwas zu machen, wieder sinken lassen. Und schon wieder war da dieses Nichtssagen. Einzig meine Gedanken passten nicht mehr in meinen Kopf. Ich war mir sicher, dass sie den ganzen Raum ausfüllen konnten, wenn ich sie nur herauslassen würde. Aber ich ließ keinen heraus. Nicht ein einziger durfte den Weg durch meinen Mund finden. Und so war es letztendlich die Stille, die konkurrenzlos den Raum für sich beanspruchte.

Als ich endlich es endlich wagte Lenius anzuschauen ohne gleich zu befürchten, dass ich dann der Gedankenexplosion nicht mehr standhalten konnte, bestätigte sich das, was ich sowieso schon vermutet hatte. Er hatte die Augen geschlossen und schien zufrieden mit der Situation. Anscheinend scherte er sich schon nicht mehr darum, dass er seinen Satz nicht zuende gebracht hatte.

Und auf einmal fühlte ich mich alleingelassen. Alleingelassen mit meinen Gedanken, alleingelassen mit meinen Gefühlen und alleingelassen von Lenius. Es war paradox, aber es war so. Ich saß da, konnte mich mit nichts anderem beschäftigen, als mit mir selbst und er lag seelenruhig neben mir und bekam von alle den Kämpfen in meinem Inneren nichts mit.

Zugegebenermaßen, vielleicht war ich auch ein bisschen neidisch auf ihn, weil er alles ausblenden konnte und es schaffte, vollkommen mit sich im Reinen und entspannt zu wirken.

Aber ewig weitergehen konnte es so nicht. Irgendwie erinnerte mich diese Konstellation, wie wir zu zweit auf dem Bett saßen an das, was vor ein paar Wochen bei Lenius geschehen war. Bei dem Gedanken lief es mir schon wieder heiß und kalt den Rücken hinunter. Und es war mir so peinlich, dass ich mich am liebsten gleich unter das Bett verkrochen hätte, um Lenius nicht mehr anschauen zu müssen.

Aber genau das tat ich. Lenius anschauen. Sein Gesicht wirkte entspannt. So entspannt, als läge er gerade auf einer Blumenwiese und hätte nichts anderes zu tun, als sich auszuruhen und Tagträumen nachzuhängen. Selbst sein Mund war entspannt und trotzdem zeigten die Mundwinkel auf eine natürliche Art und Weise ein wenig nach oben. Seine Lippen waren schmal und sahen doch gut aus. Natürlich. Mit einem flauen Gefühl im Magen spürte ich, dass das nicht die passenden Gedanken waren, die ich weiter ausführen wollte. Also verschwendete ich meinen Blick lieber auf seine Wangen, die von ein paar kleinen Sommersprossen geziert waren.

Wie viele er wohl haben musste, wenn er den ganzen Sommer über draußen gewesen war? Hier auf der Burg kam man schließlich kaum nach draußen, aber früher, als er noch bei seinen Eltern gelebt hatte, musste der kleine Lenius ein Gesicht gehabt haben, das vor Sommersprossen nur so strotzte.

Die Vorstellung amüsierte mich und mir entfuhr ein leises Lachen. Ich schlug die Hand vor den Mund und mit einem erschrockenen Blick stellte ich fest, dass Lenius' Augenlider flatterten. Ein kleiner Nagel stach mir ins Herz, als ich darüber nachdachte, dass er sehen könnte, wie ich ihn beobachtete.

Also tat ich schnell so, als würde ich mich ihm gerade erst zuwenden, als er tatsächlich seine Augen aufschlug und mich verschlafen anschaute. Mit mehr Glück als Verstand widerstand ich dem Drang ihm seine Haare aus dem Gesicht zu streichen und drückte meine Hand, kaum dass sie sich heben wollte, mit aller Kraft zurück aufs Bett und befahl ihr dort zu bleiben.

"Warum hast du gekichert?" Er schaute mich fragend aus seinen blass grünen Augen an. Und ich brachte keinen Ton heraus. Ich starrte ihn einfach nur an und sagte gar nichts, was mir doch ziemlich peinlich war, woraufhin ich mit krächziger Stimme sagte: "Ach nichts, war nicht so wichtig." Eigentlich war es wirklich nicht wichtig, wie Lenius in seiner Kindheit ausgesehen hatte. Aber trotzdem hatte sich diese Vorstellung in meinem Gehirn festgebrannt. Dieses spitzbubige Gesicht mit runden Bäckchen, die über und über mit Sommersprossen bedeckt waren. Vielleicht hatte seine Mutter ja wirklich mal einen der gefragten Maler bestellt, um ihre Familie im Bild festuzuhalten. Fast jede Familie machte das einmal.

Ich zog meine Beine an, um etwas Zeit zu gewinnen, aber letzendlich fragte ich ihn doch.
"Hast du ein Bild von dir als Kind?" Ich sah ihn aus großen Augen an, bis mir auffiel, wie anstrengend es eigentlich war seine Augenbrauen so in die Höhe zu reißen, und wie lächerlich es aussehen musste.

"Du willst nicht meine Sommersprossen zählen, oder?" Das war direkt und er traf den Nagel auf den Kopf. Damit hatte ich nicht gerechnet und unwillkürlich fing mein Herz wieder schneller an zu schlagen. Ich war nicht die erste, die ihn aufgrund seiner Sommersprossen nach einem Bild von ihm gefragt hatte? Am liebsten wäre ich ein weiteres Mal unters Bett gekrochen. Und zwar dieses Mal wirklich. Doch stattdessen stierte ich nur meinen Kleiderschrank an, als hätte ich Augen, die die Schrankwand durchleuchte könnten. Mir blieb nichts anderes übrig, als mir eine halbwegs sinnvolle Antwort aus den Fingern zu saugen.

Aber dazu kam ich gar nicht mehr, denn entweder war Lenius meine Verlegenheit aufgefallen, oder er redete einfach so weiter.

"Es gibt da ein Bild. Auf dem bin ich vielleicht fünf. Selbst meine Schwester Elae sieht schon richtig erwachsen aus, obwohl sie erst ein paar Jahre älter als ich ist. Und dann komme ich. Noch auf dem Arm meiner Mutter. Der kleine pausbäckige Junge, übersät mit Sommersprossen."

Diese Vorstellung fand er selbst wohl auch komisch, denn dieses Mal war er derjenige, der ein leises Lachen ausstieß. Und ich klatschte mich währenddessen in Gedanken ab. Dann war meine Vorstellung ja doch nicht so falsch gewesen. Er musste einfach nur süß ausgesehen haben. Wobei jetzt - jetzt sah er eigentlich immer noch ... süß aus.

Ich glaube, den Rest des Tages lief ich mit einem Lächeln umher, das sich nicht mehr ausradieren ließ.

Rat der SinneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt