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Schon wieder hatte es mich zu Mr Gurs verschlagen. Nicht nur, dass er ein guter Trainer war, nein auch menschlich hatte ich mich immer an ihn wenden können. Immer war er gutmütig und sanft und hatte alle Fragen beantwortet, auch wenn sie nichts mit meiner Gabe zu tun hatten. Manchmal hatte ich das Gefühl, die Stunden mit Goldkauz waren fast nicht mehr nötig.

Nur heute, da war selbst der stets positiv eingestellte Mr Gurs zu einer ungeduldigen Fliege wurde, die mich ständig umschwirrte. Am liebsten hätte ich eine Fliegenklatsche gehabt, um mich auch gleich alle anderen lästigen Fliegen in meiner Umgebung zu entledigen. Aber traurigerweise hatte ich keine zur Hand. Nein, ich wollte mich nicht an die eigene Nase packen, dass die schlechte Laune von Mr Gurs auch etwas mit mir zu tun hatte.

Eigentlich waren wir gerade dabei das Richtungshören zu intensivieren. Dazu musste ich die Augen schließen und Mr Gurs ging um mich herum und sprach von einer bestimmten Stelle ein paar Sätze. Gleichzeitig hatte er aber an anderen Stellen um mich herum weitere Diener und Schergen plaziert, die ununterbrochen redeten. Die Schwierigkeit war nicht nur, seine Worte zu verstehen und die anderen auszublenden, nein, ich musste auch die exakte Richtung bestimmen, aus der seine Stimme kam. Er meinte das sei gut für 'später', wenn ich aus 'einer ganz bestimmten Richtung etwas wahrnehmen müsse'. Für mich hörte sich das eher nach Leute bespitzeln und abhören an, aber ich sagte dazu lieber nichts, bevor ich alles nur noch schlimmer machte.

Sowieso war ich mit meinen Gedanken ganz woanders, was dementsprechend zur Folge hatte, dass ich die Hälfte der Zeit gar nicht wahrnahm, dass überhaupt einer sprach, sondern lieber alle Stimmen ausblendete, wie Mr Gurs es mir höchstpersönlich beigebracht hatte.

Genau das war auch der Grund, warum ich seid einer Woche in den Trakt der Adeligen gezogen war, dachte ich sofort wieder. Einerseits hatte ich mich darüber gefreut nicht mehr alleine auf einem Flur zu sein, andererseits war klar, wie viele Anfeidnungen ich aushalten müsste, wenn ich ersteinmal umgezogen war. Eine Dörflerin, die im Trakt der Adeligen schlief. Das war für viele die Unmöglichkeit aller Unmöglichkeiten. Aber Goldkauz hatte es so beschlossen, nachdem Mr Gurs ihm mitgeteilt hatte, dass ich nun jedwede Art von Geräuschen ausblenden konnte und mich eventuelle Geräusche aus angrenzenden Räumen nicht mehr stören würden.

Ich verstand nicht wirklich, warum Goldkauz mich umziehen ließ. Aber Lenius hatte dafür eine Erklärung gefunden, die gar nicht so abwegig war. Erst gestern hatten wir abends wieder länger miteinander gesprochen. Ich in meinem Bett, das so breit war, dass mindestens zwei Personen hineingepasst hätten und Lenius auf dem dunkelgrünen Sofa, dass die Fensterseite meines neuen Raumes schmückte.

Seine Worte waren etwa folgende gewesen: "Wir brauchen so viele Leute wie es nur geht im Rat. Und du gehörst dem stärksten Sinn an. Dem Vorstand. Goldkauz möchte deine Ausbildung so schnell es geht vorantreiben." Diese Erklärung erschien mir logisch und zeigte auch, warum Goldkauz viel zuvorkommender zu mir war, als man es jemals von ihm erwartet hatte. Der wahre Grund, der hinter seinen Nettigkeiten steckte und der ihn dazu veranlasst hatte, mir sogar einen Raum bei den Adeligen zu verschaffen, war einzig und allein, dass er mich brauchte. Wobei das mit der Nettigkeit jetzt wohl vorbei war. Aber eigentlich wollte ich um keinen Preis an die gestrige Ratssitzung erinnert werden. Er brauchte jedenfalls meine Stärke und wollte, dass ich sie so schnell wie möglich erlangte. Und deshalb war wohl auch das Trainig ein weiteres Mal intensiviert worden. Beinahe jeden Vormittag und jeden Nachmittag verbrachte ich bei Mr Gurs. Vielleicht war er sogar so etwas wie mein Ersatzvater geworden. Wobei Ersatzvater schon fast zu positiv klang und mich immer noch nicht davon ablenken konnte, dass eigetnlich etwas ganz anderes allen Raum in meinem Kopf für sich beanspruchte.

Aber der Gedanke an Mr Gurs brachte mich zurück in die Wirklichkeit und eine Mischung aus über zwanzig Stimmen bohrte sich glühend in mich hinein, bis ich sie in Windeseile durch die Vorstellung von undurchdringlicher Watte ersetzte. Lediglich Mr Gurs Stimme erlaubte ich den Zugang und stellte mir vor, wie seine Klangfarbe den Weg durch meine Watte fand. Und prompt hörte ich seine Worte.

Rat der SinneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt