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Nein, ich hatte ihm nicht alles erzählt, was ich über den Bund und seine Regierung wusste.
Ich hatte die wesentlichen Züge genannt und die grobe Funktionsweise erklärt. Und Goldkauz' Gesicht blieb dabei erstaunlicherweise durchgehend neutral. Trotzdem fand ich die Vorstellung nicht abwegig, dass er gerade über die Kinder nachdachte, die wirklich nur die vorsortierten und ausgewählten Informationen über den Bund lernten, die sie auch bekommen sollten. Wenn er da mal keine Freude verspürte... In mir löste diese Vorstellung eher ein Gefühl aus, als hätte ich gerade mein gesamtes Schulbuch Historie und Politik des Bundes verschluckt. Es pikste mich und stach mich und erinnerte mich daran, dass ich nur die besten Sachen über den Bund erzählen durfte.

Und tatsächlich hatte ich es auch geschafft, nichts auch nur ansatzweise Schlechtes über das System zu sagen. Fast hätte ich Zeit gehabt, stolz darauf zu sein, wenn nicht Goldkauz in diesem Moment gesagt hätte, dass er mir nun seinerseits etwas über den Rat erklären wolle.

Mit gespannten Blick lehnte ich mich ein Stück nach vorne, damit ich alles mitbekäme. Das war zwar dank meiner Gabe unnötig, aber in der Nähe hörte ich schließlich immer noch wie ein normaler Mensch.

Doch Goldkauz hatte es offensichtlich nicht so eilig, wie es am Anfang ausgesehen hatte. Seelenruhig griff er zur Teekanne und goss in zwei strahlende Porzellantassen ein wenig Tee. Mit verkniffenem Gesicht beobachtete ich seine Bewegungen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Tee noch wirklich heiß war, aber was sollte man machen, dann würde ich mir zumindest nicht die Speiseröhre verbrennen. Man muss schließlich pragmatisch bleiben.

Trotzdem klopften meine Finger, wie bei einer Marionette vom unsichtbaren Faden bewegt, unruhig auf meine Oberschenkel. Aber immerhin hatte ich wenige Augenblicke später eine Tasse, auf die ich meine ganze Aufmerksamkeit richten konnte. Ich umfasste sie mit beiden Händen und sah, wie der Tee von rechts nach links schwappte. Meine Hände zitterten.

Ich versuchte sie noch fester zu umklammern, aber davon wurde das Zittern eher stärker als schwächer.
Was war los mit mir? Ich war doch sonst nicht so unkontrolliert. Dazu kam auch noch, dass mein Herz auf einmal anfing wie wild zu pumpen.

Wobei das auch daran liegen könnte, dass ich mir schon wieder ein Faux-pas erlaubt hat, auch nicht besser. Goldkauz hielt seine Tasse elegant in einer Hand. Vielmehr sah es so aus, als blancierte er sie zwischen den Fingerkuppen. Und hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich sogar gesagt, dass der die Finger die Tasse gar nicht berührten. Es sah unglaublich schwierig und gleichzeitig so talentiert aus.

Natürlich hatten Mrs Fulary und Mrs Harris mir bei diversen Mahlzeiten erklärt, wie man eine Tasse korrekt zu halten habe, aber bei den beiden war es lediglich darumgegeangen, dass ich sie nicht wie einen Heizofen im Winter mit beiden Händen fest umschlungen hielt. Sie dagegen hatten im Vergleich zu mir vielleicht viel Eleganz an den Tag gelegt, aber im Vergleich zu Goldkauz, hatten die beiden noch einiges an Übung nötig.
Diese Erinnerungen lenkten mich ein wenig von der Tatsache ab, dass meine Hände immer noch zitterten und ich sie kaum beruhigen konnte. Ich ballte erst meine eine, dann meine andere Hand zur Faust und öffnete sie wieder. Aber das Zittern wurde nicht besser. Eher fühlte es sich an wie ein Vibrieren, dass langsam den Arm hochzog. Ich konnte förmlich sehen, wie ich immer aufgeregter wurde. Was war das?

Ich traute mich jedenfalls kaum, die Tasse auch nur so zu halten, wie Mrs Fulary und Mrs Harris es mir gezeigt hatten. Meine Hände zitterten nun so stark, dass ich den Tee am liebsten wieder auf den Tisch zurückgestellt hätte. Aber das konnte ich nicht machen, denn nachdem Goldkauz einige Male vorsichtig über den Tee geblasen hatte - war er wirklich noch heiß, oder diente das bloß dem äußeren Effekt? - setze Goldkauz seine Tasse an den Mund und trank einige Schlucke. Er schien sich schon zu wundern, warum ich nichts trank, da hob ich endlich die Tasse an und setzte sie an meine Lippen. Ein kleines Rinnsal bahnte sich den Weg in meinen Mund als sich ein bitterer Geschmack auf meiner Zunge ausbreitete. Diesen Geschmack kannte ich eigentlich nur davon, dass der Tee zu lange gezogen hatte. Trotzdem bemühte ich mich, keine Miene zu verziehen, sondern würgte stattdessen einen weiteren Schluck herunter. Meine Tasse wackelte dabei und Tee schwappte gegen meine Oberlippe.

Rat der SinneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt