Wir hörten alle, was er zu berichten hatte und es war klar, dass jeder ihm sofort Glauben schenken würde. Der Bote hatte uns alle um den Finger gewickelt.
Er hatte Goldkauz' Angebot sich hinzusetzen breitwillig ausgeschlagen und stand nun immer noch mit seiner imposanten Größe vor uns. Als er endlich mit seinem eigentlichen Bericht begann, schwebte seine Stimme laut und klangvoll durch den gesamten Saal.
"Ich darf Ihnen nun die Neuigkeiten berichten. Die Situation ist beängstigend. Immer größer wird die Volksstimme. Immer mehr Mitglieder kann sie zählen. Nicht nur Verstoßene und Außenseiter befinden sich dort. Nicht nur solche, die sich ausgeschlossen und verraten fühlen. Nein, auch Menschen, die nur durch die Wortgewandtheit der Volksstimme überzeugt werden, gehören nun zu ihr. Die Höhlen sind voller, als ich sie zuletzt gesehen habe. Sogar Mütter konnte ich entdecken. Schreie kleiner Kinder hörten sich an wie Gift in meinen Ohren. Warum tun sie sich das an? Warum tun sie uns das an?"Der Bote war schon wieder ganz in seinem Element. Ob er die Arme in die Luft schmiss, oder sie eng an seinen Körper drückte. Ob seine Stimme anschwoll, oder eher ein leises Flüstern war. Immer fand er eine passende Untermalung zu seinen Worten. Wenn er eine Pause machte, war alles still. Jeder wartete darauf, dass es weiterging. Ich traute mich in diesen Pausen nicht einmal die Sitzposition zu verändern, aus Angst alle könnten mich anstarren und mir genervte Blicke zuwerfen. Doch eigentlich hätte ich mir darüber gar keine Gedanken machen müssen, denn die Augen aller blieben fortwährend am Boten hängen.
"Ich kann Ihnen sagen, warum sie uns das antun!" An dieser Stelle wurde er lauter. "Sie wollen den BUND STÜRZEN!" Diese Worte schrie er fast hinaus und legte die Hand aufs Herz. Ich zuckte zusammen. Den Bund stürzen. Irgendetwas in mir zog sich krampfhaft zusammen. Es klang falsch in meinen Ohren und es tat weh. Doch ich konnte keine klare Meinung zu dieser Aussage finden. War es gut, dass jemand gegen den Bund vorging? War es schlecht, weil alles zusammenbrechen würde? In mir war nur diese Leere, die mir auf nichts eine Antwort geben würde. Eine Leere, in der alle Gedanken bis auf diesen einen verdrängt worden waren. Die Volksstimme, eine Gruppierung, die den Bund stürzen wollte.
Hatte deshalb in dem Gespräch, das ich belauscht hatte, bevor ich zur Bibliothek gegangen war Lord Sergey gesagt, dass der Bund nicht mehr lange Bestand haben würde? Wollte Goldkauz deshalb die Umstrukturierungen, von denen er in jener Nacht gesprochen hatte? Wollte er den Bund retten oder zumindest retten, was noch zu retten war? Wie schlimm stand es um den Bund? Auf einmal füllte sich die Leere in mir mit unglaublich vielen Fragen. Hätte ich es ahnen sollen, dass die Volksstimme eine Verenigung gegen den Bund ist?
Ich richtete meinen Blick wieder auf den Boten. Und doch entging mir nicht, wie alle geschockt auf ihren Plätzen saßen und nostalgisch zu Boden guckten. Ich war mir sicher, sie hatten es vorher schon gewusst. Nur hatte es wahrscheinlich niemand so direkt ausgesprochen.
Sie wollen den Bund stürzen. Ich schloss meine Augen. Erst zu spät merkte ich, dass mir dieser Satz gerade wahrhaftig über meine Lippen gekommen war und mir nun alle Gesichter zugewandt waren. Dieser fast noch schlimmere Moment, als als der Bote klipp und klar die Absicht der Volksstimmer herausposaunt hatte, betäubte meine Sinne. Was sollte ich sagen, was sollte ich machen? Ich merkte, wie meine Wangen heiß wurden und ich meinen Blick nur noch betreten nach unten richtete.
Zum Glück nahm mir der Bote nach einigen Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, die Entscheidung, ob ich etwas sagen sollte, ab: "Ganz richtig. Sie wollen den Bund stürzen. Das hast du richtig erkannt." Er sah mir fest in die Augen. War ich wirklich die einzige, die er gerade geduzt hat? Niemand hielt mich für ein vollwertiges Mitglied. Aber immerhin, er hatte mich aus der Bredouille gezogen. Allein dafür sollte ich ihm schon dankbar sein, statt eine immer größer werdende Frustration zu verspüren.
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Rat der Sinne
Fantasy~ Eine Weile saßen wir so da. Ohne Worte. Und diesmal liebte ich die Stille, die sich zwischen uns breitgemacht hatte. Sie bildete keine Mauer mehr, die uns trennte, sondern vielmehr eine Glocke, die uns umgab und im stillen Einvernehmen miteinander...