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Es war so weich um mich herum, so wunderbar weich. Genüsslich machte ich die Augen wieder zu und driftete ein wenig in meine eigene Welt zurück.
Ich glaube zuletzt hatte ich meine Lieblingsziege auf unserer Weide gemolken und im Sonnenuntergang ein riesiges Stück Käse daraus gemacht. Danach hatte ich genießerisch in das sofort fertige Stück gebissen. Aber als der wohlig warme Geschmack des zerlaufenden Käses ausblieb, war ich jäh aufgewacht.
Nun wünschte ich mich mit aller Kraft in meinen Traum zurück. Ich musste einfach in diesen Käse beißen, ein innerer Drang trieb mich dazu. Und es war nicht nur der Gedanke an Käse, der mir das Wasser im Mund zusammenlaufen zu lassen. Eigentlich reichte schon der Gedanke an Essen überhaupt und mein Magen begann lautstark zu rumoren.
Ich griff nach einem Zipfel der Bettdecke, drückte ihn noch einmal wie zur Verabschiedung an mich und schlug dann die Decke endgültig zurück. Den Magen zu füllen stand jetzt ersteinmal höher auf der Prioritätenliste, als weiter die Wärme des Bettes zu genießen.

Doch als ich aufstehen wollte, tanzten schwarze Punkte vor meinen Augen und schienen einen Wettbewerb darin ausfechten zu wollen, wer mir am besten die Sicht verdunkeln konnte.
Sofort ließ ich mich wieder aufs Bett fallen. Scheinbar hatte ich meine Übernachtung unter der Hecke doch nicht so gut verkraftet wie ich dachte.
Nach einer Weile klarte das Bild vor meinen Augen Stück für Stück auf. Es war das erste Mal, dass ich meine Umgebung wirklich wahrnahm, denn von gestern konnte ich mich an fast nichts erinnern. Ein beunruhigender Gedanke irgendwie, an einem Ort zu sein, an den man sich nicht erinnern konnte.
Ich befand mich in einem kleinen Raum, dessen Wände nur aus Holzbolen bestanden. Neben dem Bett, auf dem ich saß, stand eine kleine Kommode. Darauf eine dicke Kerze, die schon fast heruntergebrannt war.
In der Mitte des Raumes befand sich ein dunkler runder Tisch, der mich sehr an unseren Tisch zu Hause erinnerte. Überhaupt erinnerte mich hier sehr viel an mein eigenes Haus.

Ein langsames Knarren ließ mich jäh aus meinen Gedanken fahren.
Die Tür auf der anderen Seite des Raumes öffnete sich einen Spalt breit und ein Gesicht schob sich langsam durch die Lücke. Als zwei Augenpaare die meinen trafen, öffnete sich die Tür ganz und eine Frau mittleren Alters betrat den Raum. Sie hatte ihre langen brauen Haare zu einem Zopf gebunden und trug einfache bäuerliche Kleidung. Als sie zum Sprechen ansetzte, zierten dünne Fältchen ihre Mundwinkel, die sowohl von Freude, als auch von Gram zeugten.
"Mein Mädchen, du bist aufgewacht, wie geht es dir?" Ihre samtene Stimme füllte den ganzen Raum aus. Und wenn man sich genau konzentrierte, konnte man eine ganz ähnliche Klangfarbe wie in Lenius' Stimme ausmachen.
"Mir geht es schon viel besser. Ich glaube ich bin noch ein wenig wackelig auf den Beinen, aber gemessen daran, dass ich wohl zwei Tage unter der Heck lag, bin ich ja in allerbester Verfassung."
Ich bemühte mich entusiastisch zu klingen. Ich musste ihr ja nicht gerade erzählen, dass ich nicht einmal aufstehen konnte, ohne, dass mir schwarz vor den Augen wurde.

"Lenius hat mir schon alles berichtet. Du lagst zwei Tage draußen, ganz alleine? Du musst ein unsagbar starkes Mädchen sein." Sie kam einen Schritt näher zu mir und fuhr mir über den Kopf.
Etwas um eine Antwort verlegen, brachte ich nur ein undefinierbares Murmeln heraus. Aber die Frau ließ sich davon nicht stören und redete munter weiter.
"Weißt du überhaupt wer ich bin? Ich habe mich dir ja noch gar nicht vorgestellt, mal abgesehen von gestern Abend, aber ich vermute, als Lenius dich hierher gebracht hat, hast du nicht mehr wirklich viel wahrgenommen."
Ja, das war richtig. Immerhin kamen langsam ein paar Erinnerungen an den gestrigen Tag zurück. Lenius, der mich völlig unterkühlt unter der Hecke gefunden hatte. Ich, die ich völlig ungläubig gewesen war, als Lenius mir eröffnete, wie lange ich nicht da gewesen war. Und schließlich, wie dreckig es mir zu dem Zeitpunkt ging und wie wenig ich vermutet hatte, dass ich noch jemals etwas anderes sehen würde, als zwei Hecken, die sich rechts und links von mir majestätisch in den Himmel streckten.
Nachdem Lenius es sogar geschafft hatte, dass ich wieder einigermaßen auf meinen halb erfrorenen Beinen stehen konnte, hatte er beschlossen, mich hinunter ins Tal zu ihm nach Hause zu bringen.
In dem Moment hatte ich weder protestiert noch zugestimmt. Ob wir zur Burg gingen, oder ins Tal, bei keiner der Optionen hätte ich gewusst wie wir es bewerkstelligen wollen. Aber Lenius kannte den Weg nach unten und er schaffte es tatsächlich, dass wir keiner Wache über den Weg liefen. Nach einer gewissen Zeit hatte er mich mehr getragen, als dass ich noch selber gelaufen war, denn meine Beine hatten sich nur noch wie zwei unnütze unbewegliche Klumpen angefühlt. Und von unserer Ankunft unten im Tal hatte ich kaum mehr etwas mitbekommen. Das letzte, was mir present geblieben war, war das Gefühl der Wärme und Geborgeneit, was mich auf einmal umfangen hatte.

Und das konnte auch jetzt nicht davon getrübt werden, dass eine Frau vor mir stand, die ich nicht kannte. Eigentlich hatte ich sogar das Gefühl, dass die Geborgenheit direkt von ihr ausging und auf mich überkam.

"Meine Kleine, ich bin Aluana, die Mutter von Lenius. Sag mal, bist du sicher, dass es dir gutgeht?", sie musterte mich mit einem besorgten Seitenblick.
"Du zitterst ganz schön. Komm leg dich wieder hin. Ich mache dir einen heißen Tee. Und ich muss auch Lenius Bescheid sagen, dass du wachgeworden bist. Er fragt schon den ganzen Vormittag nach dir und will zu dir. Aber ich wollte ihn nicht lassen. Dein Zustand war heute morgen noch nicht sehr gut. Immer wieder hattest du Fieberschübe und hast fantasiert. Du erinnerst dich sicher noch daran. Ach, was bin ich froh, dass es dir besser geht."

Nein, ich erinnerte mich gar nicht daran. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Die Schübe mussten stark gewesen sein. So stark, dass mein Bewusstsein sie kaum mehr wahrgenommen hat.
In diesem Moment merkte ich, wie stark ich eigentlich zitterte. Gerade noch war mir warm gewesen, doch jetzt war mir eiskalt und das Zittern, das meinen Körper durchlief, wurde immer unkontrollierter. Erschöpft ließ ich mich ins Bett zurücksinken und sah gerade noch, wie Aluana geschäftig aus der Tür eilte, wahrscheinlich, um den Tee zu machen. Tee war ein beruhigender Gedanke, ein warmer Gedanke an dem ich festhalten wollte.
Dann schloss ich die Augen und versuchte alles um mich herum auszublenden.

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So Freunde der Sonne, hier kommt ein neuer Teil für euch. Ich hoffe er gefällt euch ;)

Setzt das Kapitel zu weit vorne in der Geschichte an, sodass die Rückblende wie sie ins Tal gekommen ist von der Zeitspanne her, zu lang ist?

Rat der SinneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt