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Als Lenius mit seinen Ausführungen über seinen Plan geendet hatte, starrte ich ihn einfach nur baff an. Das würde Goldkauz mal wieder gar nicht erfreuen. Vorausgesetzt er bekam etwas davon mit, was in Lenius Plan natürlich eigentlich nicht vorgesehen war. Aber wer weiß, wo dieser Mann auftauchte. Das war meiner Meinung nach ziemlich unberechenbar.
Trotz alldem war da etwas an seinen Planungen, was mich begeisterte, mir etwas Adrenalin durch die Adern fließen ließ und mich gespannt machte auf das, was gleich kommen würde.

Wir setzten unseren Weg durch die Gänge fort, aber nicht mehr in Richtung Speisesaal. Immer wenn uns jemand begegnete, was in diesem Fall weiterhin nur Schergen waren, weil alle anderen mittlerweile beim Frühstück saßen, drückte Lenius mich an die Wand und stellte sich breitbeinig vor mich, damit man möglichst wenig von meinem Kleid sah. Keine Bedienstete würde ein derartiges mitternachtsblaues Kleid tragen, wie ich es gerade trug. Und sobald auch irgendeiner bemerken würde, dass ich keine Bedienstete war, würde man mich sofort zum Frühstück schleppen, wo ich jetzt auf keinen Fall mehr auftauchen konnte.
Für mich fühlte sich unsere Position durchaus etwas merkwürdig an. Für Außenstehende mussten wir aussehen, wie zwei Turteltäubchen, die sich eine freie Minute ihrer Dienstzeit zu Nutze machten. Aber Lenius schien das nicht weiter zu stören und bisher waren wir nur zwei weiteren Schergen begegnet, die aber auch relativ geschäftig an uns vorbeigeeilt waren.

Wenn ich mal ganz grob schätzte, seid wie vielen Minuten das Frühstück schon begonnen hatte, würde ich sagen seid einer Viertelstunde. Was aber nicht bedeutete, dass uns nur noch wenig Zeit blieb, unseren Plan in die Tat umzusetzen. Denn wie ich in den letzten Tagen gelernt hatte, dauerte das Frühstück seine eineinhalb Stunden. Ich meine, was hatten die Adeligen auch sonst zu tun?

Also gingen wir weiter. Lenius schien absolut keine Eile zu haben, was mich auf die Dauer doch etwas hibbelig machte. Mir war nicht klar, wieso der Weg so weit war, aber hauptsächlich bestand er auch nur aus Treppen, die uns in die Tiefen führten, manchmal aber auch ein Stück nach oben. Entweder führte Lenius uns große Umwege, um möglichst niemandem zu begegnen oder mir kam der Weg nur so lang vor, weil meine Nerven inzwischen zum Zerreißen gespannt waren und ich neben meinen Gedanken, die ich mir pausenlos machte, immer noch in mich hineinlauschte, um das leisteste Geräusch von Schritten zu erkennen, und Lenius sofort Bescheid zu sagen.

Doch der letzte Teil des Weges verlief ereignislos. Wir überwanden noch zwei weitere Treppen, dann standen wir vor einer weißen Tür, die Lenius ohne weiteres aufstieß und eintrat.

Es war genauso, wie Lenius es beschrieben hatte. Fast alles war in weiß gehalten. Weiße Schränke, weiße Wände, weiße Arbeitsflächen und sogar manche Töpfe und Pfannen waren aus weißem Keramik gemacht. Lenius hatte nicht zu viel versprochen. Der Raum war riesig. Wobei man vielleicht schon eher von einem Gewölbe sprechen konnte. Spontan kam bei mir die Frage auf, wohin denn der ganze Dampf entweichen konnte, aber ich war mir sicher, dass dafür eine Lösung gefunden worden war. Trotzdem standen wir jetzt in einer kleinen Dampfwolke, denn soeben hatte ein Mann die Ofenklappe geöffnet und holte ein süßlich duftendes Gebäck heraus. Ohne mein Zutun trat ich einen Schritt vvor, bis ich einen perfekten Blick auf die Teilchen hat. Sie sahen veführerisch aus. Goldbraun gebacken mit eriner gewissen Note von Honig, die mich nun in der Nase kitzelte.

Dagegen sah der Mann, der das Blech in der Hand hielt, bei meinem Anblick nicht ganz so begeistert aus. Er trug auch eine Schergenuniform, allerdings war diese ebenfalls ganz in weiß. Vielleicht war das so eine Art Reinheitsfimmel, dass in der Küche alles weiß sein musste. Das hatte zwar den Nachteil, dass man jeden Schmutz sah, aber ich könnte mir sogar vorstellen, dass das Ganze auf Goldkauz' Mist gewachsen war.

Der Schergenkoch schaute mich weiter etwas schief an, bis er seinen Blick auf Lenius richtete, der schräg hinter mir stand. Dieser wirkte im Gegensatz zu mir, etwas gefasster. Ich hatte immer nur noch Augen für das riesige Ensemble von Backöfen, Tischen, Schränken und all den Lebensmitteln, die hier aufgereiht waren.
Das war also die Großküche der Burg.
So wie mich der Anblick des Gebäcks, der ganzen Zutaten und der Sauberkeit eben noch überrascht hatte und ich sogar etwas Begeisterung verspürt hatte, so machte dies nun einer anderen Emotion Platz.
Dieses ganze Essen, dieser ganze Überfluss, diese ganzen Menschen, die geschäftig hin und her wuselten und bestimmt ohne Pause kochten und backten, nur damit die feine Gesellschaft vier Mahlzeiten am Tag erhielt. Nein, man konnte nicht sagen, dass es nur ein bisschen Unverständnis war, was sich gerade in mir aubreitete. Viel mehr gefiel mir die Vorstellung, Goldkauz einmal so richtig für seine Lebensweise anzuschreien. Vollkommen ungeachtet der Konsequenzen. Ich würde ihm ins Gesicht sagen, wie ungerecht alles war, wie schlimm die Verteilung von Essen. In den Dörfern musste man im Winter hungern, weil fast alle Vorräte aufgebraucht waren und das letzte Bisschen als Abgaben an den Bund gezahlt werden musste. Für die anderen Täler konnte ich nicht sprechen, ich war noch nie dort gewesen und in der Schule hatte man selbstverständlich auch nichts über schlechte Lebensmittelversorgung gehört. Aber die Sicherheit, die uns der Bund als Gegenleistung brachte, war ja wohl mehr als lächerlich.
In meiner Vorstellung wurde ich bei diesem Punkt lauter.
Das was wir brauchten, war Schutz vor dem Bund selbst und nicht vor anderen nicht existenten Feinden. Aber das schien hier keiner verstanden zu haben.
Als letztes würde ich mich auf die Zehenspitzen stellen, ganz nah an Goldkauz' Gesicht heran gehen und mit einem drohenden Unterton in der Stimme fragen: Hast du dir eigentlich schon einmal vorgestellt wie es wäre, wenn du in einem der Täler wohnen würdest, wenn du im Winter hungern würdest, wenn du Abgaben leisten müsstest, wenn du nicht weißt, was eigentlich in deinem Leben gespielt wird und wer der eigentliche Bestimmer darüber ist?

Und ja, das DU würde ich dabei ganz bewusst wählen. Wenn ich jemals die Gelegenheit hätte, das Goldkauz zu sagen, dann würde mir wahrscheinlich so oder so die Todesstrafe verkündet werden.

Aber ich sollte meine Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen vor mir widmen. Denn Lenius war einen Schritt vor mich getreten und diskutierte energisch mit dem Koch. Wobei energisch eigentlich noch zu harmlos war. Ich würde mich nicht wundern, wenn gleich im wahrsten Sinne des Wortes die Fetzen fliegen würden. Die beiden machten den Eindruck, als würden sie sich kennen, aber noch immer hatte ich nicht verstanden, worum es hier eigentlich ging.
Aber das sollte ich jetzt herausfinden.

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DANKE dass ihr die Geschichte noch lest. Hab euch lieb  <3

Rat der SinneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt