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Manchmal hatte ich das Gefühl, dass meine Tage alle gleich aussahen. Besonders in der letzten Woche. Im Großen und Ganzen war sie recht ereignislos verlaufen. Wir hatten viele Ratssitzungen gehabt, was eher ungewöhnlich war, mir aber etwas zu tun gab, und viele Entscheidungen getroffen.

Heute war die letzte Ratssitzung dieser Woche und es würde ein ganz besonderes Thema auf dem Plan stehen. Das Projekt.

Schon jetzt hatte ich kein gutes Gefühl bei der Sache. Dies war ein Thema, über das Goldkauz mir kaum etwas gesagt hatte. Eigentlich wäre das ein Grund gewesen seinen Einführungen zu Beginn dieser Sitzung zu lauschen, aber ich war nicht wirklich bei der Sache.
Mein Blick flog unruhig von einer Seite des Saals zur anderen. Rechts die Vorhänge, die die Fenster wie immer halb verdeckten, links die ornamentverzierte Wand und immer wieder der riesige dunkle Tisch in der Mitte. Lord Forly fehlte.
War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?

Es würde eine harte Sitzung werden. Ganz egal, ob Lord Forly mir immer widersprechen würde und mich vor den anderen schlechtmachen würde.

Aber ich musste meine Meinung zeigen. Es war wie ein Drang in mir. Je mehr ich in den letzten Wochen mitbekommen hatte, desto deutlicher wurde mir, dass ich nicht zustimmen wollte, weil alle zustimmten, sondern dass ich das machen wollte, was meiner Auffassung entsprach.

Erst vorgestern ging es um die Lehrbücher in der Schule. Einerseits ehrte es mich, dass ich schon jetzt über solche intellektuellen Fragen beraten durfte, wo ich vor kurzem noch selbst über meinen Schulbüchern gehangen hatte, aber andererseits spürte ich sofort die Brisanz des Themas. Hatte ich nicht selbst noch gemeint, dass die Schüler von den Schulbüchern beeinflusst werden?

Dann hatte Lord Forly sich zu Wort gemeldet. Schon als er zu sprechen begann, hatte sich alles in mir zusammengezogen. Ich wollte nicht wissen, was er zu sagen hatte. Ich wusste, es würde etwas sein, was ich eigentlich nicht unterstützen wollte. 

Wenn ich meinen Vorschlag äußern darf, ich bin der Meinung, die Schulbücher müssen noch stärker auf den Bund ausgerichtet sein. Wie kann es sonst sein, dass so etwas wie die Volksstimme immer mehr Anhänger findet? Wir müssen uns die Loyalität von Beginn an sichern.

Manchmal hatte ich den Eindruck, er war besonders hart, nur um mir eins auszuwischen. Nur, weil er wusste, wie wenig mir das passte und wie wenig angepasst ich im Endeffekt war. Er fixierte mich dann immer mit seinem Blick, obwohl er eigentlich mit allen sprach. Er senkte seine Stimme und gab ihr einen so schneidenden Ton, dass es mir nicht nur wegen seiner Worte kalt den Rücken herunterlief.

Bisher hatte ich noch nicht oft den Mund aufgemacht, um ihm zu widersprechen. Um meine Meinung deutlich zu machen. Es würde nichts bringen. Und trotzdem heizten meine Gedanken mein Blut auf und pumpten sich durch meine Adern, ohne, dass ich sie herausließ. Ohne, dass sie zu großen Schaden anrichten konnten. Es gab Entscheidungen, die habe ich unterstützt, aber in meinem Kopf dominierten die, für die ich meine Stimme nur abgegeben habe, um nicht aufzufallen.

Ganz leise hatte sich auch der Gedanke in meinem Kopf verankert, dass es noch andere im Rat gab, die nicht mit solch eiserner Faust durchgreifen wollten, wie Lord Forly, aber sie meldeten sich nicht zu Wort. Lord Sergey sagte ab und zu etwas. Ich hatte den Eindruck, er wollte aus irgendeinem Grund keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Doch auch sein Partner vom Fühlen schwieg meistens und so lief das Gespräch hauptsächlich zwischen Goldkauz und Lord Forly ab.

Zugegebendermaßen war ich ein wenig gespannt auf die Sitzung. Wie würde sie ablaufen, wenn Lord Forly nicht da war?

Ich versuchte meinen Blick auf einen Punkt zu zentrieren und meine Aufmerksamkeit auf das Geschehen um mich herum zu richten.

Alle saßen ruhig auf ihren Plätzen und noch schien keiner das Bedürfnis zu haben, das Wort zu ergreifen, als ich das Schrappen von Holz auf Parkett hörte. Goldkauz stand auf. Schließlich war es an ihm, die Sitzung zu eröffnen.

"Verehrte Ratsmitglieder. Da Lord Forly augenscheinlich nicht mehr eintreffen wird, werden wir diese Ratssitzung nun beginnen. Lassen Sie mich mit der Einführung anfangen. Heute werden wir uns mit dem Projekt beschäftigen."

Ich schaute kurz zu Goldkauz hoch. Er wirkte müde, abgekämpft. Seine Uniform saß wie eh und je und auch ansonsten machte er einen ordentlichen Eindruck. Aber sein Bart sah stoppeliger aus und seine Augen wirkten stumpf. Auch er musste wenig geschlafen haben in den letzten Tagen.

Bei Goldkauz' Anblick kroch auch mir die Müdigkeit langsam in die Glieder. Die ganze Woche Ratssitzungen. Davor immer Treffen mit Goldkauz und der Auftrag, mir zu jedem Thema vorher Bücher durchzulesen. Den Weg zur Bibliothek könnte ich mittlerweile auch mit geschlossenen Augen gehen. Aber mein Schlaf hatte darunter gelitten.

Ich stützte meinen Kopf in die Hände. Ich musste Goldkauz zuhören. Schließlich hatte er mir vorher ausnahmsweise keine Informationen zu dieser Sitzung gegeben.

"Aufgabe ist es auch hier, die Loyalität der Bevölkerung zu sichern. Wir danken Lord Forly für diesen Vorschlag."

Ich horchte auf. Wenn Lord Forly das Projekt selber vorgeschlagen hatte, warum war er dann nicht da? Ich meinte auch aus Goldkauz' Stimme etwas Verwirrung herauszuhören.

"Ziel ist es eine Art von Gemeinschaftsdienst einzuführen, um das Gemeinschaftsgefühl in der Bevölkerung zu stärken und zu verhindern, dass Einzelne auf Abwege gelangen." Das Wort Abwege bekam eine Betonung, die mich schon wieder stumm den Kopf schütteln ließ. Eigentlich ging es unterschwellig immer um die Volksstimme. Aber bisher hatte es noch keine Beschlüsse in der Hinsicht gegeben. Und doch konnte ich mir vorstellen, dass Goldkauz' ungesundes Aussehen auch daher rühren könnte.

Jetzt holte er einen säuberlich gefalteten Zettel aus seiner Hosentasche, öffnete ihn, strich ihn kurz glatt und begann dann die Punkte vorzustellen.

"Die Menschen werden Gemeinschaftsfelder bestellen und die Verkehrsstruktur verbessern. All das hilft ihnen, ihre eigene Versorgung aufrechtzuerhalten. Außerdem wollen wir Bäume pflanzen, damit unser Tälerbund ergrünt und erstarkt."

Goldkauz stockte und sah einmal in die Runde. Kannte er die Dinge gar nicht, die da auf seinem Zettel standen? Hatte er ihn nur von Lord Forly zugesteckt bekommen, um sein Projekt vorzustellen? Und was für einen tieferen Sinn hatte es Bäume zu pflanzen? Im Tälerbund gab es genug Wald, der lediglich von einigen Wiesen, Feldern und Dörfern durchbrochen war.

"Außerdem sollen die Arbeiten im Steinbruch wieder aufgenommen werden. Wir benötigen neues Baumaterial, um die Wohnsituation zu verbessern."

Ich stütze den Kopf nur noch tiefer in die Hände und grub mein Gesicht in meine Handflächen. Arbeiten im Steinbruch. Da war jedem klar, was das für Arbeiten waren.
Sklavenarbeiten waren das. Sklavenarbeiten.

Als hätte ich mit einem Mal den ganzen Sauerstoff aus dem Raum verbraucht, stieg mir nur noch stickige Luft in die Nase und machte das Atmen schwer. So schön Lord Forly es auch formuliert haben mochte, das hier war der Gipfel aller Entscheidungen.


Rat der SinneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt