Grau/ Schlaf

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Es ist nicht perfekt, aber wer oder was ist das schon.
Viel Spaß Euch.
LG Matschu

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Anna POV

Noch nie kam mir dieser Weg so lang und irgendwie fremd vor wie heute. Ich hörte das Gelächter von anderen Schülerinnen vor uns. Wie sie miteinander sprachen. Ich sah ihre teilweise leuchtenden Augen, wenn sie von etwas erzählten, was sie anscheinend glücklich machte. Ich sah sie rumalbern und Faxen machen. Wie sie gute Laune hatten und dass ihnen an diesem Morgen bis jetzt noch niemand gezeigt hatte, dass diese Welt nicht immer so bunt und lustig war. Doch meine Welt war grau und schmerzhaft. In der Nacht hatte ich nicht viel Schlaf bekommen und den Schlaf, der mir doch zuteilwurde, war noch nicht mal erholsam gewesen. Eher im Gegenteil. Ich fühlte mich als wäre eine Horde Elefanten über mich drüber hinweggelaufen. Meine Muskeln waren total angespannt und verkrampften in regelmäßigen Abständen. Mal mehr, mal weniger. Mein Kopf drohte zu explodieren von den ganzen Gedankenfluten, die immer hin und her schwappten. Meine Augenlieder waren unglaublich schwer und doch wollten sie mir nicht zufallen. Es war als wären sie mit Tesa an meiner Stirn festgeklebt und würden so offen gehalten werden. Zu 100% sah ich mehr als schrecklich aus. Tiefschwarze Augenringe, weiß wie die Hauswand neben uns und der Blick... leer. Ronja lief neben mir her und schielte immer wieder zu mir rüber, während sie sich eigentlich mit Josie unterhielt.
Als Josie zu uns in die Bahn gestiegen war, konnte sie ihren schockierten Blick nicht verbergen und begann sofort mich mit einem Sturm aus Fragen zu löchern. Genervt verdrehte ich die Augen und richtete meinen Blick in die Dunkelheit des Tunnels, durch den wir gerade fuhren. Ihre Stimme verschlimmerte meine Kopfschmerzen nur noch mehr und irgendwie bereute ich es schon ein klein wenig überhaupt auf die Idee gekommen zu sein an diesem Tag wieder in die Schule zu gehen. Ronja war im ersten Moment, als Josie zu uns stieß, zu sehr mit ihrem Handy beschäftigt um mitzubekommen, dass Josie so auf mich einredete. Sie hatte verstanden, dass sie mich lieber in Ruhe lassen sollte und es machte ihr nichts aus. Sobald sie jedoch bemerkt hatte was Josie da tat und wie es mir dabei ging, schritt sie auf der Stelle ein und zog Josie ein Stück von mir weg. Diese protestierte anfänglich, doch als Ronja sie auf ihre Shoppingtour von gestern ansprach, hatte sie auch schon wieder alles vergessen, weswegen sie Ronja eigentlich so angefahren und mich mit Fragen belagert hatte. Als wäre es ein ganz normaler Tag begann sie aufgeregt und detailreich wie immer zu erzählen, was ihr gestern alles wiederfahren war. Endlich hatte ich meine Ruhe.
Nun waren wir fast an dem Schulgebäude angekommen und es kamen immer mehr Leute zusammen. Vor der Tür trafen wir einige Mädels aus unserer Klasse, die alle denselben erschrockenen Ausdruck auf ihren Gesichtern hatten, wie Josie noch vor ein paar Minuten. Ohne ein Wort der Begrüßung an sie zu richten, ging ich zügig rein und erklomm so schnell wie nur möglich die Treppen zum dritten Stock. Vor dem Klassenzimmer angekommen, stellte ich erleichtert fest, dass es schon offen war. Umso besser, so konnte ich mich einfach auf mein Platz verziehen und so tun als würde ich noch ein paar Minuten schlafen... Wie sehr ich mir doch wünschte schlafen zu können... Unbehelligt von den anderen, die schon da waren, schlich ich mich auf meinen Platz, hängte meine Jacke über meinen Stuhl, packte mein Block, ein paar Stifte und das Buch aus und setzte mich hin. Meinen Kopf legte ich auf meinen Armen ab, die ich auf der Tischplatte platziert hatte. Ich schloss meine Augen und versuchte die Sintflut der Gedanken halbwegs auszublenden. Bis jetzt hatte sich das Krankenhaus nicht nochmal bei mir gemeldet, also hatte sich der Zustand meiner Mutter nicht verändert. Denn sobald eine Veränderung auftreten würde, würden sie mich kontaktieren, dass hatte man mir so gesagt. Immerhin, das war doch gut, oder? Es hieß zumindest, dass es ihr nicht schlechter ging, aber auch nicht besser und von Felicitas war immer noch keine Spur zu sehen. Sie hatte sich immer noch nicht gemeldet und dann diese komische Nachricht von dieser Lea. Wer war sie? Was wusste sie von Felicitas und mir? Stimmte das, was sie in ihrer Nachricht geschrieben hatte? Wo war Felicitas? Was war mit ihr geschehen? Warum meldete sie sich nicht, verdammt noch mal?! Meine Augen begannen zu brennen. Ich spürte, wie sich langsam Flüssigkeit in ihnen sammelte. Tränen. Schon wieder?! War es nicht endlich genug? Schwer schluckend versuchte ich die aufkommenden Tränen zurückzudrängen. Beruhige dich, Anna. Deine Mutter wird wieder aufwachen und Felicitas wird sich melden. Es wird alles wieder gut... das muss es einfach... Doch so richtig konnte ich noch nicht daran glauben. Weit, weit weg erklang irgendwo die Glocke zur ersten Stunde. War das das erste Läuten oder schon das Zweite? Ich hatte keine Ahnung, aber unsere Lehrerin schien noch nicht da zu sein. Zumindest hatte ich ihre Stimme noch nicht vernommen. Oder etwa doch? Eine sanfte Berührung an meiner rechten Schulter, ließ mich zusammenzucken und zur Seite blicken. Dort saß inzwischen Ronja und sah mich aus ruhigen Augen an. Sie deutete mit ihrem Kopf ein kurzes Nicken nach vorne an und wendete ihren Blick dann selber dorthin. Mein Blick folgte ihr langsam und ich sah, wie unsere Lehrerin gerade zur Tür reinkam und somit der Unterricht beginnen konnte. Wenig motiviert hob ich den Kopf an und ließ die erste Stunden über mich ergehen. In den Pausen versuchte ich die meisten Mitschülerinnen, so gut es eben ging zu meiden, doch Ronja blieb immer irgendwo in meiner Nähe. Vielleicht war es auch ganz gut so, denn es gab mir das Gefühl wenigstens auf eine Person bauen zu können. Darauf bauen zu können, dass sie mir die ganzen lästigen Fragen abnahm, die die hartnäckigen Schülerinnen dennoch auf mich niederprasseln ließen. Nun saßen wir in der vorletzten Stunde für Heute. Meine Laune war noch schlechter als am Morgen. Die Kopfschmerzen waren nicht verschwunden und der Schlafentzug machte sich immer mehr bemerkbar, dabei war es doch nur eine Nacht gewesen, in der ich nicht richtig schlafen konnte. „Möchte irgendjemand runter gehen und aus dem Sekretariat neue Kreide holen? Das ist ja kein Zustand mehr hier" schimpfte unser Lehrer als ihm zum wiederholten Mal ein Stück der Kreide abbrach. Ohne groß darüber nachzudenken, schoss meine Hand in die Höhe und aus meinem Mund kamen schon die Worte: „Ich mache das!" „Und ich begleite sie!" kam es von Ronja neben mir. Nickend stimmte er uns zu und widmete sich wieder seinem Tafelbild, welches zwei Kontinente zeigen sollte. Wenn man mich gefragt hätte, so hatte unser Lehrer absolut kein Händchen für Kunst oder gar zum Malen. Sein Afrika sah eher aus, als hätte ein Kindergartenkind versucht eine verkrüppelte Eistüte zu malen und von den Konturen von Südamerika, wollte ich erst gar nicht anfangen. So schnell es ging, standen Ronja und ich auf und verließen das Klassenzimmer. Auf dem Gang angekommen, atmeten wir beide hörbar aus und sahen uns an. Ronja schmunzelte leicht und deutete mit der Hand an, dass ich vorgehen sollte. Das Lächeln, welches ich ihr darauf versuchte zu schenken, glich eher einer schrecklichen Grimasse und erinnerte bestimmt eher an einen Ausdruck von Ekel als an ein Lächeln, aber ich hatte es wenigstens versucht. Das hatte auch Ronja bemerkt, die mir nur dankend über den Arm strich und sich dann in die Richtung wandte, in die wir mussten. Schweigend setzten wir uns in Bewegung und gingen auf die Treppen nach unten zu. Auf dem Absatz zum ersten Stock hin, hörten wir auf einmal die Stimme unseres Chemielehrers und unserer Musiklehrerin. „Ich hätte nicht gedacht, dass sie sowas wirklich macht. Hat sie dir davon erzählt?" fragte unsere Musiklehrerin. „Nein hat sie nicht. Es hat mich auch sehr überrascht zu hören, dass sie sich so ohne weiteres hat versetzen lassen." Geschockt hielt ich Ronja am Ärmel zurück und bedeutet ihr nicht weiter zu gehen, damit ich das Gespräch weiter verfolgen konnte ohne störende Geräusche von ihr. „Dass das mitten im Jahr möglich ist? Also ich muss sagen, dass ich maßlos enttäuscht von ihr bin, Ivan. Sie war immer so offen und ehrlich zu uns. Ich hatte sie schon richtig ins Herz geschlossen." „Wer weiß Gitti, was sich Felicitas dabei gedacht hat. Vielleicht hat es ihr doch nicht so gut gefallen hier, wie sie es immer gesagt hat." „Dann war sie aber eine ziemlich gute Schauspielerin..." Den Rest des Satzes bekam ich schon gar nicht mehr mit. Sie hatte sich versetzen lassen?! Bitte was?! Eine Eiseskälte erfasste mit einem Schlag mein Herz und zwang es seinen Schlag auszusetzen. Alles um mich herum wurde unwichtig. Ich starre nach vorne ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Sie hatte sich versetz... Felicitas war... Mein Kopf versuchte das soeben gehörte einzuordnen, doch es wollte nicht gelingen. Felicitas war... sie war... das konnte doch nicht... sie konnte doch nicht... so einfach... w... we... weg sein!!?? NEIN!! Das ging nicht! Das musste eine Lüge sein. Sie mussten sich getäuscht haben! Oder sie hatten über jemand anderes gesprochen, aber nicht über meine Felicitas! Das würde sie nicht machen! Das konnte sie nicht machen! Aber tief im Inneren wusste ich genau, dass es nur eine Felicitas im Lehrerkollegium gab. Es gab nur diese eine Felicitas Kres. Ein dumpfer Schmerz durchzuckte meine Arme, als ich aus Reflex versuchte meinen Sturz abzufangen. Ohne es zu bemerken, hatten meine Beine unter mir nachgegeben. Ronja war sofort an meiner Seite und hatte versucht mich abzufangen, doch es war zu spät. Ich lag schon mehr oder weniger auf dem Boden. Das Brennen in meinen Augen war zurück, aber es wollten einfach keine Tränen fließen. Sie war... Woher?! Sollte diese Lea etwa doch...??? Sollte sie Recht gehabt haben?! Mein Brustkorb zog sich augenblicklich zusammen. Eine eiserne, kalte Zange presste ihn zusammen. Immer weiter, immer fester. Der Versuch frische Luft in meine Lungen zu bekommen scheiterte kläglich. Meine Sicht verschwamm immer mehr. Es wurde immer dunkler um mich herum und wieder war ich nicht in der Lage etwas aus meiner Umgebung wahrzunehmen. Wo war ich genau? Lag ich oder saß ich? War noch jemand bei mir oder war ich allein? Ich konnte nichts hören. Nichts drang zu mir durch. Ich war allein. Die Welt hatte mich allein gelassen. Sie hatte mich anscheinend allein gelassen... Sie war gegangen...

Desire and Love / girlxgirl teacherxstudentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt