Bevor die Pläne mit dem Clubabend jedoch Realität werden würden, stand weiterer Unterricht auf dem Plan. Seit dem gestrigen Abendessen schienen alle hibbelig und unruhig zu sein und konnten es kaum noch erwarten, bis die Dunkelheit einbrechen und die Nacht losgehen würde.
Ich war die Einzige, die sich die Notizen eifrig von der Tafel abschrieb. Wie üblich saßen wir Mädchen auf der einen und die Jungs auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes und es war noch vergleichsweise leise in der Runde, aber dann klingelte Mrs. Bowmans Handy und sie sah uns entschuldigend an. „Da muss ich leider rangehen, es ist sehr wichtig und kann ein paar Minuten dauern."
Sie hob das Handy an ihr Ohr, verließ zügig den Raum und dann brach das Chaos aus. Es wurde ohrenbetäubend laut, alle plapperten wild umher und als ich meinen Kopf hob und sah, was sich gerade bei den Jungs abspielte, klappte mir mein Mund auf. Innerhalb weniger Sekunden hatten sie sich ein paar Papierflieger gebastelt, die sie sich in einem Umkreis von drei Quadratmetern zuwarfen und lachten.
„Ich glaube, sie sind jetzt schon betrunken", kicherte Savannah neben mir und dann landete der erste Papierflieger auf unserer Seite auf unserem Tisch, genau vor ihrer Nase. Bitte, tu es nicht, dachte ich im Stillen, aber da war es schon zu spät. Savannah griff nach dem Flieger, biss sich grinsend auf die Lippe und warf ihn schwungvoll zurück.
Dann brach regelrecht eine Schlacht aus. Es waren wahrscheinlich zwei Dutzend Papierflieger, die über unsere Köpfe schwebten und ich vergrub verzweifelt das Gesicht in meinen Händen, während auch die anderen Mädels mitmachten und ich abermals die einzig Anständige in diesem Raum war.
„Leute, bitte", versuchte ich sie leise zu beschwichtigen, aber sie waren mit den Gedanken bereits komplett woanders.
Und dann passierte es. Ich sah regungslos dabei zu, wie ein Papierflieger geradewegs auf mich zukam und hatte noch nicht einmal Zeit, mich zu ducken oder mich sonst irgendwie zu schützen, aber das war auch gar nicht nötig, denn er landete fein säuberlich auf dem Tisch genau vor mir. Erstaunt darüber, dass ich meinen Namen auf dem Papier lesen konnte, hob ich meinen Kopf und traf auf Carters fragenden Blick. War der Papierflieger etwa von ihm?
Ich sah zurück zu dem Flieger und dann wieder zu ihm und sah, wie er seine Augenbraue hob. Langsam kapierte ich, was er mir damit vermitteln wollte und fixierte meinen Blick zögerlich auf den Papierflieger vor mir. Carter wollte aus irgendeinem mir unerklärlichen Grund scheinbar, dass ich mitmachte. Ich sah zu meinen Freundinnen, die immer noch total dabei waren und sich prächtig amüsierten und ich war mir unsicher.
Mich überkam dieses seltsame Gefühl, dass der Wurf mit dem Papierflieger etwas mehr bedeuten würde, als nur das Mitmachen bei dieser ganzen Aktion. Es würde bedeuten, dass ich mich offiziell zu solchen kindischen Späßen mitreißen würde und auch, dass Carter wie so oft seinen Willen bekam. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr versuchte ich mir einzureden, dass ich wieder einmal viel zu viel in eine so einfache Sache hinein interpretierte und es mir sicherlich nicht schaden würde, lockerer zu werden und vielleicht auch mal von meinen Ängsten und plagenden Gedanken loszulassen und frei zu sein, frei wie ein Papierflieger.
Es bedarf also keine weitere Sekunde des Zögerns mehr, in der ich nach dem Flieger griff und ihn mit ganzer Kraft zu Carter zurück warf. Sobald auch die anderen Jungs in mir ein neues Ziel entdeckten, wurde ich mit Papierfliegern regelrecht bombardiert und ich konnte nicht fassen, dass ich aus dem Lachen gar nicht mehr herauskam und mich für diesen Moment glücklich fühlte.
So langsam ebbte der Flugverkehr ab, viele Flieger landeten außer Reichweite, für die niemand Lust hatte, aufzustehen und so blieben einige wenige in der Luft. Die Ersten hörten mit dem Spaß auf und sackten leicht erschöpft in den Sitzen zurück, während ich hingegen zum Schluss hin immer mehr aufdrehte. So sehr, dass ich sogar von meinem Stuhl aufstand, um besser zielen zu können. Schließlich erwischte ich zwei Papierflieger und wollte beide gleichzeitig fliegen lassen, was ich dann auch sehr ekstatisch tat.
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Lumina ✈ Destination: Europa
Teen FictionDas Leben war für Lumina nicht immer einfach. Aufgewachsen im Waisenhaus, kämpfte sie ums Überleben, bis sich ihr größter Wunsch erfüllt und sie adoptiert wird. Zehn Jahre später ist Lumina zu einem Teenager herangewachsen und steht vor ihrem ersten...