Kapitel 18 | Hochhaus-Schaukel

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Er mied mich. Carter mied mich absichtlich und das bereits den ganzen Tag lang. Normalerweise lief ich ihm immer mindestens einmal über den Weg, musste mir einen seiner dämlichen Sprüche anhören und mich von ihm nerven lassen. Aber nicht heute, nicht dieses eine Mal, wo ich ihn sogar aktiv suchte und lediglich eine Entschuldigung von ihm erwartete. Er war nirgendwo aufzufinden und ich wurde von Minute zu Minute nur noch wütender und konnte gar nicht fassen, was für ein Feigling er war. 

Ich war gerade an dem Punkt angelangt, wo ich Savannah doch glauben wollte, wo ich Carter doch nett finden und mit den ewigen Streitereien aufhören wollte und da wurde ich so von ihm enttäuscht, dass ich diese Pläne sofort wieder über Bord warf. Ich war so frustriert, dass ich über nichts anderes reden konnte, während ich mit Savannah durch Amsterdam lief und wir uns noch ein wenig die wundervolle Stadt ansahen, bevor es bald weiterging. 

Davon, dass ich deren Gespräch belauscht habe, erzählte ich meiner besten Freundin nichts, begann meinen Monolog aber mit den Worten, dass alles, was gestern passiert ist, seine Schuld war und er sich dafür ruhig hätte entschuldigen können. Daraufhin beschwerte ich mich noch minutenlang, bis Savannah mich ungeduldig unterbrach: „Lumi, ich liebe dich, aber bitte rede nicht mehr darüber. Ich finde es auch echt mies von ihm, dass er sich nicht entschuldigt hat, aber der Tag ist noch lang und wer weiß? Vielleicht wirst du ja doch noch positiv überrascht. Wenn nicht, dann nicht, dann wissen wir, dass er sich unsere Aufmerksamkeit nicht mehr verdient hat." 

Ich musste kichern, wurde aber schnell wieder ernst. „Die Sonne geht beinahe unter, der Tag ist nicht mehr so lang. Und wir beide sind unterwegs, wer weiß, wann wir ins Hotel zurückkehren. Also..." 

„Shh!" Sie drückte ihren Finger auf meine Lippen und hob ihre Augenbrauen. „Ich möchte nichts mehr hören, okay? Lass uns jetzt einfach noch Spaß haben und Amsterdam genießen." 

Verständnisvoll nickte ich und hielt ab sofort meinen Mund geschlossen. Wir schlenderten an den tollsten Geschäften und kreativsten Schaufenstern vorbei und kurze Zeit später war Carter vollkommen aus meinen Gedanken verschwunden. Wir fuhren ziellos mit der Metro hin und her – zumindest fühlte es sich für mich ziellos an, denn Savannah lag ein seliges Grinsen auf den Lippen, das immer breiter wurde und irgendwann wurde sie so hibbelig, dass ich sie drauf ansprechen musste. 

„Was ist los mit dir, Sav?", fragte ich erstaunt und bekam als Antwort zunächst ein herzliches Lachen. 

„Das wirst du gleich schon sehen." 

Jetzt war ich wirklich gespannt darauf, woraus Savannah so ein riesiges Geheimnis machte. Wir stiegen aus der Metro und sie lief durch den Tunnel hinaus nach draußen, als müsste sie einen Marathon gewinnen. Kaum standen wir an der frischen Luft, wurde Savs Grinsen nur noch breiter und sie deutete auf irgendetwas in der Ferne. 

„Siehst du das? Siehst du das?", fragte sie wiederholt. 

Ich kniff meine Augen zusammen und versuchte zu entdecken, was sie mir zeigen wollte, erkannte aber nichts, was mich ansprechen könnte. „Ich habe keine Ahnung, was du meinst." 

„Na da oben!" 

Ich hob meinen Kopf leicht an und dann blieb mir nur noch der Atem im Hals stecken. „Das glaube ich jetzt nicht, Sav. Das kann unmöglich dein Ernst sein!" 

Sie hüpfte quietschvergnügt auf und ab und strahlte. „Oh doch, das ist mein voller Ernst! Auf geht's!" 

Vor uns befand sich ein knapp hundert Meter großes Hochhaus, auf dessen Dach man zwei gigantische Schaukeln sehen konnte, auf denen man sogar über den Rand des Hochhauses schaukeln konnte. Ich bekam weiche Knie und war mir nicht sicher, ob ich mich darauf einlassen sollte. Savannah schien begeistert zu sein und auf dem Weg nach oben erzählte sie mir noch, dass sie darüber erst vor kurzem im Internet gelesen hat und sich dies nicht entgehen lassen wollte. 

Lumina ✈ Destination: EuropaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt