I. Ich will ihnen helfen,Ciel

40.7K 1.2K 63
                                    

↠𝐒 𝐂 𝐀 𝐑↞

,,Scar?"

Mein Name zerschnitt die ohrenbetäubende Stille in der mein Freund und ich uns befanden wie ein gezielter Schwerthieb. Mein Blick wanderte zu der eleganten Wolfsgestalt meines Seelenbegleiters, der mich schon seit meinem Beitritt in den Hexenzirkel meiner Mutter begleitete. In seinen großen dunklen Wolfsaugen lagen Angst und Unsicherheit, während wir geduckt durch die dunklen Gassen sprinteten. Der matschige Boden erzeugte bei jedem unsere Schritte schmatzende Geräusche, als ich mit dem Schatten der Häuser verschmolz und mir meine Kapuze tiefer ins Gesicht zog. Meine Sinne waren aufs äußerte gespannt und mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb, als ich erneut seine Stimme vernahm. ,,Scar!", wiederholte Ciel zischend und stupste mich am Oberschenkel an. ,,Was ist los?", fauchte ich und konnte nicht verhindern das meine Stimme durch den Druck der in diesen Minuten auf mir lastete schrill klang. Schnell blickte ich mich wieder um, aber als ich niemanden in der schummrigen Nacht ausmachen konnte blickte ich wieder auf meinen Begleiter. ,,Das ist keine gute Idee!" Seine Stimme war wimmernd und seine harten, vom schwarzen Fell bedeckten Wangenknochen wirkten angespannt.

,,Wir haben keine Wahl", entgegnete ich und drängte mich mit ihm gegen die modrige Wand. Das feuchte Holz der Hütte knackte leise, als ich mich weiter dagegen lehnte und zu meinem Seelenbegleiter herunter beugte. ,,Ciel", sagte ich nun etwas sanfter. Meine Angst und Unsicherheit wichen zwar nicht, machte aber dem warmen Gefühl Platz, was ich bei Gesprächen mit Ciel immer verspürte. ,,Ich muss das tun, und das weißt du. Die anderen warten auf mein Zeichen", hauchte ich und erkannte, dass der Wolf vor mir mit dem Kopf schüttelte.
,,Nein, Scar. Diese Menschen haben nur Leid über uns gebracht und jetzt, wo die Malice sie versklavt haben, hoffen sie auf dich und die anderen. " Mit den anderen meinte er die anderen Übernatürlichen, die schon vor den Malice auf der Erde gelebt hatten. ,,Sie haben euch getötet und verspottet", fuhr er fort, und ein leises Knurren entwich seiner Kehle. Ja, die Menschen hatten die Übernatürlichen - gleich ob Hexe, Werwolf, Vampir oder Fee, ohne zu zögern, umgebracht und waren in manchen Dingen nicht besser als die Malice.
Und doch verspürte ich den Drang, ihnen zu helfen. Sie waren so viel schwächer und damals, als sie von den übernatürlichen Wesen erfahren hatten, war das Töten aus Selbsterhaltungstrieb und Unwissenheit entstanden. Die Malice hingegen töteten und versklavten, weil es ihnen scheinbar Spaß machte.
Sanft strich ich Ciel durch sein schwarzes Fell und zwang ein kleines Lächeln auf meine Lippen. ,,Ich möchte ihnen aber helfen, Ciel. Denn du darfst nie vergessen: Ich mag vielleicht Hexenblut in mir tragen, mein Vater war aber ein Mensch", flüsterte ich und erhob mich langsam.
Doch Ciel schnaubte nur leise.
,,Ab hier werde ich allein gehen", erklärte ich und sah meinen Freund an. Dann streckte ich meinen Arm aus und schob meinen Umhang bis zum Oberarm hoch.
,,Bitte überleg es di-", versuchte mein Seelenbegleiter mich umzustimmen, doch ich unterbrach ihn harsch.
,,Nein, Ciel!" Mit einem Kopfnicken deutete ich auf meinen Unterarm und tippte darauf. ,,Jetzt mach."
Er grummelte etwas Unverständliches, sah mich ein letztes Mal flehend an und löste sich dann langsam auf. Seine Gestalt verschwamm mit der Nacht, und das vertraute Kribbeln am Arm setzte ein, als sich Ciel darauf materialisierte. Schon nach wenigen Sekunden prangte das Abbild eines Wolfes auf meinem Unterarm, bei dem der Kopf von Ciel auf meinem linken Handrücken zu erkennen war.
Jede Hexe besaß einen Seelenbegleiter, welcher in der Lage war, auf ihrer Haut zu verschwinden und ihr in vielen Situationen zur Hilfe kam. Meiner war ein Wolf, wohingegen der meiner Mutter ein Waschbär war. Die Seelenbegleiter sind ein Teil unserer Seele und je mächtiger die Hexe, umso mächtiger das Tier.
Ich blickte wieder in die kleinen dunklen Gassen, bevor ich mich leise in Richtung Hafen wandte.
Das Dorf war klein und kaum bewohnt, da der einzige Zweck des Dorfes das Anbauen von Getreide war. Damit wurden dann die Städte der Malice versorgt. Ekel stieg in mir auf, als ich an diese Wesen dachte, deren Seelen so dunkel waren wie schwarze Abgründe; an ihre berechnenden Augen, als sie meinen Vater auspeitschten und das kalte Lächeln, wenn die ersten Menschen zu Boden gingen. Sie waren Monster. Allesamt. Und jetzt war es an uns Übernatürlichen und Menschen, diese Monster zu vertreiben.
Doch das war alles andere als leicht. Die meisten Übernatürlichen unterstützen diese Kreaturen sogar dabei und wandten sich vor dem König und Gefolge im Dreck. Sie vergaßen jeglichen Stolz und wurden zu Marionetten in dem kranken Spiel der Malice.
Aber wir nicht. Mein Clan und Ich.
Die Rebellen, deren Ziel es war, gegen die Malice zu kämpfen. Wir waren nicht viele, vielleicht 50 Männer und Frauen. Nicht genug für eine Rebellion, doch genug, um die Suche des Königs zu vereiteln.
Späher hatten berichtet, dass er jede Stadt, jedes Dorf und jede Sklavenkolonie absuchte, wo der König jedes Mal Schmerz und Leid verbreitete. Die Gerüchte gingen von einem geflohenen Gefangenen bis hin zu einer davongelaufenen Geliebten, jedoch wusste niemand genau, was er suchte.
Das Dorf am Rande einer steinernen Küste lag ruhig vor mir, als ich durch die Schatten meinem Ziel immer näher kam. Die Ausgangssperre war längst überschritten, und die Gassen waren friedlich. Ich rannte weiter und sah schon bald die kleinen Masten des Hafens. Im Schutz einiger Kisten beobachtete ich das Geschehen vor mir und analysierte alles, was ich im schwachen Mondlicht erkennen konnte. Dunkle Gestalten bewegten sich lautlos über das Deck des großen Schiffes und auch davor wurden für das Absegeln die letzten Vorkehrungen getroffen. Stimmen, die erschreckend nahe waren, ließen mich zusammen zucken und hinter die Kisten verschwinden.
,,Wir müssen uns beeilen!", hörte ich eine Stimme, deren Kälte mich unwillkürlich frösteln ließ.
,,Der König will die Ware noch bis zum Morgengrauen", fügte eine andere, nicht minder kalte Stimme hinzu. Ich hörte ein zustimmendes Schnauben. Zwei Malice! Verflucht. Normalerweise übernahmen die anderen, gewöhnlichen Übernatürlichen den Transport der Sklaven.
,,Seine Majestät ist gerade sehr reizbar und würde eine Verspätung nicht dulden", sagte die erste Stimme wieder, und ich stellte erleichtert fest, dass sie sich von meinem Standort entfernten. Angestrengt versuchte ich, die Gestalten in der Dunkelheit ausfindig zu machen.
Malice hatten bessere Sinne als alle anderen Wesen und unter anderen Umständen hätten sie mich wahrscheinlich schon zerfleischt. Aber die Luft war so von dem Gestank von Fisch und Mensch getränkt, dass mein leichter Geruch nicht auffiel. Ich atmete einmal tief durch und fixierte das Schiff, das dunkel vor mir ragte.

Jetzt oder nie.

Gefährtin des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt