Tag 2 - 6

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Noch bevor ich richtig am Erdmännchengehege angekommen war, sah ich bereits ein kleines Kind aufgeregt hüpfen und auf mich zeigen, während es am Ärmel seines Vaters zog. Was war denn jetzt wieder? Soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich das Kind nie gesehen. Gerade als ich überlegen wollte, woher es mich kennen könnte, fiel mir meine Befürchtung von heute Mittag wieder ein. Sollte Mingyu wirklich-?

„Papa, guck mal! Da läuft das Erdmännchen!"

Seufzend schüttelte ich den Kopf, als ich die aufgeregt quietschende Stimme des Kindes vernahm. Gut gemacht, Mingyu...

Nur einen Augenblick später drehte der Vater sich in die Richtung, in die sein Sohn zeigte, und sah mich an. Er sah aus, als wäre er auf dem besten Wege zur Verzweiflung.

„Seungkwan... Wie oft soll ich dir das noch sagen? Er ist Tierpfleger. Ich dachte eigentlich, du wärst alt genug, um den Unterschied zu erkennen."

Inzwischen hatte ich die beiden erreicht und stellte mich zu ihnen. Der Vater lächelte mich entschuldigend an, während Seungkwan fasziniert zu mir aufsah. Ich schätzte ihn ungefähr auf Grundschulalter.

„Wieso denkst du denn, ich sei ein Erdmännchen?", fragte ich den Kleinen, nachdem ich mich vor ihn gekniet hatte, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein. „Weißt du... Erdmännchen sind meine Lieblingstiere. Das waren sie schon als ich so alt war wie du."

Die Augen des Jungen wurden mit jedem Wort größer und er starrte mich voller Faszination an. Nach einem Moment zog er wieder aufgeregt am Ärmel seines Vaters und sah zu ihm hoch.

„Guck mal, Papa, das Erdmännchen spricht!" Er sah aus als würde er sich ehrlich darüber freuen, sodass ich ihm nicht einmal böse sein konnte. Der Vater hingegen atmete einmal tief durch, vermutlich um seine Nerven zu beruhigen. Wer wusste schon wie lange Seungkwan ihn schon damit nervte? Jetzt sah der Kleine wieder zu mir. „Siehst du deshalb aus wie eins?"

Auf seine Frage hin lachte ich nur leicht und wuschelte ihm durch die Haare. Dann stand ich wieder auf. Seungkwan beschwerte sich lautstark, dass ich seine Haare in Ruhe lassen solle und versuchte mich böse anzusehen. Doch seine Faszination machte ihm immer wieder einen Strich durch die Rechnung, weshalb er schließlich schmollte.

„Tut mir leid, Seungkwan ist manchmal etwas vorlaut. Er hat vorhin dieses Bild am Gehege entdeckt, bei dem man bestimmen soll was nicht ins Bild passt, und redet seitdem von nichts anderem mehr. Zu meinem Bedauern hat er sich ziemlich schnell für den Eimer entschieden und behauptet seitdem, Sie sähen aus wie ein Erdmännchen. Ich glaube schon fast Sie sind jetzt für ihn zur Attraktion des Tages geworden."

Freundlich lächelnd hielt er mir die Hand hin. „Jetzt habe ich doch glatt vergessen mich vorzustellen. Ich heiße Seungcheol." Ebenfalls lächelnd erwiderte ich die Geste. „Freut mich, Seungcheol, ich bin Junhui."

Suchend ließ ich meinen Blick über die Umzäunung des Geheges schweifen bis ich das erwartete Foto von mir fand. Schnell riss ich es ab und riss es wie das vorige in Fetzen. Seungkwans Protest ignorierte ich gekonnt. Er hatte seinen Spaß schon.

„Ich habe mir schon etwas in der Art gedacht. Einer meiner Kollegen hat sich einen Spaß erlaubt und diese Bilder aufgehängt. Dieses ist schon das Zweite heute und wer weiß, wo sie noch überall hängen." Ich zuckte mit den Schultern. „Langsam arrangiere ich mich damit. Mehr als sie abzureißen kann ich nicht machen."

Seungcheol nickte verstehend. „Solche Kollegen gibt es wohl überall. Danke, dass Sie es meinem Sohn nicht übel nehmen."

„Ich will mich nicht beklagen, er ist eigentlich ein sehr netter Kollege. Nein, wieso sollte ich Seungkwan deshalb böse sein? Er ist doch noch ein Kind. Außerdem hat er die Fotos ja nicht aufgehangen."

Schmunzelnd wuschelte ich ihm noch einmal durch die Haare. „Es ist trotzdem nicht nett, jemandem zu sagen, er sähe aus wie ein Erdmännchen, Seungkwan." Der Angesprochene war viel zu beschäftigt meine Hand von seinem Kopf fernzuhalten, um mir richtig zuzuhören.

„...meine Haare! Papa, jetzt mach doch was!"

Amüsiert beobachteten wir Seungkwan, der panisch versuchte wieder Ordnung in seine Frisur zu bringen. Dann reichte Seungcheol mir zum Abschied die Hand.

„Nun gut, wir wollen Sie nicht weiter aufhalten. Vielleicht kommt Seungkwan ja wieder auf andere Gedanken, wenn wir uns die anderen Tiere auch noch ansehen. Einen schönen Tag wünsche ich noch!"

Bevor ich die Verabschiedung erwidern konnte, platzte Seungkwan wieder mit glitzernden Augen dazwischen. Dieses Kind musste wohl wirklich immer direkt aussprechen, was ihm durch den Kopf ging.

„Papa, darf ich das Erdmännchen auch mal anfassen?"

„Sehen Sie? Genau das meine ich", lachte Seungcheol, bevor er seinen Sohn an die Hand nahm und von mir weg zog. „Es reicht jetzt, Seungkwan. Du hast den armen Mann heute wahrlich oft genug 'Erdmännchen' genannt."

„Alles klar, ich hoffe Ihr restlicher Zoobesuch wird entspannter. Vielleicht sieht man sich ja nochmal."

Schmunzelnd winkte ich den beiden, die daraufhin weiterzogen. Jedenfalls bis Seungkwan sich losriss und noch einmal zu mir lief. Lachend pflückte ich ihn von meinem Bein und schickte ihn zurück zu seinem Vater. Es würde wohl nicht mehr lange dauern bis Seungcheol mit seinen Nerven am Ende wäre.

„Seungcheol, warte!" Schnell holte ich zu den beiden auf. Mir war eine Idee gekommen, wie ich ihm seinen Tag vielleicht etwas erleichtern könnte. Hoffentlich klappte dies auch so, wie ich es mir vorstellte.

„Geht doch mal zum Elefantenhaus und fragt dort nach Jeonghan. Er ist einer der Pfleger. Ich bin mir sicher, er hilft Ihnen gerne Seungkwan wieder auf andere Gedanken zu bringen. Wenn ich mich nicht irre, sollte er gleich Feierabend haben. Sagen Sie ihm, Jun schickt Sie."

Dankbar nickte Seungcheol und verabschiedete sich erneut. Lächelnd sah ich den beiden nach, ehe ich die Fetzen des Fotos in den nächsten Mülleimer warf und nach Hause ging. Hoffentlich war Jeonghan noch da. Sonst könnte der Tag für Seungcheol noch sehr anstrengend werden. Ich war mir sicher, dass Jeonghans gute Seele den gestressten Vater nicht allein lassen würde. Spätestens wenn er das Wort 'Erdmännchen' hörte nicht mehr.

Elefant, Erdmännchen & Co - Jun FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt