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Am nächsten Morgen wache ich früh auf, vermutlich bin ich immer noch ziemlich aufgekratzt von den gestrigen Ereignissen.

Ungläubig lächelnd betrachte ich meine linke Hand mit dem funkelnden riesigen Diamantring.

Walid liegt neben mir und ist noch tief und fest am schlafen. Scheinbar ist die gesamte Anspannung der letzten Tage, deren Grund ich nun endlich kenne, von ihm abgefallen und er scheint endlich zur Ruhe zu kommen.

Ich wälze mich noch ein paar Minuten unruhig im Bett, schaffe es aber nicht, nochmal einzuschlafen.

Draußen ist es noch dunkel und ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass es erst sieben Uhr ist. So früh kann ich Walid auf keinen Fall wecken, aber ich halte es auch keine Minute länger im Bett aus.

Auf Zehenspitzen schleiche ich mich ins Badezimmer und wasche mein Gesicht, binde meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und putze mir die Zähne.

Ich ziehe mir eine Leggings und ein kurzes weißes T-Shirt an, schnappe mir meine Sneakers und meine Kopfhörer und mache mich auf den Weg ins hoteleigene Gym.

Das kleine Gym ist relativ gut ausgestattet und menschenleer. Ich schalte meine Musik an und drehe sie auf volle Lautstärke.

Ich nehme mir eine Yogamatte und ein frisches Handtuch und beginne vor der großen Spiegelwand mit aufwärmenden Stretching-Übungen.

Ich bin so auf die Übungen und die laute Musik in meinen Ohren konzentriert, dass ich nicht bemerke, dass noch jemand den Fitnessraum betritt, sodass ich mich beinahe zu Tode erschrecke, als mich plötzlich jemand sanft an der Schulter berührt.

Ich bin gerade dabei einen Spagat zu machen, zucke vor Schreck zusammen und fahre panisch herum.

Ein junger Mann, schätzungsweise Anfang zwanzig, steht vor mir und grinst mich verlegen an.

"Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken", teilt er mir auf Arabisch mit.

"Kein Problem, ich habe nur Musik gehört und deshalb nicht mitbekommen, dass du herein gekommen bist. Was gibt's denn?", frage ich ihn freundlich.

"Ich habe meine Kopfhörer zuhause vergessen und wollte dich fragen, ob es ein Problem für dich ist, wenn ich die Musik laut abspiele. Ohne Musik kann ich einfach nicht trainieren", erklärt er mir schulterzuckend.

Erst jetzt betrachte ich ihn richtig. Er ist groß und sehr muskulös. Jeder Zentimeter seines Körpers ist, soweit ich das beurteilen kann, durchtrainiert. Sein Gesicht ist jedoch im Gegensatz dazu total weich und bubihaft. Er scheint wirklich noch ziemlich jung zu sein. Er hat schwarze kurze Haare und keinen Bart und trägt ein Tanktop und eine Shorts.

Lächelnd antworte ich: "Mir geht es genau so. Meine Kopfhörer haben sowieso Noise-Cancelling, also mach deine Musik ruhig an."

"Danke, das ist wirklich sehr nett von dir. Ich bin übrigens Kassem", stellt er sich vor und reicht mir seine Hand.

"Lilli", antworte ich freundlich und schüttele kurz seine Hand.

"Schöner Name! Wo kommst du denn her, Lilli?", fragt er neugierig.

Mir schwant Böses, denn ich ahne langsam, worauf das Gespräch hinaus laufen soll.

"Aus Deutschland und du?", antworte ich daher deutlich nüchterner.

"Ich komme aus London. Wie lange bist du schon hier?", startet er nun den Smalltalk.

In dem Moment fliegt schwungvoll jene Glastür auf, die das Gym vom Flur trennte, und Abbas stapft mit missmutigem Gesicht herein.

"Morgen", grummelt er. "Wer ist der Lelek?", schiebt er durch zusammengebissene Zähne hinterher und ich bin froh, dass der Junge kein Deutsch versteht.

"Abbas", ermahne ich ihn, doch muss unwillkürlich lachen.

"Ja was denn?", zischt er. "Was machst du überhaupt mit dem hier? Hab ich euch gestört oder was?"

Ich verdrehe genervt die Augen. "Ne, wie kommst du auf so 'nen Scheiß? Gegenfrage: Was machst du überhaupt hier?"

"Ich konnte nicht mehr pennen und wollte mich ein bisschen bewegen. Wir sind hier ja nur am Fressen. Und du? Date mit dem Bubi?", fragt Abbas provokant.

Ich boxe ihm auf den Oberarm. "Khallas, reicht doch jetzt, Abbas!", fahre ich ihn an. Er nervt mich mit seiner schlechten Laune. So ein Morgenmuffel.

Kassem steht betreten neben uns und schaut unsicher zwischen Abbas und mir hin und her.

Abbas sieht das und lässt seine Wut nun an ihm aus. Auf Arabisch knurrt er: "Was ist denn? Was stehst du hier rum wie Falschgeld? Yallah, geh trainieren!"

"Abbas!", ermahne ich ihn laut. Mir ist der Zirkus den er hier veranstaltet ziemlich unangenehm.

Kassem ist nun scheinbar völlig verstört, verabschiedet sich knapp von mir und verlässt schnellen Schrittes das Gym.

"Was wollte der überhaupt von dir?", fragt Abbas mich aufgebracht. "Er hat mich gefragt, ob es mich stört, wenn er laute Musik anhat", kläre ich meinen Bruder auf.

Abbas fasst mir unsanft an den Arm. "Bist du dumm oder tust du nur so?", zischt er mich an.

Ich sehe ihn aus großen Augen an.

"Lilli, der wollte einfach nur mit dir ins Gespräch kommen. Hast du nicht gesehen, wie der dich angeglotzt hat? Der hat dich ja beinahe ausgezogen mit seinen Blicken."

"Abbas, ist das dein scheiß Ernst? Bist du eigentlich mein Freund oder Walid?", keife ich nun zurück.

"Sei froh dass ich es nicht bin", knurrt er. "Was denkst du denn was Walid mit dem Babyboy gemacht hätte, wenn er hier zufällig rein spaziert wäre?"

"Alter, Abbas, du hast echt 'n Schaden", erwidere ich frech.

"Ich sag dir jetzt mal was, Lilli. Du hast richtig Scheiße gebaut mit mit Maxim und das weißt du genau so gut wie ich. Es ist ein Wunder, dass Walid dich zurück genommen hat und jetzt sogar um deine Hand angehalten hat. Du bist jetzt seine Verlobte. Wenn du bis hierhin dachtest, das alles sei ein Spiel, muss ich dich leider enttäuschen. Spätestens jetzt ist es das definitiv nicht mehr, also pass auf was du tust. Hätte Walid dich mit dem Kleinen gesehen, nachdem du dich mehrfach mit Max getroffen hast, wäre das wohl für keinen von euch gut ausgegangen. Sei doch nicht so dumm. Wenn dich das nächste mal irgendein Schmierlappen anquatscht, schau auf deine linke Hand und erinnere dich daran, dass du bald eine verheiratete Frau bist, bevor du antwortest", lamentiert Abbas vor sich hin.

"Weißt du was? Du kannst mich mal, Abbas" schleudere ich ihm entgegen und stürme aus dem Gym.

Fünf Minuten und Abbas hat es geschafft mir die ganze Freude über meine gestrige Verlobung zu nehmen.

Seine Worte haben in mir nicht das bewirkt, was er vermutlich beabsichtigt hat, sondern eher das Gegenteil. Ich fühle mich eingeengt und bevormundet, sowohl von Abbas als auch von Walid. Plötzlich scheint der Verlobungsring an meinem Finger von Sekunde zu Sekunde schwerer zu werden und fühlt sich an wie Ballast.

Ich laufe mit schnellen Schritten zu unserem Hotelzimmer und öffne so leise wie möglich die Tür. Schnell schnappe ich mir meine Handtasche und eine Jacke und werfe einen kurzen Blick auf Walid, der immer noch selig schlummert und von dem ganzen Theater nicht den blassesten Schimmer hat.

"Es tut mir leid", flüstere ich und ziehe die Tür hinter mir zu.

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Meine Lieben,

Ich habe mich dazu entschieden, den beiden noch einen zweiten Teil zu schreiben.

Und keine Sorge, auch wenn die beiden schon verlobt sind wird es wieder spannend.. denn auch eine Verlobung kann man lösen 😳
Ob ich den beiden das wirklich antue?
Ihr werdet es erfahren.

A.

In meinem Herzen nur wir Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt