Prolog

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Am 19. Juni 1997 war eine kühle, sternenklare Nacht. Es war die Nacht, in der sich alles änderte.

Schnelle Schritte hallten durch die kalten, modrigen Geheimgänge des Schlosses. Der schwache Beleuchtungszauber alleine verhinderte, dass Iona die Orientierung verlor. Vor mehreren hundert Jahren hatte sie diese Gänge zum letzten Mal benutzen müssen, als sich ein geladener Gast bei der Hochzeitsfeier ihrer Tochter, Canna, als Bedrohung herausgestellt hatte, und Corona hatte verschwinden müssen.

Durch diesen Gang.

Sie legte eine Hand an den Eingang zum Zimmer ihrer Tochter. Corona und Arthur waren wie besprochen die Einzigen, die sich hinter der Wand aufhielten, also drückte sie die Geheimtüre auf.

Corona und Arthur drehten sich erschrocken um, entspannten sich aber ein wenig, als sie ihre Mutter erkannten.

„Du hast uns zu Tode erschreckt", bemerkte Corona. „Warum wolltest du mit uns sprechen?"

„Und warum bist du durch die Geheimgänge gekommen?" Arthur verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich hatte schon beinahe vergessen, dass sie existieren."

„Wir haben nicht viel Zeit." Energisch ging Iona auf die beiden zu und drückte Arthur ein Stück Papier in die Hand, das aussah, als sei es aus einem alten Buch herausgerissen worden.

„Was ist das?", fragte Corona und sah ihrem jüngeren Bruder über die Schulter. „Das ist ein Zauberspruch."

„Mach dich nützlich und zeichne ein Pentagramm auf", meinte Iona an Corona gewandt. Diese zog die Augenbrauen zusammen, und machte eine rasche Handbewegung. Ihre Schreibtischschublade ruckelte und ein Stück Kreide flog heraus und landete auf dem Boden. Dort begann es ein perfektes Pentagramm zu zeichnen.

Iona schloss angestrengt die Augen. „Ich sagte zeichne, nicht zaubere."

„Ich dachte, wir haben es eilig", entgegnete Corona. „Was ist das für ein Spruch?"

„Das ist ein Transferzauber", bemerkte Arthur und reichte seiner Schwester das Papier. Irritiert nahm sie es entgegen, atmete dann aber überrascht auf und wandte den Blick wieder zur ihrer Mutter.

„Oh mein Gott. Du... Du bist-"

„Ja, und wenn mich nicht alle Sinne täuschen, dann ist das Kind ein Schreiber", unterbrach Iona und sah Arthur und Corona fest in die Augen. „Wir müssen es um jeden Preis schützen. Niemand außerhalb dieses Raumes weiß davon, und das muss unbedingt so bleiben. Versteht ihr das?"

Corona und Arthur waren blass geworden, sobald ihnen das Ausmaß der Situation bewusst wurde.

„Woher hast du diesen Zauber?", fragte Corona schließlich.

„Den hat euer Vater vor ein paar hundert Jahren für eine Freundin von mir geschrieben. Sie war nicht verheiratet und schwanger, das war, wie ihr euch bestimmt erinnert, nicht gerne gesehen."

„Hat der Zauber denn funktioniert?", hakte Arthur nach. Iona nickte.

„Es ist ein Blutzauber. Das Kind wird irgendwo in unsere Familie hineingeboren werden."

„Na, hoffentlich bin es nicht ich", murmelte Corona und Iona lächelte mild.

„Keine Sorge, dieser Zauber wirkt mindestens über drei Generationen hinaus. Wenn ihr ihn nicht versaut." Die beiden blinzelten ihre Mutter irritiert an.

„Ich kann diesen Zauber nicht alleine sprechen, er ist zu stark", erläuterte sie. „Ihr müsst das tun." Wenig begeistert begannen Arthur und Corona die Kerzen einzeln anzuzünden, um sich ihre Magie aufsparen zu können. Dann stellte Iona sich in die Mitte des Pentagramms. Arthur und Corona platzierten sich vor und hinter ihr und nahmen sich an den Händen.

„Ich hoffe, ihr wisst den Spruch noch", mahnte Iona. „Wenn ihr das versaut, dann..."

„Der Spruch besteht nur aus zwei Sätzen, die wir konstant wiederholen müssen", erwiderte Arthur. „Ich glaube, das kriegen wir hin."

„Ein falsches Wort und ihr könntet mich umbringen", erinnerte Iona.

Corona blinzelte ihren Bruder über die Schulter ihrer Mutter hinweg unsicher an und schluckte. Er drückte ihre Hände zuversichtlich. Sie hatten ohnehin keine Wahl. Die beiden waren die Erstgeborenen und damit die zwei Stärksten. Wenn der Zauber funktionieren sollte, dann waren sie die beste Wahl.

Iona schloss die Augen und verabschiedete sich in Gedanken von ihrem Kind, während Corona und Arthur begannen den Zauber aufzusagen. Wieder und wieder. Die Flammen der Kerzen schlugen höher und kräftiger.

Sie würde ihr Kind eine sehr, sehr lange Zeit nicht mehr sehen. Vielleicht nie wieder. Natürlich war sie sich all der Risiken mehr als bewusst, (schließlich hatte sie seit Nächten nichts anderes getan, als darüber nachzudenken), aber es schien ihr dennoch die beste Option.

Maeve, falls es ein Mädchen sein wird, dachte sie. Und Eoin, falls es ein Junge wird. Nach Theodoric's Vater benannt.

Corona hielt den Blick gesenkt, aber als der Zauber beinahe vollbracht war, bemerkte Iona das goldene Leuchten in den Augen ihrer Tochter und wusste, dass der Zauber funktioniert haben sollte. Die beiden hatten keine Fehler gemacht, auch wenn Iona gegen Ende eindeutig spüren konnte, dass ihr nun etwas fehlte.

Die Kerzen brannten wieder in normaler stärke, oder waren während des Zaubers ganz erloschen.

„Und was machen wir jetzt?", fragte Arthur nach ein paar Sekunden des Schweigens und ließ die Hände seiner Schwester los. Die beiden umgab eine Magiespur, die heller schien als alle Kerzen im Raum zusammen. Eine Zeit lang würden sie sich wohl in ihren Zimmern einschließen müssen. Niemand durfte wissen, dass sie einen so mächtigen Zauber gewirkt hatten. Aber es gab noch eine Sache, bei denen die beiden Iona helfen mussten. Eine Sache, für die Iona ihre Magie aufgespart hatte.

Sie seufzte und sah zwischen den beiden hin und her. „Jetzt beschwören wir einen Dämon, der mein Kind findet, beschützt und hoffentlich zurückbringen wird."

Wicked Game (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt