Beverly
Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass ich in meinem ganzen Leben schon einmal so heftig geweint hatte, wie in dem Augenblick, in dem Odilia mir gesagt hatte, dass Aidan tot war. Ich war auf sie losgegangen und sofort waren die vermummten Gestalten hereingetürmt, hatten mich nach draußen gezerrt und zurück in die Zelle geworfen. Das war wohl der kleine heroische Kampf gewesen, als ich mich heulend, aber kreischend und tretend zur Wehr gesetzt hatte. Nur hatte es nicht viel gebracht, denn zwei erwachsene Männer waren natürlich um Welten stärker als ich. Aber leicht hatte ich es ihnen nicht gemacht.
In meiner Zelle hatte ich mich in meiner vertrauten Ecke zusammen gekauert und geschrien und geschluchzt, bis ich heiser gewesen war und keine Tränen mehr zum Weinen übrig gehabt hatte. Meine Zellennachbarn hatten zu meiner großen Überraschung nicht geschrien: „Schnauze halten!", wie ich es erwartet hatte. Irgendjemand in der Zelle neben mir hatte sogar die Hand durch die Gitterstäbe zu mir herübergestreckt. Nach einiger Zeit, in der die Hand mich immer wieder zu sich gewinkt hatte, war ich über den Boden gerobbt und hatte sie ergriffen. Ich wusste nicht, ob es eine Frau oder ein Mann war, aber diese kleine Berührung hatte etwas Tröstliches. Hier unten waren wir alle gleich und ich fragte mich, welche Geschichte jeder einzelne wohl zu erzählen hätte. Wäre ich nicht so am Boden zerstört gewesen, hätte ich bestimmt Gespräche mit jedem hier gehalten, den meine Worte erreichen konnten.
Irgendwann hatte mich das viele Weinen ganz taub gemacht und alles, an dem ich mich hatte festhalten können, war diese Hand gewesen. Die Hand, einer namenlosen Person, ohne Gesicht.
Sie hat gelogen, sagte ich mir wieder und wieder in Gedanken. Aidan lebt. Du wüsstest, wenn er tot wäre. Das würdest du spüren, ganz sicher.
Was sagt dir dein Herz?
Er lebt.
Gut, was sagt dir dein Bauch?
Er lebt.
Was sagt dein Verstand?
Wo auch immer ich bin, Odilia kann nie so schnell in Kalifornien gelandet sein, Aidan gefunden, ihn umgebracht haben und wieder zurückgekommen sein. Unmöglich.
Nein, er muss leben. Er muss leben, sonst überlebe ich das nicht.
Was wenn du dich irrst? Vielleicht ist er doch tot und du willst es dir nur nicht eingestehen? Odilia ist eine unglaublich starke Hexe.
Sie hat ihn umgebracht. Umgebracht hat sie ihn.
Eins, zwei, drei, vier. Eins, zwei, drei, vier.
Was hast du getan? Du hättest dich von Anfang an von ihm fernhalten sollen. Dumm, dumm, dumm.
Du hast ihn umgebracht.
Ich werde Odilia umbringen!
So saß ich lange da. Vermutlich Stunden. Die Knie angezogen den freien Arm um die Beine geschlungen. Ich versank in meinen Vorstellungen, Odilia zu töten. Jeden, den sie hier festhielt, zu befreien. Einen Zauberspruch schreiben, der auch Cillian töten würde. Als Heldin aus dieser ganzen Geschichte hervorgehen. Auf keinen Fall würde ich mich aus dieser Sache raushalten, schon gar nicht, wenn Odilia Aidan tatsächlich getötet haben sollte.
„Was soll ich nur tun", wisperte ich zu mir selbst. Die Hand drückte meine etwas fester. „Was soll ich tun, was soll ich tun, was soll ich tun?" Wieder und wieder, bis ich schon gar nicht mehr wusste, warum ich überhaupt etwas flüsterte.
„Reiß dich zusammen, Bevy", hätte Chase gesagt. „Hör auf, dich selbst zu bemitleiden, wie scheiße dein Leben doch ist. Mach was dagegen. Wenn du nicht zufrieden mit deinem Leben bist, dann ändere es, und ein guter erster Schritt wäre es, sich zu überlegen, wie du hier rauskommst, denkst du nicht? Oder muss ich alles selber machen?"
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Wicked Game (Band 3)
Paranormal„Wenn wir uns unser Leben aussuchen könnten, wären wir auch nicht glücklicher." *** Einen Zauberspruch schreiben, der einen Zauberer mit Phönixblut in den Adern töten kann. Nichts leichter als das, wenn man eine ausgebildete Hexe mit Jahrhunderte la...