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Aidan

Ich hatte Addie die letzten Tage nicht mehr erreichen können. Erst hatte ich Beverly nicht alleine lassen wollen, dann war der Zeitunterschied im Weg gewesen, dann hatte meine Schwester mich zurückrufen wollen, ich hatte gerade geduscht, dann hatte ich sie angerufen, als sie geduscht hatte. Und dann waren wir nach Irland aufgebrochen.

Aber jetzt, in diesem Augenblick, besichtigten Chase und Trish ihre eigenen Zimmer, die Beverly's Mutter hatte vorbereiten lassen und Beverly selbst lag in der Badewanne und versuchte sich aufzuwärmen. Die Türe war geschlossen und ich bezweifelte, dass sie mich hören konnte, wenn ich leise redete.

Also versuchte ich mein Glück, wählte Addie's Nummer und betete, dass sie abheben würde, weil ich das Gefühl hatte, bald zu zerplatzen, würde ich niemandem von dieser schrecklichen Gabe berichten. Und obwohl ich nach dem fünften Klingeln schon nicht mehr damit rechnete, dass Addie an ihr Handy gehen würde, tat sie genau das.

„Hey! Wie geht's dir?"

Tja. Wie ging es mir? Sagen wir mal: Ich verstand langsam, warum meine Freundin so dunkel und verdreht war, und warum Addie, als Vaya angefangen hatte, vollständig mit ihrer Seele zu verschmelzen, ein so furchtbarer Mensch gewesen war. Warum Trish manchmal so still und in sich zurückgezogen war.

„Wenn du mir ein Stück Seil und einen Stuhl gibst, weiß ich auf jeden Fall etwas damit anzufangen", meinte ich nur. Zwar hätten mich diese zwei Dinge nicht von meinem Leid erlöst, aber Addie verstand die Anspielung natürlich trotzdem.

„Was meinst du damit?"

Und endlich konnte ich mir alles von der Seele reden. Ich ließ kein Detail aus und Addie hörte mir geduldig zu. Hin und wieder gab sie ein „Oh mein Gott" von sich, während ich durch das Zimmer spazierte, das für die nächsten Wochen mein neues Zuhause sein würde.

Ich stellte mich ans Fenster mit den dicken, dunkelblauen Vorhängen, den Blick auf den dichten Wald gerichtet.

Ich wusste schon gar nicht mehr, wo eigentlich mein richtiges Zuhause war. Es schien so unfassbar lange her, dass ich in Fresno gewohnt hatte und nicht zwischen meiner Wohnung und Beverly's Haus in Bakersfield. Dabei waren es erst ein paar Monate, aber ich fühlte mich wie ein völlig anderer Mensch, in einem völlig anderen Leben. Als hätte jemand eine Kluft zwischen meinem damaligen Ich und dem heutigen Ich gerissen. Und ich wusste, würde ich jemals zurück nach Fresno kehren, würde ich trotzdem nicht mein altes Leben zurückbekommen.

„Wow", sagte Addie schließlich und ich wandte meinen grüblerischen Blick ab und stellte mich vor die Feuerstelle, gegenüber des Bettes. „Ich hab in den letzten Monaten ja bei Gott genug Scheiße gehört und miterlebt, aber das..." Ich ließ meine Finger über die glatte Oberfläche des Kaminsimses gleiten, auf dem eine alte Uhr aus dunklem Holz und goldverziert stand. Es war kurz nach zwölf. Neben dem Kamin stand ein Korb mit gehacktem Holz und ich ging davon aus, dass sich hier das Feuer nicht von selbst entzünden würde. Irgendwie beruhigte mich diese Tatsache.

„Wenn es stimmt, und danach sieht es verdammt nochmal aus, dann ist jeder, jeder, jeder, der mir etwas bedeutet, ein potentieller Grund für den Tod eines anderen Menschen, den ich zu verantworten habe", sagte ich.

„Du klingst ja schon wie Beverly..."

„Addie-"

„Schon gut!", unterbrach sie mich, bevor ich wütend werden konnte. Ich war mir sicher, dass sie mich absolut ernst nahm. Aber sie wusste selbst nicht unbedingt gut mit dieser Neuigkeit umzugehen. „Ich weiß nicht, was du von mir erwartest. Einen Rat?" Sie klang unbeholfen. „Wünsch dir einfach nichts."

Wicked Game (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt