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Beverly

Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich starrte meine Freunde vermutlich an, als wäre mir gerade das Geheimnis über Gott und die Welt von einem Engel höchstpersönlich zugeflüstert worden.

So fühlte es sich auch an.

Im nächsten Moment sprang ich auf, stürmte aus dem Zimmer und hörte meine Freunde mir gerade noch nachrufen, aber ich rannte schneller, als wenn der Teufel hinter mir her gewesen wäre. Zwei Mal stolperte ich fast über meine eigenen Füße, drei Mal rannte ich in jemanden rein und brüllte ein „Entschuldigung" über meine Schulter hinweg. Ich trampelte in den Kerker hinunter und fing meinen heftigen Sprint an den Gitterstäben ab.

Brikeena reagierte nicht einmal, als ich mich an den Eisenstäben festklammerte, mein Gesicht hindurchpresste und versuchte zu Atem zu kommen während ich keuchte: „Eine Sache, nur eine einzige Sache, ich flehe dich an!"

Sie reagierte immer noch nicht, aber die Wachen kamen einen Schritt näher, vielleicht weil sie Angst hatte, ich würde Brikeena aus der Zelle lassen. Misoa stand auf und stellte sich gebannt vor die Metallstäbe.

„Wurde Cillian als Zauberer geboren?", fragte ich schließlich. Jeder Muskel meines Körpers spannte sich an. Meine Fingerknöchel traten weiß hervor, während ich die Gitterstäbe umklammerte. Tränen brannten in meinen Augen, weil ich so verzweifelt eine Antwort haben wollte.

Dass Brikeena das Kinn ein wenig anhob war eine so subtile, aber kraftvolle Änderung in ihrer Haltung, dass ich mich am liebsten durch die Stäbe gepresst hätte, nur um ihr in die Augen sehen zu können.

„Brikeena", hauchte ich, als sie nicht antwortete. „Brikeena, bitte." Ich spürte die Anspannung zwischen den Steinwänden. Meine, Misoa's, die der Wachen, selbst Brikeena's.

„Bitte."

Ich spürte das Knistern in der Luft. Ich spürte jeden Herzschlag so deutlich wie Wellen an den Strand schwappen. Ich spürte die Tränen, die kurz davor waren, über meine Wangen zu rollen.

„Bitte."

Und dann, als ich schon gar nicht mehr daran glaubte, drehte sie den Kopf quälend langsam zu mir. Ich hielt den Atem an. Ihr Blick traf meinen und ich hatte schon gar keine Kraft mehr, noch einmal ihren Namen zu sagen.

Dann schüttelte sie kaum erkennbar den Kopf, und ich stieß zitternd den Atem aus, als nun doch zwei Tränen schwer auf den Boden tropften.

„Was hat das zu bedeuten?", fragte Misoa und auch die Wachen sahen einander verwirrt an.

Das war es. Das letzte Puzzlestück, hatte mir Brikeena gegeben. Das einzige Puzzlestück, das passte. Das Bild war zusammengesetzt.

„Ich danke dir", brachte ich noch heiser hervor, bevor Brikeena den Blick wieder abwandte und ich nach oben stürmte. Schwer atmend klammerte ich mich an dem Vorsprung des Fensters ab, sah nach draußen auf die grünen Felder und das tiefblaue, glitzernde Meer und atmete tief durch. Einmal, zwei Mal, drei Mal. Mein Herzschlag wollte sich nicht beruhigen. Meine Hände zitterten, als mir ein Schluchzen entfuhr.

Ich hatte die Antwort. Ich hatte sie endlich. Und wenn ich jetzt keinen Fehler machen würde, dann würde alles gut ausgehen. Endlich konnte ich einen Ausweg sehen. Ein Licht am Ende des Tunnels.

Ich lachte und schluchzte und stützte den Kopf in die Hände. Einige Sekunden erlaubte ich mir noch, so am Fenster zu stehen, doch dann wischte ich mir die Tränen weg, richtete mich auf und zwang meinen Puls, sich zu beruhigen, als ich den Flur entlang ging und mich auf die Suche nach Lorcan machte.

Wicked Game (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt