Beverly
Das war er also gewesen.
Der Sturm.
Die ruhigen Monate und all die dahinsiechenden Wochen, in denen ich gehofft hatte voranzukommen, hatten lediglich zu Chase' Tod geführt.
Wenn ich so darüber nachdachte, dann war Iona's Entscheidung, mich in einer anderen Familie aufwachsen zu lassen, durch und durch falsch gewesen. Es hatte so viele Menschen verletzt. Es hatte so viele Menschen getötet.
Es war nun fast eine Woche her und ich wachte immer noch schreiend und weinend auf, weil ich ihm Nacht für Nacht beim Sterben zusehen musste. Wieder und wieder sah ich, wie Odilia ihn umbrachte und ich unfähig war, sie aufzuhalten.
Ich saß vor dem Fenster in meinem Zimmer und sah nach draußen. Der Scheiterhaufen war abgebaut worden. Eigentlich war ein schöner Tag. Die Sonne schien, die Vögel kreisten über dem Schloss umher.
Corona, Lorcan und Finley hatten mich auf mein Zimmer verwiesen, damit ich mich ein wenig erholen konnte, nach allem, was passiert war. Die ersten drei Tage hatte ich auch tatsächlich nur in meinem Bett verbracht und mit niemandem gesprochen. Arlen's Medizin hatte den Schnitten dabei geholfen, gut zu verheilen. Mein Bein tat noch ziemlich weh, aber der Schnitt an meiner Brust war abgeheilt und die Würgemale und Abschürfungen an meinem Hals waren auch verheilt.
Nur eine Wunde klaffte nach wie vor offen und gegen die hatte Arlen keine Medizin.
„Was war das für ein Rauch?", hatte ich Arlen vor zwei Tagen müde gefragt, als er meinen Arm untersucht hatte. Egal, was er auf meinen Arm legte, welche Tränke ich hinunter würgte, oder welche Zauber er ausprobierte, die Brandmale an meinem Arm wollten nicht verschwinden.
Er hatte mich verschlossen angesehen.
„Arlen?"
Ich hatte es auch ohne seine Antwort gewusst. Die Narben, die sich dank des schwarzen Nebels über meinen Arm, meine Schulter und einen Teil meines Oberkörpers zogen, sahen genauso aus, wie Acacia's Male.
„Wie lange habe ich noch?"
„Ich weiß es nicht", hatte er geflüstert. „Cillian's Fluch war recht stark. Aber das hier..." Er hatte meinen Arm betrachtet. „Das hier war Odilia's Werk." Außerdem war ich beinahe komplett in den Nebel hineingefallen. Bei Acacia hatte der Fluch an einer winzigen Stelle angedockt und sich langsam ausgebreitet.
„Wie lange?"
„Mit etwas Glück ein paar Monate."
Ein paar Monate.
Ich hatte noch ein paar Monate zu leben und konnte den Fluch nur brechen, wenn ich Odilia tötete. Und das konnte ich nicht, solange sie Cillian nicht seine Magie genommen hatte.
Die Brandnarben taten nicht mehr so weh, wie in den ersten Tagen und noch merkte ich auch von den Auswirkungen des Fluches nicht viel. Gelegentlich hatte ich recht starke Kopfschmerzen und holte mir etwas von Arlen dagegen.
Er war einer der wenigen, die davon wussten, dass ich nicht mehr lange zu leben hatte. Meine Freunde wussten es jedenfalls nicht und das sollte so bleiben.
Addie war wieder in Fresno mit den Babies. Finley und Corona hatten die Babies mit einem unfassbar starken Schutzzauber belegt, damit ihnen die Reise mit dem Ataria nicht zusetzen konnte und ich fragte mich, warum wir diesen Luxus nicht auch bekommen hatten. Aber nachdem die beiden von der Energie, die ihnen der Zauber abverlangt hatte, völlig erschöpft gewesen waren, hatte ich es verstanden.
Chase war auch nicht mehr hier. Chase' Körper meine ich. Aidan hatte es seiner Familie erzählt und Lorcan und Finley hatten ihn ebenfalls zurück nach Kalifornien gebracht.
Ich wäre gerne bei der Beerdigung dabei gewesen, aber ich war die letzte Person, die seine Familie dort hätte sehen wollen, das musste mir niemand sagen.
Iona war noch nicht von ihrem Trip zurückgekehrt, ich wusste weder, wo sie war, noch, ob sie wusste, was geschehen war.
Acacia war tot.
Chase war tot.
Brikeena war verschwunden. Sie hatten sie mitgenommen.
Cash hatte Misoa ebenfalls an die ganzen vermummten Gestalten verloren und lag mit gebrochenen Beinen im Bett.
Und ich war verflucht und würde in wenigen Monaten unter größten Schmerzen das Zeitliche segnen.
Es war alles um sonst gewesen.
Es war noch schlimmer als um sonst gewesen, denn wir waren noch viel schlimmer dran als vorher.
Obwohl... vielleicht doch nicht ganz.
„Beverly?"
Ich drehte den Kopf. Trish stand im Zimmer. Es war Zeit. „Willst du das wirklich tun?"
Ich nickte und kämpfte mich aus dem Stuhl, den ich vor das Fenster geschoben hatte. Ein stechender Schmerz fuhr durch mein Bein und Trish kam, um mich zu stützen. Nur fasste sie dabei etwas zu grob an meinen rechten Arm und ich sog scharf die Luft ein.
„Entschuldige!" Schnell wechselte sie die Seite.
„Du musst das nicht tun", erinnerte sie. „Du musst niemandem etwas beweisen."
Darum ging es mir nicht. Es ging nicht darum, was irgendjemand von mir erwartete. Es ging um viel mehr.
Ich legte meine Hand auf ihren Arm. Sieben Tage waren kaum genug Zeit, um all das, was passiert war, zu verdauen. Dunkle Schatten zeichneten sich unter ihren Augen ab. Seit Addie wieder in Fresno war, hatte Trish jede Nacht bei Aidan und mir auf der Couch geschlafen.
„Ich schaff das schon", versicherte ich ihr, ging an Trish vorbei und kroch die Flure entlang, während mein Herz das Blut immer kräftiger durch meinen Körper pumpte. Seit einigen Tagen fühlte es sich an, als hätte ich Eisenketten an den Füßen, aber jetzt gerade spürte ich den Zorn und die Trauer wie Wind, der sich in meinen Rücken drückte und mich nach vorne trieb.
Das Schloss sah immer noch zerstört aus, aber die kaputten Statuen waren weggeräumt worden und es lagen keine Leichen mehr in den Fluren herum. Lediglich der Rauchgeruch stand noch in der Luft und die abgebrannten Stoffe waren noch nicht ersetzt worden.
Vor Corona's Statue warteten Lorcan und Finley.
„Sicher?", fragte er unsicher.
Wieder nickte ich und Lorcan murmelte den Spruch, der die Statue dazu brachte, sich zur Seite zu bewegen.
Finley öffnete die Türe und ich stieg die Treppen mühselig hinunter.
Erinnerungen von der Nacht keimten in mir auf und ich verkrampfte jeden Muskel, um nicht zu frösteln und den Brechreiz zu unterdrücken.
„Da ist sie ja!", rief die freudige Stimme, als ich von der untersten Treppenstufe trat. Sie trat in ihrer Zelle aus dem Schatten. „Ich hab mich schon gefragt, wann du mich endlich mit deinem Besuch beehrst."
Ich stellte mich dicht vor die Gitterstäbe, ohne den Blickkontakt abzubrechen.
„Ich habe nur eine Frage", sagte ich und merkte, wie kratzig, aber entschlossen und eiskalt meine Stimme klang.
Odilia grinste mich teuflisch an und ich beugte mich vor.
„Wo versteckt sich Cillian?"
Ende von Buch drei
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Wicked Game (Band 3)
Paranormal„Wenn wir uns unser Leben aussuchen könnten, wären wir auch nicht glücklicher." *** Einen Zauberspruch schreiben, der einen Zauberer mit Phönixblut in den Adern töten kann. Nichts leichter als das, wenn man eine ausgebildete Hexe mit Jahrhunderte la...