Kapitel 16

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Das Büro der Principal war an diesem Abend gut gefüllt. Eigentlich wollte sie schon zuhause bei ihrem Mann sein, aber als Madame Rowntree in ihr Büro stürmte und kurz danach auch Lord Dowrich kam, ließ sie sich seufzend zurück in ihren Stuhl sinken und lauschte den Stimmen Wirrwarr. „So etwas habe ich noch nie gesehen!" „Ich sage nur ein einziges Wort: Macht." „Unglaublich." „Ich kann das nicht glauben!" Und noch mehr Getuschel erklang. Prinzipal Charlotte Northtop schwirrte schon der Kopf und sie sprach ein Machtwort: „Ruhe!" Sofort schwiegen alle Beteiligten und zollten ihr Respekt. „Ich verstehe gar nichts! Kein Wort, wenn alle gleichzeitig reden! Also alles von Anfang und jeder einzeln. Madame Rowntree, wie war Ihr Unterricht mit Philippa?" „Zuallererst war alles normal, sie schaffte es sogar nach wenigen Augenblicken schon das Wasser zu bändigen. Doch dann änderte sich alles und..." hysterisch wedelte die ältere Frau mit den Händen rum und schaute eindringlich Charlotte Northtrop an. „Erzählen sie weiter, Madame!" forderte Prinzipal Northtrop sie sanft auf. „Plö- plötzlich war da diese Welle! Die, die war unglaublich groß! Sie erfüllte den ganzen Raum und alle japsten erschrocken nach Luft! Das war... erstaunlich! Und beängstigend! Auch ich bin zusammen gezuckt und musste mich stark anstrengen auf Philippa zu zu gehen und nicht zurück zu weichen. Ich hab diese Kraft noch nie bei einem Neuanfänger gespürt. Um ehrlich zu sein, habe ich diese Macht bei noch keinem Arcani wahr genommen!" Berichtete sie ehrfürchtig und erntete dafür irritierte Blicke der anderen. „Ja! Dasselbe war auch als ich mit ihr trainiert habe! Sie kontrollierte eine Feuerfontäne und ließ dann einen Funkenregen herab rieseln. Ihre Kräfte verhalten sich nicht wie die eines Neuanfängers, selbst wenn sie die höchste Ausprägung hätte, ist das kaum möglich! Dennoch hat sie viel Potential, wenn sie es lernen würde zu kontrollieren, weiß ich nicht mal wie weit sie kommen würde oder zu was sie fähig wäre!" fügte Lord Galan Dowrich hinzu. Nun schauten einige der Anwesenden ungläubig drein, doch die Lehrer logen nicht. Nach langen Minuten des Schweigens erfüllte wieder die ruhige Stimme der Prinzipal den Raum. „Was schlagen sie vor? Wie sollen wir mit ihr verfahren?" „Man kann sie nicht in einer Klasse unterrichten! Sie kann ihre Kräfte nicht kontrollieren und wäre so eine Gefahr für sich und alle anderen Schüler. Man spürt ihre große Machtpräsenz sobald sie eins der Elemente bändigt, aber sie selbst unterschätzt sich. Sie ist außergewöhnlich. Anders. Sie hat mehr zu bieten, als der Standard Unterricht. Wir sollten testen wie weit ihre Fähigkeiten gehen und was sie alles kann. Sie braucht ein Sondertraining!" wendete Galan ein. „Sehen sie das genauso Madame Rowntree?" richtete sich Charlotte nun an sie und sie bestätigte es nur mit einem eifrigen Nicken.

„Okay, dann ist das beschlossen. Lord Dowrich, sie werden Philippa weiterhin in Feuer und Zeit unterrichten. Für das Element Wasser finde ich noch jemanden, da sie, Madame Rowntree nicht die Ausprägung dazu mitbringen. Wir werden sie weiterhin beobachten und sie werden Bericht erstatten. Ich will unbedingt über alles Bescheid wissen, jeden Fortschritt, jedes Detail des Trainings, was für sie wichtig erscheint. Alexander, Florence? Ihr werdet in der Schule ein Auge auf sie haben, ja?" Ein Nicken ging durch die Anwesenden und alle wendeten sich ab zum Gehen. Galan blieb jedoch noch zurück um mit Prinzipal Northtrop unter vier Augen zu reden. „Ist noch etwas?" fragte sie immer noch freundlich aber sichtlich gestresster. „Sie wissen, was es bedeuten würde, wenn sie all ihre Talente auf Stufe 5 beherrscht, oder? Darüber sollten wir uns Gedanken machen!" warf Galan ein und Charlotte Northtrop entglitten ihre Züge. „Lord Dowrich! Ich will nie wieder ein Wort davon hören! Was wäre das für ein Skandal, wenn heraus käme, dass ein Adeliger, einer von uns, sein Kind einfach so in der Menschenwelt ausgesetzt hätte? Bewahren sie still schweigen über ihre Gedankengänge! Ich will davon nichts mehr hören! Verbannen sie sämtliche dieser Ansätze aus ihren Gedanken, haben wir uns verstanden? Philippa wird von unserer Akademie gesponsert und hat grandiose Zukunftschancen wenn jemand ihr Patronus werden will. Und jetzt bitte ich sie auf höflichste Weise zu gehen. Wie es aussieht, haben sie in nächster Zeit einiges zu tun!" Anders als sonst wurde ihre Stimme zum Ende hin hart und kühl, nichts war von dem sanften Wesen zu erkennen, dass sie normalerweise immer ist. Und so verließ auch Lord Dowrich entschuldigend das Büro.

Von all den Entscheidungen bekam Philippa nicht viel mit und sie bemerkte auch nicht das Alexander sie beschatten ließ. Seit er wieder in Artemia war, ging er auf Abstand. Seine Gefühle drohten ihn zu überfahren, denn in jeder freien Minute dachte er über das eigenartige Mädchen nach und nachts kamen wieder Träume, die längst in Vergessenheit geraten waren. Er tollend auf der Wiese mit seinen Eltern und Geschwistern. Philippa ging ihm unter die Haut und plötzlich war es gar keine so schlechte Idee mehr, sich in die Arbeit zu stürzen und den Kontakt mit anderen zu unterbinden. Sie weckte etwas in ihm, das er dachte längst verloren zu haben und sein vor Trauer und Schuldgefühlen zerfressenes Herz schien in ihrer Gegenwart leichter zu sein. Er war befreiter. Warum sein Bruder so eine Abneigung gegen sie hatte wusste er nicht, nicht mal den Hauch einer Idee hatte er was sie beide betraf, doch schon jetzt erkannte er, dass die beiden mehr miteinander verbindet als nicht, deshalb verstand er diese Disharmonie überhaupt nicht.
Das er das alleine schon bemerkte und darüber nachgrübelte, zeigte, dass er zu oft an sie dachte, doch was sollte er machen? Er empfand Mitgefühl für sie und noch viel mehr, was er sich aber niemals eingestehen würde und all das - das Grübeln, die Gefühle, die Träume - veranlassten ihn, Abstand von ihr zu halten. Was auch immer durch Pippa in Gang gesetzt wurde, er wusste nicht damit umzugehen, geschweige denn ob es positiv oder negativ war. Aber es war sicher, dass sie ein wichtiges Puzzelstück war. Ob sie das erste oder das letzte Stück ist weiß er selbst nicht, aber bevor er das nicht geklärt hat, hielt er sich von ihr fern, egal wie sehr er sich wünschte den Schmerz mit ihr zu teilen und ihr eine Schulter zum Weinen zu geben. Er war ein Prinz und als solcher erfüllte er seine Pflicht und nichts weiter.

Er richtete seine Abschrift des Treffen seiner Tante mit Philippas Lehrern in einem separaten Ordner ab, dazu den Bericht seiner Spione und alle sonstigen Informationen die er über sie gesammelt hat und stellte ihn zwischen seine anderen Ordner und dann drehte er sich demonstrativ weg davon und versuchte das schlechte Gewissen zu unterdrücken.

In den nächsten Tage beobachtete Alex Pippa von Weitem. Dieses Mädchen... Es machte ihn verrückt - auf keine gute Weise. Sie schien verloren zu sein und sein Helfersyndrom verlangte von ihm ihr zu helfen, doch er widerstand dem Drang und beobachtete das Geschehen weiterhin aus der Ferne. Das einzige was ihm klar war, war, dass er nicht in sie verknallt war, aber etwas tieferes als Freundschaft empfand. Nun stand er hier, im Schatten des Flures und beobachtete Pippa, die an ihrem Schließfach stand. Alex hörte allerlei Gerüchte über sie, doch entweder scherte es sie nicht, sie wusste nichts davon oder aber das andere Mädchen lenkte sie ab. Ja, sie hatte schon ihre erste Freundin gefunden. Er glaubte, sie hieß Ellie Benetton. Ein Mädchen aus dem Volk und ebenfalls im ersten Jahr. Die beiden verbrachten fast jede freie Minute miteinander und es schien, als wären sie sich vertraut. Diese Ellie nahm den Platz des Freundes ein, der eigentlich ihm gehört. Zumindest wollte er, dass ihm dieser Platz gehören würde und deshalb war er sogar ein wenig neidisch auf sie. Aber er konnte einfach nicht mit ihr von Angesicht zu Angesicht reden. Es ging nur um ihren Schutz, denn der war ihm fast wichtiger als alles andere. Außerdem musste er ständig sie mit Pippa vergleichen und die Angst schnürte sein Herz zusammen, weshalb er sich auch nicht in ihre Nähe traute. Die Angst, dass ihm die Menschen, die ihm am nächsten waren genommen werden, war einfach übermächtig.

Nicht nur die Lehrerschaft, sondern auch die Schüler Elimas hörten von ihrem ersten extravaganten und speziellen ersten Training, doch auch hier versuchte sie immer weiter in den Hintergrund und raus aus dem Fokus zu rücken. Wie Alex auch erfuhr, trainierte sie abends noch oft alleine in einer der Hallen ihre Elemente oder probierte sich an imaginären Hologramm-Gegnern ihre Nahkampf Technik zu verbessern. Vor allem ihr Nahkampf Training sah lächerlich aus. Mehr als einmal hat er schon darüber nachgedacht zu ihr zu gehen und ihr zu helfen, schließlich beherrschte er dieses Gebiet der Kampfkunst sehr gut. Doch jedes Mal hat er Halt gemacht, sich auf halber Strecke umgedreht und ist in die entgegengesetzte Richtung geflüchtet. Trotz seines Versprechens. Denn sollte er ihr helfen, wäre ein Gespräch vorprogrammiert und diesen wollte er geflissentlich aus dem Weg gehen. Es war falsch, aber dafür war er einfach noch nicht bereit. Und so begnügte er sich damit, Pippa aus der Ferne auszuspionieren und überließ es Flori sie näher im Blick zu haben und seinen anderen Berichterstattern. Irgendwann mussten sich ihre Wege wieder kreuzen, doch er schätzte es sehr, wenn das „Irgendwann" noch in weiter Ferne liegen würde.

Die Chroniken der Arcani - das GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt