Ich war fertig mit der Welt, als die ersten Sonnenstrahlen mein Zimmer erreichten. Ich hatte nicht lange schlafen können und war nun gerädert. Ich blinzelte einige Male um den Schrecken der Nacht von mir zu schütteln und begutachtete bei Licht erneut mein neues Heim. Die Wand bei der Zimmertür war in einem zarten Roseton gestrichen und die angrenzende Wand in einem dunklen Anthrazit, der Rest blieb weiß. Das Bett, der Schreibtisch sowie das Regal und der Rahmen der Lesenische waren aus einem schönen Akazienholz und passten sich perfekt in das Zimmer. Die Couch war mit grauem Stoff bezogen und rosa und dunkelgraue Kissen zierten diese - genau wie mein Bett. Es war spartanisch aber irgendwie gefiel mir das auch. Mein Blick blieb an der Badezimmertür hängen und ich steuerte diese an. Auch dieses war größer als erwartet und voll ausgestattet mit Handtüchern, Bodylotions und was man sonst alles als Frau benötigte, aber ich konnte mich nicht wirklich darüber freuen, denn mein Blick blieb an dem Spiegelbild meiner selbst hängen. Meine Augen waren gerötet und trocken vom Weinen, meine Kleidung war immer noch blutverdreckt und meine Haare lagen wie ein Nest auf meinen Kopf. Sonst strahlten meine Augen mir in einem satten blau entgegen, doch jetzt wirkten sie stumpf, leer und ihrer Lebendigkeit beraubt und sie zierten tiefe Augenringe. Ich sah so beschissen aus, wie ich mich auch fühlte! Ich zog mich aus, warf meine Kleidung nur angeekelt weg und trat dann in die Dusche, wo das warme Wasser auf mich prasselte und den Schmutz von meinem Körper wusch, aber die Kälte konnte es nicht vertreiben. Ich wickelte mich, sobald ich schrumplige Finger hatte in eines der flauschigen Handtücher und rieb eine Stelle am beschlagenen Spiegel frei, nur um mich dann bei meinem Anblick zu fragen, was ich hier überhaupt machte. Ich stand lange einfach nur so da, bis ich einen Föhn suchte um mir die Haare zu trocknen und aus meinem Gepäck einen meiner heißgeliebten Pullis zog. Ich fühlte mich schon wohler, aber nicht mal durch mein nun sauberes Äußeres konnte ich mich über den Schmerz hinweg täuschen oder das Blut das an meinen Händen klebt und um nicht schon wieder zum Weinen anzufangen, räumte ich meine wenigen Habseligkeiten aus und sortierte sie neu ein. In meinem Kleiderschrank entdeckte ich dann auch schon meine Schuluniform, bestehend aus Blusen, Röcken, Krawatten, Pullovern, Sportkleidung und Socken, aber mit meinen Sachen und diesen war der begehbare Kleiderschrank noch nicht mal zu einem Viertel gefüllt. Eigentlich ging das alles schnell, nur bei einem der Gegenstände brachen die Tränen aus mir heraus. Es war ein Bild von mir und Beatrice, als wir vor ein paar Jahren Plätzchen bei uns in der Küche gebacken haben. Wir hatten Mehl in den Haaren und Teig im Gesicht, aber lachten trotzdem in die Kamera. Ich erinnere mich an diesen Tag als wäre es gestern gewesen und gerade das ließ mein Herz schmerzhaft zusammen ziehen. Das war das einzige was mir als Andenken noch blieb von meiner Tante, den Brief habe ich anscheinend verloren, denn ich fand ihn nicht mehr, dabei hätte ich so gerne nochmals ihre Worte gehört. Bevor ich noch tiefer von der Trauer gezogen worden wäre, unterbrach mich ein Klopfen an der Tür, was mich zusammenschrecken ließ, aber ich tupfte nur notdürftig über meine Augen und öffnete die Tür. „Hey! Ich bin Florence. Du musst Pippa sein, oder?" stellte sich ein Mädchen, vielleicht zwei Jahre älter als ich, mit dunkelblonden, schulterlangen Haaren, vor und streckte mir sofort die Hand entgegen. Zögernd erwiderte ich den Händedruck und meinte nur: „Ähm, ja, hallo." Bestätigte ich schniefend. „Freut mich dich kennenzulernen. Hier einen Apfel. Ich dachte du hättest vielleicht Hunger. Bereit?" Ich schaute sie nur fassungslos an und fing ungeschickt den Apfel auf, den sie mir zu warf, solange ich grübelte, was sie meinte, bis es mir wie Tomaten von den Augen fiel. Die Tests! Während ich bedröpelt da stand, musterte ich sie nun genauer. Sie war schlank, hatte Kurven an der richtigen Stelle und war einfach in ihrer Schuluniform gekleidet. Ihre ebenmäßigen Gesichtszüge kamen mir aber irgendwie bekannt vor. Sie ähnelte jemanden doch gerade konnte ich nicht sagen wem. „Wollen wir dann los?" Auffordernd schaute sie mich an und ich lief ihr hinterher. „Darf ich fragen, auf was ich mich jetzt einstellen muss?" „Nichts schlimmes. Wir gehen jetzt zu unserer Krankenstation und ein Heiler wird dir ein Serum spritzen, welches uns ermöglichen wird, zu sehen, wo deine verborgenen Talente liegen und zusammen mit einem kleinen Frage/Antwort Test wird dann die abschließende Beurteilung gefällt." Merkte Florence an und lief mit mir aus dem Wohnheim raus. „Du hast wahrscheinlich schon das ganze langweilige Zeugs über diese Schule gehört, aber als deine Betreuerin ist es meine Pflicht noch das ein oder andere zu erwähnen. Also: Hier hinten finden sich nur die Wohnhäuser wieder. Auf der einen Seite die Jungs, auf der anderen die Mädels. Keine Jungs und Mädchen gemischt, blablabla. Unsere Lehrer haben wirklich Angst vor sexuellen Kontakten. Als ob ein Verbot es besser machen würde!" meinte sie schmunzelnd und verdrehte nur ihre Augen, was sie mir sympathischer machte. „Eigentlich gibt es hier auf dem Campus nur vier Gebäude. Zwei sind für den Unterricht mit Speisesaal, das andere große Gebäude am Hang ist unsere altehrwürdige Bibliothek, die aber sehr gut für das ein oder andere Schäferstündchen ist..." sie kicherte vor sich hin wie ein kleines Schulmädchen und redete dann weiter: „Und dann natürlich noch unsere hochmoderne Sportanlage. Die ist wirklich das beste an der ganzen Schule und du wirst wahrscheinlich den Großteil deines Tages dort verbringen. Du wirst merken, dass unsere Schule richtig Sport vernarrt ist." schwärmte sie mir vor. Ich lauschte gern ihrer Stimme, sie hatte etwas graziles an sich und machte diese ganze Informationstortur erträglicher. „Ach und nur falls es dich interessiert, am Ende des Schulgeländes findest du noch die Ställe für die Pferde." Ergänzte sie und wir betraten eines der Gebäude, das für den Unterricht war. Florence plapperte ununterbrochen weiter und nahm ein wenig von der Lethargie und Nervosität, die mich ergriff als wir das Gebäude betraten. „Also, wir wären da. Nur keine Angst, alles wird gut, aber Principal Northtrop wartet nicht gerne." Damit stieß sie eine Tür auf und eröffnete mir den Blick auf eine Frau in den Dreißigern mit blonden Haaren und einem gelben Etuikleid. „Principal Northtrop, das ist Pippa-" „Philippa Allington." Sprang ich ihr zur Hilfe und dann sprach sie ungehindert weiter: „Pippa, das ist Principal Charlotte Northtrop." Stellte sie uns vor und ich nickte ihr freundlich zu. „Schön sie kennenzulernen, Principal Northtrop. Schön das ich hier sein darf." „Wir freuen uns sehr, dich hier auf Elima willkommen zu heißen. Zuallererst möchte ich dir mein herzliches Beileid zum Verlust deiner Tante aussprechen. Du wirst viel Kraft brauchen um die nächste Zeit zu überstehen, aber ich hoffe das du dies mit Elima und Freunden an der Seite überstehen wirst." Sie blickte mir tief in die Augen, aber ich konnte noch nicht wirklich glauben was sie sagte. Der Schmerz würde sicherlich nie gehen. „Du wirst sicherlich schon nervös sein, oder? Dann bringen wir die Tests hinter uns und danach können wir alles besprechen. Was meinst du dazu?" fragte sie mich freundlich und ich nickte nur. „Super, dann legen wir los! Geh einfach durch diese Tür." sie klatschte in die Hände und erhob sich von der Couch um mir den Weg durch die andere Tür zu weisen. Ich sah durch einen Einwegspiegel in das clean weiße Zimmer und schluckte hart, als ich durch die Tür lief. Sofort empfing mich ein Mann im weißen Kittel und seine zwei Assistentinnen, die an durchsichtigen Bildschirmen hantierten. „Setzen sie sich!" Befahl der Arzt direkt ohne Begrüßung und sah nicht mal von seinen Holotablett in den Händen auf. „Also, beantworten sie jetzt bitte die folgenden Fragen mit dem passenden Wort. Verstanden? Gut. Dann los. Nacht oder Tag?" „Nacht." „Himmel oder Erde?" „Ähm,...Himmel?" Fragte ich und er zog nur kritisch die Augenbrauen hoch. Ich beantwortete noch weitere 98 Fragen bis er letztlich Ruhe gab, aber immer noch stirnrunzelnd sich einer großen Spritze widmete. Bevor ich auch nur bemerken konnte was er tat oder fragen konnte ob er eine kleinere hätte, ergoss sich eine kühle Flüssigkeit in meinen Adern und ich schrie wegen dem Schmerz kurz auf. Doch bevor ich auch nur im Ansatz etwas sagen konnte, verschwamm die sterile Umgebung um mich herum und ein schwarzes Loch fraß mich auf.
DU LIEST GERADE
Die Chroniken der Arcani - das Geheimnis
FantasíaWas ist, wenn das Leben das du kennst, für dich endet? Wenn alles woran du geglaubt hast eine Lüge war? Was wenn du nur eine Lüge warst? Wenn du plötzlich ein Leben leben sollst, von dem du keinerlei Ahnung hast? Ein schicksalhafter Tag verändert al...