Kapitel 4

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Vier Tage waren seit meinem Geburtstag vergangen und das Geschehene war schon wieder Schnee von gestern. Nicht nur das befremdliche Verhalten meiner Tante, sondern auch dieses Gefühl beobachtet zu werden, war verschwunden. Vielleicht hatte ich es verdrängt, doch mich störte es nicht weiter. Doch an diesem Morgen wusste ich noch nicht, was im Laufe des Tages passieren würde. Ehrlich, wenn ich es gewusst hätte, wäre ich heute sicher nicht aus dem Bett aufgestanden und hätte mich durch den Tag geschleppt. Aber fangen wir vorne an.

Also: Ich verließ wie üblich das Haus um meinen Bus zu erwischen. Schnee fiel auf mich herab und es sah aus wie im Winterwunderland. Alles sah schön gepudert aus und ich beobachtete mit kindlicher Freude, wie die Flocken sich in meinem Haar verirrten. Pete nahm mich auch an diesem Morgen wieder mit. Auch hörte ich wie immer Musik während der Fahrt und dieselben Verdächtigen wie jeden Morgen saßen mit mir im Bus. Alles ganz normal, doch heute war trotzdem irgendwas anders. Lag das vielleicht an diesem Jungen, der mich gerade anschaute? Ich fühlte mich wieder beobachtet und es war als würde irgendwas „Gefahr" schreien. Es war wieder nur ein Gefühl, eine Empfindung, die auf Angst basierte. Albern, aber so war es. Ich blickte mich um, aber nur dieser Junge, vielleicht ein, zwei Jahre älter als ich, mit einem wirklich markanten Gesicht, mit kalten grauen Augen und braunen Haaren, schaute mich an. Nein. Er schaute nicht nur, er starrte regelrecht! Seine Augen bohrten sich in meine und ließen meine Nackenhaare sich aufstellen. Sein Blick wurde stechender, intensiver und gefährlicher und ich zählte die Sekunden, bis ich endlich seinem unbarmherzigen Blick entfliehen konnte. Es war sein kalter Blick. Sie funkelten so mörderisch auf. Ich biss mir selbst in den Hintern, da ich wirklich dachte dieses paranoide Getue meiner Wenigkeit wäre Vergangenheit, aber ich habe mich getäuscht. Heilfroh sprang ich von meinem Sitz wie von der Tarantel gestochen, sobald die Haltestelle zur Schule in Sicht kam und versucht so normal wie möglich - also total auffällig - zur Tür zu schleichen und den Jungen zu ignorieren. Noch einmal spickte ich vorsichtig über meine Schulter, um zu schauen was der Junge machte, aber er war weg! In dem einem Moment saß er noch ein paar Reihen hinter mir und starrte mich an und jetzt war er weg. Einfach Puff. Als hätte er sich in Luft aufgelöst. Doch das ist ja nicht möglich. Das weiß ja jeder. Deshalb blickte ich mich suchend nach ihm im Bus um. Aber er war wirklich weg. Mir entwich ein irres Kichern. Das skurrile war jedoch, dass kein anderer Fahrgast sich daran zu stören schien, das urplötzlich ein Fahrgast verschwunden ist. Nicht mal die alte Dame, die den Fensterplatz neben ihm ergattert hatte. Was ist nur mit mir los? Ich werde wirklich verrückt!

Ängstlich sah ich mich um. „Hey Pippi, alles in Ordnung bei dir? Du bist so blass!" fragte Pete besorgt, als ich gerade aus dem Bus stieg. Ich brachte nichts als ein Nicken zu Stande und verschwand raus auf die Straße und lief schnurstracks in Richtung Schule. Nach ein paar Metern hörte ich jedoch wieder diese schwere Schritte hinter mir knirschen, die immer schneller zu werden schienen. Aber es war keiner da. Aus Angst beschleunigte auch ich meine Schritte und blickte immer über die Schulter.

Ich war abgehetzt. Ich wäre ja los gesprintet, doch erstens verbot mir dies meine Kondition und zweitens wäre das noch auffälliger als mein jetziges Verhalten. Manchmal fragte ich mich wirklich welch guten Gene ich ergattert hatte um so schlank zu bleiben und trotzdem alles essen zu können auf das ich Lust hatte. Aber in diesem Moment bereute ich es, dass ich nie meine sportlichen Neujahresziele umsetzte, denn dann wäre ich meinem Verfolger sicherlich leichter weggerannt. Ich drehte mich nochmals um und nun konnte ich auch ein angestrengtes Atmen hinter mir wahrnehmen.

Heilige Scheiße! Ohne auf meine Schritte zu achten rannte ich in jemanden hinein und – wie sollte es mir sonst passieren – rutschte auf einer glatten Stelle aus. Das nenne ich Glück! Eigentlich rechnete ich schon mit einem Aufprall, weshalb ich meine Augen bereits angstvoll zusammen gekniffen habe. Gerade noch rechtzeitig, bevor mein Po die Bekanntschaft mit dem harten, nassen Boden machen konnte, fingen mich zwei starke Arme auf. Sie umschlangen meine Taille und zogen mich näher an sich. Nun lagen meine Hände auf einer Männerbrust, die – nur so nebenbei erwähnt – echt gut trainiert war. Langsam öffnete ich erst das eine, dann das andere Auge und blickte erst mal auf eine atmende Brust. Als ich mit dem Starren fertig war, ließ ich meinen Blick achtsam nach oben gleiten. Und Wow! Ich atmete erst mal tief ein. Kennt ihr diesen Blick, der euch durch Mark und Bein geht? Nein? Ich kannte das auch nicht. Bis jetzt. Seine Augen blickten durch mich durch, als würde er in mein Innerstes sehen und es war als würde ein Blitz mich durchfahren und ein Feuer tief in mir entflammen. Es waren diese meerblauen Augen, mit den bernsteinfarbenen Sprenkeln um die Pupille herum, die mich in ihren Bann zogen, und eine heiße Spur auf meinem Körper hinterließen, als er abcheckte ob es mir gut ging. Erst durch ein Räuspern eines anderen jungen Mannes, der hinter meinem Retter stand, lösten wir den Blick voneinander und er stellte mich wieder auf meine eigenen Beine, wodurch ich augenblicklich die Wärme die er meinen Körper schenkte vermisste. „Dankeschön" murmelte ich und versteckte verlegen mein Gesicht in meinen langen, offenen Haaren, die mir jetzt ins Gesicht fielen.

Die Chroniken der Arcani - das GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt