Kapitel 17

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Ich bin tot. Ich bin sowas von tot!! „Na los! Verteidige dich! Heb die Arme zum Schutz. Block sie ab! Geh in Deckung und hole zum Schlag aus!... Nein. Nein, Philippa, wie oft noch? Selbst meine Oma hat einen härteren Schlag drauf als du!" schrie Mr. Masson, mein Verteidigungslehrer, mich an doch ich war verzweifelt genug zu schauen keine gebrochene Nase zu riskieren. Bevor ich auch nur irgendwas bemerkte, wirbelte Adriane de Floreant, meine Kampfpartnerin, herum und das nächste was ich sah war die Decke der Halle und sie, die mir sämtliche Luft aus den Lungen quetschte. Erst jetzt wird mir klar, was Florence damals wirklich meinte: Sie sind alle Mörder und ich bin sowas von tot! „Ich weiß nicht, wie oft ich das noch sagen muss. Philippa du bist tot! Wäre das hier ein echter Kampf..." Und die Schimpftirade ging von neuem los, doch ich machte mir nicht mal die Mühe aufzustehen. Jeder Muskel in mir schmerzte - selbst die von deren Existenz ich nicht mal wusste! Mr. Masson rauschte von Dannen und kurz darauf erschien eine Hand vor mir. „Entschuldige. Der Kick eben hätte nicht sein müssen und war wohl ein wenig zu hart." Meinte Adriane freundlich und zog mich wieder auf beide Beine, wo ich erst mal nach Atem schnappte. Ich zeigte ihr einen Daumen nach oben, denn zum Sprechen war ich einfach noch nicht wieder fähig, weshalb sie mich an die Hand nahm und zur Tribüne führte und mir dort meine Wasserflasche reichte, die ich begierig austrank. „Du kannst... echt gut austeilen!" Stöhnte ich und rieb mir meine schmerzenden Rippen. „Danke, ich mach das auch schon gefühlt mein ganzes Leben. Aber ehrlich: Dafür das du keinerlei Erfahrung hast und erst seit einer Woche trainierst, stellst du dich gar nicht so dumm an. Bleib dran und es wird! Als ich angefangen habe, war ich gefühlt jeden Tag bei einem Heiler!" Meinte sie motivierend, doch selbst ich hörte die Lüge aus ihren Worten heraus und ihr schräges Lächeln konnte auch niemanden in die Irre führen. Ich versuchte mich an einem Lächeln und betrachtete sie nun einmal genauer. Sie war eine Schönheit, so makellos mit ihrem feuerroten Haar, den sturmgrauen Augen und den ebenmäßigen Zügen. Ihre Familie war adelig und ziemlich hochrangig, was sie zu einem der beliebtesten Mädchen meiner Jahrgangsstufe machte, aber wer könnte es ihnen verdenken? Sie war zu jedermann nett, freundlich und aufgeschlossen und brauchte nicht wie einige andere hier Tonnen von Make-Up im Gesicht. Der Gong riss mich aus meinen Gedanken und ich versuchte schnell zusammen zu packen und zu gehen, aber Adriane hielt mich auf. „Weißt du, es kursieren ein paar Gerüchte über dich, Robyn Derrington und über die Prinzen. Pass... pass einfach auf dich auf, ja? Manche Mädchen hier können zur Furie werden, wenn sie meinen jemand stiehlt ihnen ihr Eigentum, klar?" „Ähm..." Was sollte man darauf antworten? „Gut, dann haben wir uns ja verstanden. Man sieht sich!" Verabschiedete sie sich dann auch schon und weg war sie.

Nun hatte ich wieder mit Ellie Unterricht - den praktischen Teil der Waffenlehre. Ziemlich eintönig, wenn ich bedachte, dass ich in allen Waffen schlecht war, die wir in der letzten Woche besprochen haben. Die Schwerter waren mir zu schwer, Wurfsterne zu Spitz, ein Speer zu lang und so ging die Liste immer weiter. Ich hatte nicht wie die anderen hier auf Elima irgendeinen Affinität zu einer Waffe ich war einfach nur zu ungeschickt für eine jede von ihnen und das ließ mich aus dem Raster fallen. Ich war wie das schwarze Schaf, was in einer Herde von weißen natürlich auffiel. Da half es mir auch nicht meine Angst vor dem Rampenlicht loszuwerden, selbst wenn ich mich hier nach einer Woche schon deutlich wohler fühlte als mein ganzes vorheriges Leben in der Menschenwelt. Aber die ungewollte Aufmerksamkeit trübte selbst dieses Gefühl.

Während ich hier Trübsal blase, kam eine sehr kontaktbezogene Quasselstrippe auf mich zu gerannt und umarmte mich kräftig. Man sah es ihr nicht an, aber sie war kräftiger als sie mit ihren schlanken Körper den Anschein machte. Sie kam gerade von ihrem Fähigkeitenunterricht und hatte nun eine Menge neuen Klatsch und Tratsch zu erzählen, doch bevor ich ihr wirklich zuhören konnte, musste ich sie erstmal daran erinnern, dass Sauerstoff ein wichtiger Bestandteil zum Überleben war. „Oh, sorry. Ganz vergessen!" Lachte sie dann nur und zog mich an der Hand mit zu dem Pulk aus Menschen, die schon wartete die heutige Waffe in die Finger zu bekommen. „Also, ihr Lieben. Es wurden einige Plätze in Vereinen frei und ihr könnt diese Chance ergreifen und vielleicht einmal die Wettkampfluft schnuppern. Natürlich könnt ihr euch auch auf den Elitekader bewerben, aber ihr wisst alle, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist als 1. Klässler aufgenommen zu werden. Aber heute werden wir euer Talent im Bogenschießen mal testen..." Ab da ließ meine Konzentration nach und ich schauderte alleine bei dem Gedanken meine Arme nochmal zu heben. Die Muskeln taten schon genug weh und mein Hirn war genug strapaziert mit dem Wortschwall den Ellie auf mich nieder prasseln ließ. „Hast du schon das Neuste gehört? James Milford soll jetzt mit Lelia Cavanaugh zusammen sein. Aber sie meint es sicherlich nicht ernst mit ihm, sonst wäre er nicht schon ihr dritter Freund in einem Monat. Irgendwie tut mir James leid. Du weißt schon wer sie ist, oder? Das Mädchen mit den Ombre braunen Haaren, das sich ein wenig aufführt wie eine Prinzessin!" „Ähm, nein?" Ellie ist wahrlich die Klatschtante Elimas und sie erfährt über jeden alles, keine Ahnung wie sie das hinbekam, aber so lernte ich die Leute hier schneller kennen als mir lieb war. Aber mit Ellies Pointe wird es immer witzig und wir lachten umso mehr zusammen - ich war so froh sie zu haben. „Allington!" unterbrach jemand meine Gedanken harsch. „Wollen sie es nicht gleich einmal probieren? Anscheinend wissen sie schon, wie sie mit dem Bogen umzugehen haben und müssen meinen lehrreichen Erklärungen nicht folgen. Also los. Demonstrieren sie ihre Fachkenntnisse doch bitte auch ihren Mitschülern! Schließlich sollen alle von ihren Gedankenergüssen lernen, nicht wahr, Allington?" befahl Coach Bishop. Ich erstarrte regelrecht zur Salzsäule und wagte einen leichten Blick nach hinten, in der Hoffnung dort würde noch jemand anderes mit dem Namen Allington stehen. Aber ich wurde enttäuscht. Vorsichtig zeigte ich mit dem Finger auf mich und fragte stotternd: „I-ich?" „Ja natürlich, Allington! Und nun schwingen sie ihren Hintern hier her! Sofort!" Entschlossen schubste mich Ellie nach vorne – vergesst was ich grade über sie gesagt hab! – und ich stolperte dem Coach mit zittrigen Knien entgegen, der mir schon erwartend den Übungsbogen hin hielt. Ich brauchte wirklich nicht noch eine Demütigung, die mir bewies, was ich alles nicht konnte! „Dann zeigen sie uns mal, was sie können!" Forderte Coach Bishop und ich schluckte hart. Jeder hier hatte schon mal mit dem Bogen hantiert, nur ich nicht... Aber ich ging erhobenen Hauptes auf meinen Lehrer zu und nahm mit leicht zitternden Händen den dargebotenen Bogen an. Der Holzbogen war leichter als erwartet und als ich die Sehne spannte, merkte ich welche Kraft dahinter steckte. Ich visierte das Ziel an, aber ein Räuspern unterbrach mich. „Hast du nicht was vergessen?" fragte er mich höhnisch und ich lief bei dem Gelächter der anderen rot an, nahm den Pfeil  schweigend entgegen und legte ihn ein. Es schießt sich wirklich schlecht ohne Pfeil. Ich hörte das Gelächter und das Gespotte hinter mir und wurde noch nervöser. Ellie zeigte mir ihre beiden Daumen nach oben, aber es half mir nicht über das hämische Lachen meines Lehrers hinweg zu sehen. Ich wollte keine Blamage, aber ich riskierte sie, da ich nicht vorbereitet war. Aber plötzlich war es so, als würde mir jemand ins Ohr flüstern und mir Anweisungen geben. „Bleib ruhig. Spüre deinen Herzschlag. Atme tief durch und spann die Sehne! Blende deine Umgebung aus und stell dir dein Tun vor. Und sobald du das Ziel fokussiert hast, lässt du die Sehne los schnellen. Leg all deine Kraft hinein und glaube an dich. Glaube an dich..." Wer oder was war diese Stimme? „Vertrau mir einfach!" Es war verrückt, aber ich tat was sie mir riet und es fühlte sich plötzlich richtig an. Ich ließ mir Zeit, was zwar auch wieder einen blöden Spruch von meinem Lehrer hervorrief, aber ich ließ mich nicht hetzten. Ich spürte das Pochen meines Herzschlages, fühlte nach wie mein Arm eine Verlängerung der Sehne war und wie die Kraft dieser in meinen Körper überging und bevor ich mich versah, ließ ich die Sehne mit Pfeil nach vorne schnellen. Nach nur wenigen Augenblicken hörte man das dumpfe Plopp auf der Scheibe und meinem Lehrer fielen die Augen beinahe aus dem Kopf. Ungläubige Blicke huschten zwischen mir und der Zielscheibe hin und her. Ohne auch nur eine Aufforderung zu bekommen, griff ich nach einem nächsten Pfeil und schoss auch diesen wieder ab, aber entgegen meiner Erwartung steckte auch dieser in der Scheibe. „Oh mein Gott!" hörte ich Ellie hinter mir nur staunend sagen und mein Trainer betrachtete mich fassungslos. „Allington! Das war unvorstellbar! Schon Erfahrungen mit dem Bogen erlangt?" fragte er mich misstrauisch, doch ich schüttelte nur verneinend den Kopf was ihn nur mürrisch drein blicken ließ. „Anfängerglück. Nächstes Mal passen sie gefälligst auf! Das Glück wird ihnen nicht immer gewogen sein!" Warnte mich mein Lehrer und rief die anderen dazu auf ebenfalls nun die Bögen zur Hand zu nehmen. Am Ende dieser Stunde war klar, dass Coach Bishop mir nicht gesonnen war und ich froh sein konnte, wenn sich das nicht in meinen Noten widerspiegeln würde. Ich wusste, dass das nicht mein Verdienst war, es war die Stimme in meinem Kopf. Wer war diese Stimme? Warum hörte ich sie? Hat jemand anders sie auch gehört? Viel zu viele Fragen drehten sich in meinem Kopf und auf keine wusste ich eine Antwort. Beatrice hätte helfen können, doch sie war nicht mehr da.

Die Chroniken der Arcani - das GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt