Kapitel 25 - Ein tag zusammen

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>>Man kann den Menschen nicht auf Dauer helfen,
wenn man für sie tut, was sie selbst tun können und sollten<<

-Abraham Lincoln-


Sowohl Dienstag als auch Mittwoch wurde ich von Kyle zur Schule gefahren. Meine Mutter war immer noch der Meinung, dass ich die Sache mit ihm beenden sollte, aber sie war ein wenig beruhigt, dass er mit dem Auto fuhr und ich nicht mehr auf sein Motorrad steigen musste.

Dienstag sah ich ihn später am Tag, wenn es gegen Abend ging, damit wegfahren und ich bekam nicht mit, wann er nach Hause kam. Ich vermutete, dass er entweder mit seinen Freunden unterwegs war oder sich mit einem Mädchen traf. Aus irgendeinem Grund versetzte mir dieser Gedanke einen Stich, denn ich fühlte mich betrogen, obwohl wir nicht wirklich zusammen waren. Außerdem fand ich, dass er ein wenig vorsichtiger sein sollte, weil die Sache sonst aufflog und das wäre nicht nur für ihn ziemlich demütigend sondern auch für mich.

Am Mittwoch hatten wir unsere letzte Stunde zusammen. Wir waren uns bisher noch nicht in der Schule begegnet, seit wir unsere fake Beziehung führten, weshalb ich ein wenig unsicher war, wie ich mich verhalten sollte.

Ich war vor ihm am Klassenraum, wie sonst auch und setzte mich an meinen gewöhnlichen Platz in der Vorletzten reihe. Ich überlegte, ob Kyle sich wohl an seinen Tisch in der letzten Reihe setzen würde oder ob er auf dem Stuhl neben mir Platz nehmen würde wie letztes Mal. Selber war ich mir noch nicht sicher, was mir lieber wäre, aber ich stellte meine Schultasche auf den freien Stuhl neben mir. Sollte er sich wirklich neben mich setzten wollen, würde sie ihn davon nicht abhalten können, aber es gab mir ein Gefühl von Sicherheit.

Nachdem ich meine Sachen ausgepackt und ordentlich auf den Tisch gelegt hatte, lehnte ich mich zurück und beobachtete die Türe.

Die Zeit verstrich und Kyle ließ sich nicht blicken. Der Lehrer betrat den Raum und ich dachte schon, dass er nicht kommen würde, aber kurz vor dem Klingeln schob er sich in den Raum und sah sich um. Als er mich sah, nickte er mir zu und kam auf mich zu.

Ich bemerkte das leichte Zucken in seinem Mundwinkel, als ich mich verkrampfte.

Er blieb vor mir stehen und sah mich auffordernd an, aber als ich nicht reagierte schüttelte er nur den Kopf und stellte meine Tasche selber auf den Boden.

Ich beobachtete ihn dabei, wie er sich hinsetzte und an die Tafel sah. Mr. Brown schrieb bereits etwas an und drehte sich dann zum Kurs, um etwas zu erklären.

Kyle, der meinen Blick bemerkt zu haben schien, drehte seinen Kopf in meine Richtung und zog fragend seine Augenbrauen hoch. Bei der Bewegung fiel ihm eine dunkle Haarsträhne ins Gesicht.

„Gibt's was?" raunte er mir zu und lächelte sein typisch arrogantes Lächeln. Das Lächeln das aussagte, dass er genau wusste wie gut er aussah.

Ich schüttelte meinen roten Kopf und lenkte meine Aufmerksamkeit auf den Unterricht.

***

Nachdem die Stunde zu Ende war, ließ ich mir Zeit beim Einpacken meiner Sachen. Kyle, der im Unterricht so gut wie nie mitschrieb, musste sich nur seine Tasche schnappen und konnte gehen, aber er lehnte sich gegen den Tisch und wartete auf mich.

Mein Nacken kribbelte unter seinem Blick und ich fragte mich, was momentan mit meinem Hormonhaushalt los war. Nicht nur bei Kyle spürte ich manchmal dieses seltsame Kribbeln im Körper, sondern auch bei Carter und dass ich das nicht kontrollieren oder erklären konnte machte mich verrückt.

Es war mir reichlich unangenehm, dass Kyle mich beobachtete und weil ich so fahrig war, fiel mir einmal mein Stift runter.

Als ich schließlich alle meine Sachen verstaut hatte, nickte ich Kyle zu.

„Fertig?" fragte er knapp und fast schon ein wenig genervt.

Ich verstand ihn nicht. Gerade war er noch recht neutral gewesen und im nächsten war er von mir schon wieder total genervt.

„Keiner hat dich gezwungen zu warten." Entgegnete ich mit einem ebenso distanzierten Tonfall, was er mit einem Schnauben kommentierte.

Er ging vor mir aus dem Klassenzimmer und in Richtung Auto und ich folgte ihm. Kyle machte so große Schritte, dass ich Schwierigkeiten hatte nicht zurückzubleiben.

Als wir an seinem Auto ankamen, war ich beinahe außer Atem und einmal mehr verfluchte ich meine schlechte sportliche Verfassung.

Ich sah Landon und Andrew an ihren Autos stehen und winkte ihnen bloß zum Abschied, weil ich Kyle nicht unnötig reizen wollte, schließlich musste ich ihn Zuhause noch eine Weile aushalten.

Evelyn hatte mich für heute zum Essen bei sich eingeladen und weil es eben üblich war auch außerhalb der Schule Zeit mit seinem Freund zu verbringen hatte ich Kyle erklärt, dass es nur logisch wäre, wenn ich bereits nach der Schule zu ihm rüber kommen würde. Kyle hatte zu dem Vorschlag nichts wirklich gesagt und nur missmutig gegrunzt, was mich furchtbar genervt hatte.
Er tat fast schon so, als würde ich ihn mit der Sache total nerven, dabei war er derjenige der mich darum gebeten hatte, seine Freundin zu spielen und nicht umgekehrt.

Kyle parkte in der seiner Garage und ich stieg aus.

„In einer halben Stunde komme ich zu dir rüber." Kündigte ich an und wartete nicht auf sein knappes Nicken, sondern schlüpfte unter dem sich schließenden Garagentor hindurch.

***

Tatsächlichstand ich nur dreißig Minuten später bereits vor der Haustüre der Jordans.

Evelyn machte mir auf und umarmte mich strahlend.

„Wie schön, dass du da bist." Begrüßte sie mich und ließ mich ins Haus bevorsie die Türe hinter mir schloss. „Möchtest du direkt zu Kyle hoch gehen?" sie wirkte ein wenig aufgeregt. Vermutlich hatteKyle noch nie eine feste Freundin mit nach Hause gebracht und wenn dann keine,die wie ich mit Lernsachen statt zu kurzer Hose auftauchte. Fast tat sie mirschon leid, weil ihre Freude nicht gerechtfertigt war, aber ich verdrängtemeine Schuldgefühle.

„Äh ja." Sagte ich nur und folgte ihrer einladenden Geste die Treppe rauf.

„Es ist die letzte Tür rechts."

Ich nickte, bedanke mich und ging dann die Treppe rauf.

Interessiert sah ich mich um. In dem Flurder ersten Etage, der ähnlich aussah, wie unsrer, hingen Familienfotos. Siewaren alle schon mindestens 10 Jahre alt, denn auf jedem von ihnen, war Kylenoch ziemlich Jung. Ich betrachtete sie interessiert und verglich den kleinen Kyleauf den Bildern mit dem, den ich jetzt kannte. Auf den Bildern seine Haare nochetwas heller und seine Gesichtszüge nicht so markant und hart. Er lachte aufwenigen der Bilder, aber wenn er es tat, dann sah es so echt aus, dass einemwarm ums Herz wurde. Ich versuchte, mich an einen Moment zu erinnern in dem ichKyle schon einmal wirklich lachen gesehen hatte, aber mir fiel keine ein.

Ein Geräusch ertönte dicht hinter mir und erschrocken wirbelte ich herum.

Kyle stand nah hinter mir und sah auf mich hinab.

„Hi." Hauchte ich überrascht und wich einen Schritt zurück, aber Kyle hieltmich zurück, indem er nach meinen Armen Griff und mich zu sich zurückzog.

Verwirrt sah ich ihn an.

„Die Stufen" sagte er trocken, deutete auf die Treppe hinter mir, welche ichbeinahe runter geflogen wäre und entfernte sich von mir.

„Oh danke." Sagte ich und versuchte mich an einem zaghaften Lächeln, welches erignorierte.

Er ging voran und als ich nicht gleich folgte, sah er mich an. Seine sturmgrauenAugen strahlten Überheblichkeit und Ungeduld aus.

Schnell lief ich ihm nach und folgte in ein großes, geräumiges Zimmer das wohlseines sein musste.

Neugierig sah ich mich um. Meinen Ordner und die Bücher, welche ich mitgebrachthatte, legte ich auf den großen schwarzen Schreibtisch neben dem Fenster, vondem aus man in mein Zimmer schauen konnte.

Ich prüfte, wie viel man von hier aus durch die Vorhänge erkennen konnte undstellte fest, dass es entschieden zu viel war. In meinem Kopf machte ich mireine Notiz, dass ich demnächst die Jalousien runter lassen würde, bevor ichmich umzog.

Nachdem ich mir die eine Wand des Zimmers angesehen hatte, wandte ich mich andie Seite rechts von mir. Dort stand ein Regal, mit einer Menge an Platten und CDs,dazwischen eine Stereoanlage und ein Plattenspieler. Weiter oben im Regal, dortwo ich nicht mehr dran kam, standen auch ein paar Bücher, was mich ehrlichgesagt ziemlich überraschte.

An der letzten Wand, stand in großes Bett, dass für drei Personen gereichthätte.

Und auf dieses Bett ließ sich Kyle nun fallen. Er legte sich auf die Seite,stützte sich auf einen Unterarm und beobachtete mich.

Unschlüssig was ich tun sollte, stand ich einfach da.

„Was ist das?" fragte Kyle und nickte mit dem Kopf zum Schreibtisch, wo ichmeine Sachen abgelegt hatte.

Ich löste mich aus meiner starre und ging zum Schreibtisch. Zögerlich zog ichden Stuhl zurück und setzte mich darauf.

„Hausaufgaben."

„Wozu?" er wirkte skeptisch.

„Ich dachte wir könnten etwas für die Schule tun, wenn wir schon gezwungen sindunsere Zeit miteinander zu verbringen."

Er schnaubte.

Ich schnalzte mit der Zunge und sah ihn an „Was?"

Er schüttelte den Kopf „nichts, mach du ruhig deine Hausaufgaben." Sagte er undgriff nach dem Handy neben sich.

„Und was machst du?"

„keine Ahnung, zocken, rumgammeln, ist doch egal."

„Hast du keine Hausaufgaben auf?" hakte ich nach und meine Stimme nahmautomatisch einen strengen Ton an. Ich war es gewohnt, andere auf ihre Pflichtenaufmerksam zu machen, das war eines der Dinge die man lernte, wenn man zweimännliche beste Freunde hatte.

Kyle lachte trocken „Ich mache nie Hausaufgaben." Gab er nur zurück und sahmich nicht mal an, während er mit mir redete. Stattdessen scrollte er nur aufseinem Handy herum.

Ich verdrehte die Augen, drehte mich von ihm weg und schlug meine Unterlagenauf. Nur, weil er kein Interesse daran hatte, etwas zu lernen, hieß das nicht,dass ich mich von ihm abhalten lassen würde.



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