11. Kapitel

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Die nächsten Wochen fühlten sich an wie ein Albtraum. Jeden Morgen hoffte ich, dass Vanessa auftauchen würde und des nachts kam ich mir furchtbar einsam vor. Immer wieder sah ich sie vor mir. Ihre schönen bernsteinfarbenen Augen voller Schmerz. Die Erinnerung daran zerriss mir fast das Herz. Ein kaum wahrnehmbares Zittern in der Stimme. Wieso bloß war sie gegangen? Das wollte einfach nicht in meinen Kopf. Auf der Arbeit musste ich mir eine Ausrede überlegen, weshalb sie nicht mehr kam und ich gab an, dass sie sich einen gefährlichen Virus eingefangen hatte. Hochansteckend und deswegen würde ich sie zuhause behandeln. Niemand stellte meine Worte in Frage. Eines Tages saß ich im Anwesen meiner Familie im Wohnzimmer und schaute zu, wie Emmet und Jasper eine Partie Schach gegeneinander spielten, als es an der Tür klingelte. „Geh schon", trällerte Alice und schwebte aus dem Raum. Ich hörte, wie sie die Tür öffnete und dann fing meine Nase einen Duft auf, den ich lange nicht mehr gerochen hatte. „Hallo, Lisa", begrüßte Alice meine Schwägerin. „Komm doch rein." „Danke, Alice", sprach Lisa und folgte meiner Tochter ins Wohnzimmer. „Hallo, zusammen", grüßte Lisa uns. „Hey", machte Emmet, ohne vom Brett aufzublicken. Lisa trat zu mir und öffnete den Mund, schloss ihn dann jedoch wieder. „Das glaube ich nicht", hauchte sie und machte einen Schritt auf mich zu. „Carlisle, ich kenne meine Schwester. Sie würde dich nicht verlassen, wenn sie dafür nicht einen guten Grund hätte." „Sie hat gesehen, wie Esme von dem Zauber befreit wurde, der sie dazu gebracht hat, sich in Augustus zu verlieben", klärte Edward Lisa auf. „Jetzt glaubt Vanessa, dass Esme Carlisle immer noch liebt und sie möchte, dass die beiden wieder eine Chance erhalten zusammen zu kommen. Dies geht jedoch nicht, wenn sie da ist." Lisa sog scharf die Luft ein. „Nun, das mag hart für Esme sein, wenn ihre Gefühle für dich noch dieselben sind, aber sie wird es verkraften. Vanessa liebt dich abgöttisch. Sie himmelt dich an. Weswegen sollte sie es in Kauf nehmen, ihre große Liebe nie mehr zu sehen?", wollte sie von mir wissen. „Sie hat irgendetwas davon geredet die Geschichte wieder richtig stellen zu müssen", sprang Bella ein. Lisa blinzelte. „Stell den Plot wieder her", wisperte sie. „Deswegen hat mich die AFHIAW zu euch geschickt. Der Plot wird auseinandergerissen, wenn Vanessa nicht bei Carlisle ist. Bellas Geschichte ist erzählt. Die OFZ soll verdammt sein, für das, was sie getan haben!" Den letzten Satz knurrte sie richtig. „Was soll das bedeuten?", erkundigte Renesme sich, die neben Bella am Klavier lehnte. Lisa schüttelte den Kopf. „Das könnt ihr nicht verstehen und das hat nichts mit eurer Intelligenz zu tun. Sie muss gefunden werden. Carlisle, wo hast du sie zuletzt gesehen und wann war das?" Ihre Stimme war vollkommen fest. „Sie hat sich Richtung kanadische Grenze aufgemacht, vor vier Wochen", antwortete ich tonlos. „Vier Wochen", wiederholte Lisa leise. „Danke, Carlisle. Die Volturi werden jeden Moment hier sein, ich habe unterwegs ihre Gedanken aufgeschnappt. Sie dürfen auf keinen Fall davon erfahren, dass meine Schwester fort ist. Haltet sie hin und ich beeile mich." Mit diesen Worten verschwand sie in einem hellblauen Licht. Sofort kam Bewegung in das Haus. Wir schlüpften in unsere Jacken und Schuhe. Anschließend verließen wir geschlossen das Anwesen. Niemand von uns sprach ein Wort. Nebel lag auf der Gegend um uns herum, doch das störte uns nicht. Da tauchten Jane, Alec und Felix auch schon auf. Hinter ihnen kamen Aro, Marcus und Caius. Sie blieben wenige Meter von uns entfernt stehen. Zu weit weg, um uns berühren zu können, aber nahe genug, damit Jane uns mit ihrem Blick foltern konnte. „Wie schön euch einmal wieder zu sehen", begrüßte ich die italienischen Vampire. „Hätte nicht geglaubt, dass ihr uns noch einmal einen Besuch abstatten würdet." „Wie immer hast du überaus schöne Worte für uns, Carlisle", kommentierte Aro. „Wo ist Renesme? Es wäre mir ein großes Vergnügen sie nach all der Zeit wieder zu sehen." Meine Enkelin trat hinter Bella vor. Sofort huschten Aros Mundwinkel nach oben. Caius verdrehte leicht die Augen. „Hier bin ich, Aro", rief Renesme. „Du siehst, dass ich noch lebe." „Das sehe ich, das sehe ich", nickte Aro und streckte eine Hand nach ihr aus. „Würdest du mir die Ehre erweisen und mir zeigen, was du alles erlebt hast?" Mist! Wenn sie sich weigerte, würde das verdächtig erscheinen. Wenn sie es jedoch tat, würde Aro von Vanessa erfahren. Zwar verstand ich immer noch nicht, weshalb Lisa wollte, dass die Volturi nicht davon erfuhren, doch ich vertraute ihr. „Weshalb genau interessiert dich das?", konterte Renesme. Edward drückte leicht meine Schulter. „Nun, du bist eine der wenigen Halbvampire, die existieren und du kannst mir wohl meine Neugier doch wohl verzeihen, oder?" „Interessierst du dich wirklich für das Leben einer Teenagerin?", hakte Renesme nach. „Weshalb versuchst du Zeit zu schinden?", mischte sich nun Caius ein. „Du hast doch nicht etwa etwas getan, das gegen die Regeln verstößt?" Rasch schüttelte Renesme den Kopf. „Dann sollte es ja für dich kein Problem sein, meinem Bruder seinen Wunsch zu erfüllen", säuselte Caius mit zuckersüßer Stimme. „Vergib mir, Caius, aber ich würde deinen Bruder nur wirklich ungern mit dem Leben einer ganz normalen Teenagerin langweilen", erklärte Renesme mit fester Stimme. Ihren Mut schien sie eindeutig von Bella zu haben. „Das entscheide ich, meine Liebe", stellte Aro klar. „Also, ich bin wirklich gespannt, was dir so passiert ist." Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Bella die Fäuste ballte. Sie durfte ihren Schild nicht über ihre Tochter legen. Damit würde alles nur noch verdächtiger erscheinen. Uns blieb keine andere Möglichkeit. „Geh", meinte ich zu Renesme und gab ihr einen leichten Schubs nach vorne. Sie blickte zu Edward. Dieser nickte und so trat sie zu Aro hinüber. „Wo ist eigentlich Esme?", wollte da Marcus wissen, der die ganze Zeit über kein Wort gesprochen hatte. „Weshalb ist sie nicht bei euch?" „Esme hat einen neuen Partner gefunden und uns verlassen", berichtete ich. „Ist das so?" Caius hob die Augenbrauen. „Das erscheint mir wenig glaubwürdig." „Möglicherweise, aber es entspricht der Wahrheit", beteuerte ich. „Glaubt ihm kein Wort!", zischte da eine Stimme. Wir alle fuhren herum. Ein Mann mit pechschwarzem, hüftlangen Haar marschierte zu uns. Das war ein Agent der OFZ. Vanessa hatte ihn zusammen mit Augustus in ihrer Vision gesehen. Was machte er hier? Aro hielt ihm die Hand hin. Der Fremde nahm sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Edward knirschte neben mir mit den Zähnen. Panisch schenkte ich ihm einen Blick. Er blieb still, doch ich kannte die Haltung, die er einnahm. Edward machte sich bereit für einen Kampf. Aro ließ die Hand des Agenten los und Schock stand in seinen blutroten Augen. „Das ist ungeheuerlich!", kommentierte er. „Carlisle! Wie konntest du deinem Sohn nur erlauben dies zu tun?" Meinem Sohn? „Jasper hat nicht getan, was du ihm unterstellst", widersprach Edward. Da begriff ich. Clever. Wirklich nicht dumm. „Bist du dir sicher, Edward?", hauchte Aro. „Vielleicht willst du mit dieser Aussage deinen Bruder lediglich vor meinem Zorn schützen." „Aro, niemand von uns hat ein Gesetz gebrochen. Jasper würde niemals Esmes Gefühle derart beeinflussen", meldete sich nun Bella zu Wort. „Hm", machte dieser. „Du könntest Recht haben mit deinen Worten, junge Bella. Das würde jedoch bedeuten, dass ich getäuscht wurde und das ist nicht möglich." „Sagt wer?", erklang da eine Stimme, die ich lange Zeit nicht mehr gehört hatte. Esme tauchte hinter einem Baum auf. Neben ihr lief Augustus. Aro drehte sich zu ihr um. „Esme, wie schön dich doch noch zu sehen", begrüßte er sie. „Da du immerhin das Opfer des Zauber warst, wirst du bestimmt Licht in diese Angelegenheit bringen können." Esme nickte. „Das kann ich, in der Tat. Lass es mich dir zeigen." Mit diesen Worten schritt sie auf ihn zu, die rechte Hand ausgestreckt. Aro hielt ihr seine entgegen. Da wurde Esme plötzlich zurückgeschleudert. Der fremde Agent hatte die Hände zu Fäusten geballt. „Sie kennt nicht die ganze Wahrheit", erklärte er eisig. „Aro, du hast die volle Wahrheit verdient und die hast du von mir erfahren." Aro legte den Kopf leicht schräg. „Was für eine Art Spiel wird hier gespielt?", zischte Caius. „Jane!" Die blonde Vampirin trat vor und blickte dem fremden Agenten fest in die Augen. Dieser grinste nur. Für einen Bruchteil geschah nichts. Dann fiel Jane plötzlich zu Boden. Sie schrie auf vor Schmerz. „Niemand rührt mich an!", bestimmte der Agent. „Versucht das nochmal und ihr seid tot." Er wandte den Blick ab von Jane. Diese kam langsam wieder auf die Beine und kehrte zu ihrem Bruder zurück. „Liam, sieh es ein, es hat keinen Sinn. Du kannst sie nicht besiegen", sprach da Augustus. Er kniete neben Esme und half ihr aufzustehen. „Es war ein Fehler von mir mich an dich zu wenden, aber diesen Fehler werde ich ganz bestimmt nicht noch einmal begehen", grinste Liam. „Esme, sei ..." „... ganz wie du bist", beendete eine vertraute Stimme seinen Satz. Vanessa erschien in meinem Blickfeld. Erleichterung durchflutete mich. Liam fuhr zu ihr herum. „Wie kannst du es wagen?", knurrte er. „Erst stiftest du Jasper dazu an Esmes Gefühle zu verändern, damit du Carlisle bekommen kannst und jetzt hilfst du ihr?!" Vanessa lächelte bloß und im nächsten Moment entspannte Liam sich. „Was? Das kann nicht sein. Du bist nicht Jasper", zischte er. „Hab ich auch nie behauptet", erwiderte Vanessa. „Gib auf, Liam. Deine Lügen kauft dir niemand ab. Selbst Aro nicht und willst du es wirklich ganz alleine mit uns allen aufnehmen? Du hast deinen Verbündeten verloren. Eine Ein-Mann-Armee hält nicht lange durch." Liam entwich ein Knurren. „Aro, du erfährst von mir alles und ich versichere dir, dass sich dann deine Verwirrung in Luft auflösen wird", richtete Vanessa sich nun an den Volturi. Dieser blinzelte. Plötzlich ging ein Ruck durch den Boden. Liam stand wenige Meter vor Aro, doch er war an einem Hindernis abgeprallt und auf dem Boden gelandet. „Jasper, würdest du unseren Freund hier bitte beruhigen, während ich alles aufkläre", bat Vanessa meinen Sohn. „Gerne", nickte dieser. Vanessa ergriff Aros Hand und schloss die Augen. Edward neben mir entspannte sich. Nach einer Weile ließ Vanessa Aros Hand wieder los. „Du bist eine unglaubliche Frau", kommentierte der schwarzhaarige Vampir. Vanessa verbeugte sich leicht. „Danke und ich schätze das Angebot, aber mein Platz ist bei den Cullens." Aro seufzte, doch er unternahm nichts, als sie zu uns lief. Was unternahmen wir jetzt wegen Liam? „Jane, Alec, Felix, wir machen uns auf den Heimweg", verkündete Aro. „Das ist eine Angelegenheit, die uns nicht betrifft." „Sie haben versucht uns zum Narren zu halten. Das ist keine Kleinigkeit", keifte Caius. Aro legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Sie haben uns einen Weckruf geschenkt und wir sollten dankbar dafür sein. Komm, mein Bruder. Ich habe ein schreckliches Verlangen nach unseren Hallen." Caius grummelte, doch er wandte sich ab. „Können wir Liam zurück in eure Welt schicken?", hakte Bella nach, nachdem die Volturi verschwunden waren. „Er kann mit mir reisen", meldete sich Lisa zu Wort, die wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Liam spuckte vor ihr aus. „Du kannst natürlich auch hier bleiben, aber ich glaube nicht, dass dies besonders förderlich für deine Gesundheit wäre. Augustus kann furchtbar sein, wenn er wütend ist", prophezeite sie ihm. „Allerdings", bestätigte dieser mit gefährlichem Unterton. „Liam, ich würde das Angebot meiner Schwester annehmen. Ein besseres bekommst du nicht", meinte Vanessa. „Eure Agentur wird mich wohl kaum festnehmen, sobald ich dort aufkreuze", höhnte Liam. Lisa verdrehte leicht die Augen und Vanessa grinste. Mir wurde warm am ganzen Körper, als ich sie so sah. „Du bist von der gegnerischen Organisation, das stimmt, aber das bedeutet nicht, dass wir dich einsperren", klärte Lisa ihn auf. „Also? Du hast nicht ewig Zeit." „Schön", gab Liam nach und erhob sich. „Bring mich aus dieser verfluchten Diegese!" „Wie du meinst", lächelte Lisa und nahm seine Hand. In der nächsten Sekunde verschwanden die beiden in einem hellblauen Licht. „Carlisle!", rief Vanessa aus und stürzte sich in meine Arme. Ich schlang meine Arme um sie und hielt sie gut fest. „Carlisle, ich muss mich wohl bei dir entschuldigen", erhob Augustus seine Stimme. Edward schüttelte den Kopf. „Nein, Augustus. Das musst du nicht. Wir sind nur froh, dass du Esme wirklich liebst und sie dich auch und dies völlig ohne irgendeinen Zauber. Wir verstehen." Mein Blick huschte kurz zu Esme hinüber. Sie nickte mir zu und in ihren Augen stand keinerlei Vorwurf oder Wut. Sie verstand. „Ihr könnt gerne bei uns einziehen", bot Alice an. „Das ist lieb von dir, Alice, aber wir bleiben lieber für uns", entgegnete Esme. „Wir werden euch jedoch oft besuchen, wenn wir dürfen." „Selbstverständlich", nickte ich. „Ihr seid Teil der Familie, auch wenn ihr weit entfernt lebt." Esme schenkte mir ein dankbares Lächeln. Sie nahm Augustus Hand und die beiden gingen davon. Die anderen liefen zum Haus zurück. „Es tut mir so leid", schluchzte Vanessa, als nur noch sie und ich draußen standen. „Lisa hat mir alles erzählt. Es war dumm von mir einfach so wegzulaufen, ohne noch einmal nachzudenken. Wenn ich nicht so fokussiert darauf gewesen wäre, dass du und Esme eigentlich zusammen seid, wäre ich eher darauf gekommen, dass wir jetzt einen neuen Plot haben und für diesen die Figurenkonstellation eine ganz andere ist. Verzeihst du mir, Carlisle?" Statt einer Antwort griff ich in meine Hosentasche und holte ihren Ehering heraus. Ihre Augen weiteten sich. „Vanessa, ich habe geschworen dich bis in alle Ewigkeit zu lieben. Während deiner Abwesenheit war ich so verloren und einsam. Natürlich verzeihe ich dir. Meine Liebe ist immer noch da und ich würde dich gerne wieder meine Frau nennen, wenn du das wünschst." Sie schniefte. „Nichts würde mir besser gefallen", hauchte sie und ließ zu, dass ich ihr ihren Ring wieder überstreifte. „Carlisle, ich liebe dich auch. Für immer." Ihre Worte entlockten mir ein Lächeln und ich beugte mich nach vorne, um sie zu küssen. Wie hatte ich ihre Lippen vermisst. Nach einer Weile wurden meine Küsse stürmischer, fordernder. „Nicht hier", raunte sie. Ungern löste ich mich von ihr, aber ich wusste, dass sie recht hatte. Wir eilten zu unserem kleinen Haus. Kaum hatte sie die Tür geschlossen, als ich wieder meine Lippen auf ihre legte. Wir schafften es gar nicht mehr ins Schlafzimmer, doch das kümmerte mich nicht. Für mich zählte lediglich, dass sie wieder bei mir war. Meine Finger fuhren ihren Körper entlang und ich war so unglaublich glücklich. Die Sonne ging draußen unter. Vanessa lag mir gegenüber auf dem Wohnzimmerboden. Im Kamin prasselte ein Feuer. Wir hatten Decken über uns gebreitet, auch wenn mir nicht kalt war. Mit einer Hand fuhr ich durch ihr weiches, goldenes Haar. Sie schloss die Augen und bettete ihren Kopf an meiner Brust. „So könnte ich für alle Ewigkeit verharren. Genau hier. In dieser Position", wisperte sie. „Hm, es gibt schlimmere Alternativen", lächelte ich. Sie grinste und legte einen Arm um mich. „Für immer", raunte sie. „Und ewig", stimmte ich zu und genoss ihre Wärme.


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