20. Kapitel

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Die Gazelle sprang über einen herunterhängen Ast und legte einen Zahn zu. Wie sie meinte. Also beschleunigte ich ebenfalls und fokussierte mich vollkommen auf die Jagd. Plötzlich schnappte ich einen anderen Geruch auf. Kräftiger. Köstlicher. Ein Mensch. „Vergiss es!", sagte ich mir und folgte weiter der Gazelle. Der Mensch näherte sich mir. Hm. Seltsam. Meine Beute hielt keuchend an und ich bereitete mich auf einen Sprung vor, um auf ihrem Rücken zu landen. Da erkannte ich den Duft des Menschen. Meine Mum. Für einen Moment überlegte ich. Sollte sie wirklich mit ansehen, wie ich die Gazelle hier aussaugte? Mein Durst verlangte meine Aufmerksamkeit und im nächsten Moment hatte ich mich schon auf den Rücken der Gazelle gesetzt. Meine Zähne bohrten sich in ihren Hals und ich trank gierig das Blut. Köstlich. „Du bist ziemlich elegant", kommentierte da meine Mutter. Nachdem ich mir das Blut von meinem Mund abgewischt hatte, drehte ich mich zu ihr um. „Dankeschön", entgegnete ich nur. „Schön dich zu sehen." „Es tut mir leid, dass ich nicht eher hier war. Ein paar Schwierigkeiten sind aufgetreten, aber ich konnte sie glücklicherweise überwinden." „Moment!", meldete sich eine innere Stimme. „Was, wenn dies gar nicht deine Mum ist? Was, wenn Liam sie überwunden und ihre Haut angezogen hat?" „Mum, was hat Carlisle mir zu meinem Geburtstag geschenkt?", forschte ich nach. Sie blinzelte. „Ein Buch mit dem Titel Im Westen nichts Neues", antwortete sie. Erleichterung überkam mich. „Was hast du erfahren?" „Augustus lebt. Es war knapp, aber ich konnte verhindern, dass ihm seine Haut gestohlen wurde. Den Vampir habe ich getötet und Liam hat ihm den Auftrag gegeben sich um Augustus zu kümmern", teilte sie mir mit. „Das wird Esme freuen zu hören. Wo ist er?", hakte ich nach. Kaum hatten diese Worte meinen Mund verlassen, als ich Schritte hörte. Meine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Wenig später erschien Augustus auch schon. „J-jay, du bist schneller als du aussiehst", brachte er zwischen zwei hastigen Atemzügen hervor. Meine Mutter schenkte ihm ein Nicken. „Danke, Augustus. Du bist nicht die erste Person, der dies auffielt." Vorsichtig schlang ich meine Arme um ihn. „Freut mich, dass du wieder da bist", hauchte ich an seinem Ohr. „Mich auch. Wer hätte gedacht, dass es jemals so kommen würde, nicht wahr?", grinste er und ließ mich los. Wir drei machten uns auf den Rückweg zum Haus der Cullens. Währenddessen erweiterte ich meinen mentalen Radius und sofort hörte ich mehr Stimmen in meinem Kopf. Esme saß auf der Veranda. Als sie Augustus erblickte, sprang sie auf und eilte auf ihn zu. Meine Mum und ich beeilten uns ihr Platz zu machen. Esme schloss Augustus in eine Umarmung und ich wusste, dass sie geweint hätte, wenn sie gekonnt hätte. „Geben wir ihnen Freiraum", wisperte ich und betrat zusammen mit meiner Mum das Haus. „Johanna, schön dich wieder zu sehen", begrüßte Edward meine Mutter. „Danke, Edward. Wie geht es euch allen? Irgendetwas ungewöhnliches passiert?" Er schüttelte den Kopf. „Seltsam", bemerkte sie. „Vanessa, würdest du bitte ...?" Schon schloss ich die Tür. Edwards Mundwinkel zuckten. „Wo ist Carlisle?", wollte ich wissen. Eine Tür ging auf und dann trat mein Mann herein. „Johanna, schön, dass du da bist", begrüßte er meine Mutter. Sie neigte den Kopf leicht vor ihm. Plötzlich legte sich ein Druck auf meine Ohren. Der Druck war so stark, dass ich glaubte, sie würden abfallen. Instinktiv presste ich sie fester an meinen Körper. „Vanessa, Liebling?" Carlisle stand pfeilschnell neben mir. Ein Schrei entwich meiner Kehle. In der nächsten Sekunde krümmte sich meine Mum zusammen. Edward kniete sich neben sie. „Johanna? Was ist los?" Dieser elende Druck. Er wanderte zu meinem Kopf weiter. „Dann habe ich jetzt also deine Aufmerksamkeit", säuselte eine Stimme. Sie schien von überall in dem Raum zu kommen. Edward drehte seinen Kopf hin und her auf der Suche nach der Quelle. „Vanessa, du bist zäher und klüger als gedacht. Komm zu mir, dann lasse ich deine Schwester am Leben. Bring keine Unterstützung mit. Außer ... Carlisle. Ja, das dürfte interessant werden. Niemanden sonst. Johanna, ich werde es merken, wenn du sie begleitest. Denke ja nicht, dass ich dein Leben nicht mit Freude beenden würde. Vanessa, du findest mich auf Bella und Edwards Lichtung. Wenn du in zehn Minuten nicht da bist, bringe ich deine Schwester um. Die Zeit läuft." Der Druck verschwand ganz plötzlich. „Lisa", wisperte ich. „Mum, ist sie ...?" Die braunen Augen meiner Mum waren gefüllt mit Tränen, doch sie nickte. Damit war der Fall klar. Mein Blick huschte zu Carlisle. „Carlisle, der Kerl wird euch umbringen", stellte Edward klar. „Dazu muss es nicht kommen", sprach meine Mum sofort. „Das wird aber geschehen!", widersprach Edward. „Carlisle, bitte. Lass mich euch begleiten." „Nein, Edward. Ich werde nicht zulassen, dass die Familie in Gefahr gebracht wird", erklärte Carlisle mit ruhiger Stimme, einen Arm um mich gelegt. Edward ballte die Hände zu Fäusten. Meine Mutter trat zu ihm und nahm seine Hand. „Wir sollten besser aufbrechen", hauchte ich. Carlisle nickte. Wir traten aus dem Haus. Seltsamerweise war ich relativ gelassen und ruhig. Auf der Lichtung wartete ein Vampir mit aschblonden Haar auf uns. Vor ihm kniete Lisa. Als sie mich erkannte, öffnete sie den Mund, doch ich hob rasch die Hand. So schloss sie ihn wieder. „Ah", machte der Vampir. „Wie erfreulich euch zu sehen. Hallo, Vanessa." „Liam", erwiderte ich den Gruß. „Lass meine Schwester gehen. Halte dich an dein Wort." „Hm, es wäre fair, wenn ich dies täte, nicht wahr? Vielleicht will ich das aber gar nicht. Möglicherweise sollst du leiden, bevor ..." „... Lisa Shell, beweg dich frei!", befahl ich in der Sprache. Meine Schwester verschwand in der nächsten Sekunde in einem hellblauen Licht. Liam zischte. Es war kein menschliches Zischen. Viel mehr erinnerte es mich an das Geräusch, das eine Schlange von sich gab. „Kluges Mädchen", gratulierte Liam mir. „Schätze, ich muss mir für das nächste Mal etwas anderes ausdenken." „Nur wird es kein nächstes Mal geben", korrigierte Carlisle ihn. „Ach, ja richtig", schmunzelte Liam. „Danke, Carlisle, dass du mich darauf hingewiesen hast. Was mache ich jetzt mit euch? Dich zu töten, Vanessa, dürfte schwierig werden. Ebenso Carlisle, der ..." „... so bleibt wie er ist", beendete ich seinen Satz. Nichts geschah. „Vanessa, erinnerst du dich an einen Traum, den du als Mensch hattest? Du hast gesehen, wie Carlisle wieder zu einem Menschen geworden ist und zu Staub zerfiel. Vielleicht sollte ich ihn wahr werden lassen. Was hältst du davon?" Nichts. Gar keine gute Idee seinerseits. Wie konnte ich ihn nur besiegen? Irgendwie musste ich ihn überlisten. Nur wie? „Du hast keine Meinung dazu? Das glaube ich dir nicht", fuhr Liam fort. „Immerhin geht es hier um deinen geliebten Vampir." Eine Idee tauchte in meinem Gehirn auf. Hoffentlich funktionierte sie. „Liam, ich sehe ein, dass es keinen Sinn hat gegen dich zu kämpfen", sprach ich mit fester Stimme und kniete vor ihm nieder. „Wir würden uns gegenseitig vernichten oder bis zum Ende aller Tage diesen Kampf austragen." Langsam zeichnete ich Muster auf den Waldboden. Liam grinste auf mich herab. „Damit könntest du recht haben, Vanessa. Sei ein Mensch, Vanessa!", schrie er in der Sprache. Mir blieb nicht viel Zeit. Etwas drückte mich zu Boden und ich schaffte es mit letzter Kraft die Linien zu verbinden, ehe ich geschüttelt wurde. Ein Schmerzensschrei drang an meine Ohren und dann wurde mir schwarz vor Augen. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Waldboden. Carlisle saß neben mir. Er lächelte, als er mich sah. „Wie fühlst du dich?", erkundigte er sich bei mir. „Gib mir deine Hand", bat ich ihn. Er tat es. „Mein Name ist Vanessa Cullen. Ich bin Carlisles Frau und eine Agentin der AFHIAW. Zudem ein Vampir", sprach ich mit erhobener Stimme. Mit dem nächsten Atemzug stellte ich fest, dass es funktioniert hatte.


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