Kapitel 18

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18

Leo

"Just the thought of letting go

Makes me wanna pull you closer"

-Phantoms feat. Vanessa Hudgens

Ja, ich habe gesagt, dass ich ihr Zeit zum Nachdenken gebe, aber ich habe dabei mit ein paar Stunden und nicht ein paar Tagen gerechnet. Unbewusst sehe ich immer wieder auf mein Handy, in der Hoffnung, dass sie mir geschrieben hat. Ich weiß nicht, was mit mir los ist, was dieses Mädchen mit mir macht, aber ich komme mit der Ungewissheit nicht klar.

Mittlerweile ist es Samstag und ich habe mir wirklich Mühe gegeben, ihr nicht zu schreiben oder ihr in der Uni nicht ganz zufällig über den Weg zu laufen, aber langsam lässt meine Geduld nach. In der Übung gestern hat sie mich kein einziges Mal angesehen.

Ich laufe in unserer Küche auf und ab, während Carly mir dabei zusieht und ständig blöde Kommentare einwirft. Immer wieder nehme ich mein Handy in die Hand nur, um zu sehen, dass ich keine Nachricht von ihr bekommen habe.

Es ist mir schwergefallen, am Mittwoch zu fahren. Emma sah müde aus. Ihre Augen waren ausdruckslos, ihre Stimme schwach und kraftlos. Ich hätte alles lieber getan als sie alleine stehen zu lassen. Aber es war das Beste. Dachte ich da jedenfalls noch. Jetzt bin ich der Meinung, ich hätte sie einfach küssen sollen. Vielleicht hätte sie dadurch schneller eine Entscheidung getroffen.

„Also was genau ist los, Leo?", fragt Carly. „Was ist zwischen Emma und dir passiert?"

Natürlich weiß Carly genau, um wen es geht. Schließlich zieht sie mich schon von Anfang an mit ihr auf. „Sarah ist zurück."

Langsam lässt Carly die Tasse, die sie gerade zu ihrem Mund gehoben hat, wieder sinken und sieht mich fragend an. „Und das bedeutet was?"

„Emma hat gesehen, wie sie mich küsst und naja... Sie war nicht sonderlich begeistert." Das ist vielleicht ein wenig untertrieben. Sie wirkte so sauer, dass ich gar nicht dran geglaubt habe, dass sie mir überhaupt zuhören wird.

„Ich dachte, ihr hättet euch schon getrennt."

Ich nehme einen Kulli in die Hand und drücke die Mine ein paar Mal rein und raus bevor ich ihr antworte. „Ich habe Freitag Schluss gemacht."

„Da muss sie sich ja richtig gefreut haben, wieder zuhause zu sein", sagt Carly ironisch. Es interessiert sie ganz sicher kein bisschen wie es Sarah geht. Die beiden konnten sich von Anfang an nicht so richtig leiden.

„Sie wird schon damit klarkommen." Ich glaube nicht, dass Sarah wirklich verletzt gewesen ist. Ja, wir waren die letzten sieben Monate zusammen, aber es war nicht die große Liebe. Von beiden Seiten. Wir kamen gut miteinander aus, ich mochte sie, aber uns war beiden bewusst, dass wir keine gemeinsame Zukunft haben werden. Sie hat es hingenommen und mir viel Glück mit Emma gewünscht. Schließlich ist sie nicht blöd und konnte sich denken, was los ist als ich Emma in der Bar hinterhergelaufen ist.

„Aber Emma nicht", stellt sie die unveränderliche Tatsache fest. „Hast du mit ihr geredet?"

Ich sehe erneut auf mein Handy, wieder nichts. So langsam beschleicht mich der Verdacht, dass sie sich nicht mehr bei mir melden wird. Vielleicht ist es besser. Ich hätte es von Anfang an sein lassen sollen.

„Ich war Mittwoch bei ihr. Sie meinte, sie braucht Zeit."

„Ah, und da du so ungeduldig bist, läufst du seit Tagen wie ein Aufziehpüppchen durch die Wohnung."

Ich verdrehe die Augen. Warum habe ich nochmal angefangen, ihr zu erzählen was los ist? Ich weiß doch, wie nervig sie sein kann und jetzt wird sie mir ständig damit auf die Nerven gehen.

„Ich glaube, es ist ihr alles zu viel im Moment. Sie sah fertig aus", rede ich trotzdem weiter.

„Ich mag sie." Carly lächelt mich seelig an und bei mir schrillen sofort die Alarmglocken.

„Halt dich bloß..."

„Gott, Leo. Ich stehe doch nicht auf sie", unterbricht Carly mich. „Ich hab eine Freundin."

„Ja, und ne nervige noch dazu." Ich mag Brittany genauso wenig wie Carly Sarah gemocht hatte. Carly verspannt sich sichtlich und schaut runter auf ihre Hände. Ich sollte sowas nicht sagen. Es verletzt sie immer, wenn ich etwas gegen Brittany sage, weil sie wirklich ernsthaft in sie verliebt ist. Warum auch immer... „Tut mir leid", murmele ich deshalb.

Carly zuckt nur mit den Schultern und überspielt ihre Gefühle damit gekonnt. „Ich hab dich so echt noch nie erlebt. Du hast dir nie so viele Gedanken, um ein Mädchen gemacht."

„Ich mache mir keine Gedanken", gifte ich sie an, auch wenn sie natürlich recht hat. Ich möchte, dass sie einfach wieder mit mir redet und gleichzeitig mache ich mir Sorgen. Es geht ihr offensichtlich nicht gut. Sie sah so aus als hätte sie tagelang nicht vernünftig geschlafen.

Carly sagt nichts, sie sieht mich einfach nur mit hochgezogener Augenbraue an. Ich starre zurück. Wir sind beide gleich stur, dieses Spiel könnte Stunden so gehen, deshalb gebe ich nach und schaue wieder auf mein Handy. Immer noch keine Nachricht von Emma, natürlich nicht. „Vielleicht sollte ich nochmal hinfahren."

„Und dann?"

Dann küsse ich sie und lasse dadurch ihr Gedanken vergessen. Ich fahre mit meinen Händen über ihre ganzen Körper. Sie könnte mir nicht widerstehen. Das weiß ich. Ich sehe es daran, wie sie mich beobachtet, wie ihr Puls bei jeder Berührung anfängt zu rasen und ihr Atem stockt. Sie würde nachgeben, aber...

„Scheiß Idee, Leo", beendet Carly mein Kopfkino. Sie kennt mich mittlerweile echt zu gut. „Unternimm was mit ihr. Vielleicht braucht sie Ablenkung und zwar welche die länger als fünf Minuten andauert."

„Fünf Minuten?" Ich grinse sie an. „Jetzt unterschätzt du mich aber."

Angewidert schüttelt Carly sich und wirft mich mit dem Haargummi ab, welches sie immer um ihr Handgelenk gebunden hat. „Bah, Leo. Ich will's gar nicht wissen, ehrlich."

„Sicher? Es würde sicher ein bisschen Schwung in deine Beziehung bringen, wenn ich da mal..." Plötzlich fängt Carly lautstark und vor allem schief an zu singen. Gleichzeitig hält sie sich die Ohren zu und geht ein Stück von mir weg, bis sie merkt, dass ich aufgehört habe zu reden. „Hör auf damit. Du bist mein bester Freund. Selbst wenn ich auf Kerle stehen würde, würde ich niemals..."

„Sag das nicht. Ich kann ziemlich überzeugend sein."

„Vielleicht solltest du mit Emma wegfahren", ändert sie das Thema so abrupt, dass ich anfange zu lachen. Es gibt nichts Besseres als Carly aufzuziehen. Naja, jedenfalls fast.

Ich lasse mich auf den Themenwechsel ein, denn mit Emma wegzufahren ist eigentlich eine ganz gute Idee. Sie könnte aus der hektischen Stadt rauskommen und sich entspannen. Vorausgesetzt sie kommt mit.

Für mich gibt es einen Ort, an dem man immer Ruhe findet. Am Meer. 

Like The Sea (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt