Kapitel 12

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„You are bringing out a different kind of me."

- Shawn Mendes

Der Morgen beginnt genauso wie ich es nach dem letzten Abend verdient habe. Ein lautes Scheppern reißt mich unsanft aus meinem Schlaf und macht mir schnell bewusst, dass ich es mit dem Alkohol wirklich sein lassen sollte. Die ruckartige Bewegung bringt meinen Kopf dermaßen in Schwung, dass sich der Raum wild um mich herumdreht und ich für einen kurzen Moment das Gefühl habe, mich sofort übergeben zu müssen. Aber Fehlalarm... das Gefühl legt sich recht schnell wieder, nachdem ich für einige Sekunden meine Augen geschlossen und tief eingeatmet habe. Nur das unangenehme Dröhnen in meinem Kopf bleibt. Ich starre eine Zeit lang auf die verschlossene Tür als würde sich dahinter meine Rettung aus dieser bescheidenen Situation befinden, bevor ich mir das Zimmer, in dem ich offensichtlich die Nacht verbracht habe, in Augenschein nehme. Es ist ziemlich schlicht eingerichtet. Rechts vom Bett befinden sich ein Kleiderschrank und eine Kommode, links davon steht ein Schreibtisch, auf dem nur ein Ordner liegt. An den Wänden hängen Poster irgendwelcher Gebäude.

Als ich auf den Boden blicke, sehe ich einzelne Kleidungsstücke dort liegen. Ich erstarre und mit einem Mal prasseln alle Erinnerungen der letzten Nacht auf mich ein. Auch wenn mir der übermäßige Alkoholkonsum mehr als bewusst gewesen ist, habe ich den Kern des Problems vollkommen verdrängt. Ich sehe Leos grüne Augen vor mir, schmecke den Tequila und spüre seine Lippen auf meinem ganzen Körper.

Ich hatte Sex mit Leo. An dieser Tatsache gibt es genauso wenig zu ändern wie daran, dass Alkohol und ich keine gute Kombination sind. Was habe ich mir dabei nur gedacht? Es dauert nicht lange bis ich eine Antwort auf diese Frage finde: Nichts. Ich habe mir nichts dabei gedacht, stattdessen habe ich mich von seinen Augen und seinem verschmitzten Lächeln blenden lassen und alles an Vernunft über Bord geworfen. Klasse, Emma. Panisch sehe ich auf die andere Hälfte des Bettes, nur um festzustellen, dass sie leer ist. Na immerhin.

Abrupt stehe ich auf und sammle meine Klamotten vom Boden, in der Hoffnung, dass ich Leo nicht mehr sehe, wenn ich nur möglichst schnell aus seiner Wohnung verschwinde. Nachdem ich mich in Rekordzeit angezogen habe, fahre ich mir mit den Fingern durch meine Haare und wische provisorisch unter meinen Augen entlang, um die wahrscheinlich verwischte Wimperntusche zu entfernen.

Ich atme tief ein, bereit mich Leo zu stellen. Oder auch nicht. Ich hoffe wirklich, er ist duschen oder anderweitig beschäftigt. Das Glück ist jedoch nicht auf meiner Seite. Leider vernehme ich, sobald ich die Tür öffne, ein Geräusch, welches so klingt wie ein Löffel in einer Tasse.

Es ist jedoch nicht Leo, sondern Carly, die am Tresen der Küche sitzt und ihren Kaffee trinkt, während sie mich grinsend ansieht. Ich habe ganz vergessen, dass Leo eine Mitbewohnerin hat und würde am liebsten im Erdboden versinken. Was denkst sie jetzt nur von mir?

"Guten Morgen", grüßt Carly mich. "Kaffee?"

Ich schüttele den Kopf, ich möchte die Gefahr nicht eingehen, Leo doch noch zu treffen, weil ich mit seiner Mitbewohnerin gemütlich einen Kaffee trinke. „Er kommt erstmal nicht wieder", nimmt Carly mir jedoch die Sorge und ich atme erleichtert aus.

Da ich eh noch warten muss bis Jones hier ist, entscheide ich mich doch dazu, mich zu ihr auf einen der Barhocker zu setzen. Währenddessen macht Carly sich an der Kaffeemaschine zu schaffen und kramt eine Tasse aus einem der Schränke.

"Guter Abend?", fragt sie dann und stellt die Tasse auf den Tresen. Sie bleibt gegenüber von mir stehen und mustert mich. Unsicher sehe ich auf den schwarzen Kaffee, ich muss grauenvoll aussehen mit der Schminke von gestern Abend und ungemachten Haaren.

Like The Sea (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt