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Mit den Nerven deutlich am Ende und viel zu aufgewühlt um zu arbeiten, ließ Jungkook sich in seinem kleinen Büro auf den Schreibtischstuhl fallen.
Schwer stieß er die Luft aus seiner Lunge aus, welche gefühlt immer noch nach herbem Aftershave zu duften schien und vergrub für einen Moment das Gesicht in den Handflächen.
Noch nie hatte es ein Mann geschafft, den schlagfertigen Achtzehnjährigen, so schnell aus dem Konzept zu bringen und fieberhaft versuchte er dahinter zu kommen, was genau ihn so schrecklich nervös gemacht hatte. Ob es die Tatsache war, dass er den Job so dringend brauchte oder tatsächlich das autoritäre Auftreten seines neuen Chefs, konnte er kaum sagen. Er wusste aber, dass es keine einfache Arbeit bei dem größten Musiklabel Soeuls werden würde.

Zögerlich sah Jungkook sich in seinen, ab nun, eigenen vier kühlen Bürowänden um. Sein Blick glitt zum Fenster und für einen Moment verlor er sich, in der dichten Wolkendecke, welche sich wie ein dunkler Schleier über die Skyline der Großstadt gelegt hatte.
Die bodentiefen Fenster, waren links und rechts von schweren, hellgrauen Vorhängen aus Samt umrahmt und der edle Marmorboden unter seinen Schuhen hatte den gleichen, langweiligen Grauton, wie auch sonst alles in diesem Zimmer. Einzig eine, nicht mehr ganz so grüne Zimmerpflanze, stand in einer der Ecken, neben dem Kopierer. Mitleidig beäugte Jungkook die trockenen Stellen ihrer großen Blätter und erhob sich. Seine erste Amtshandlung bestand schließlich daraus, sich in der Küche des Bürokomplexes ein Glas Wasser zu ergattern und die Pflanze damit zu füttern.

Nach und nach füllte sich Jungkooks gläserner Schreibtisch mit Arbeitsanweisungen, ausgedruckten Mails und Terminplanern, ehe das Telefon für einen Moment still stand und er Zeit fand, das Bild auszupacken, welches er mitgebracht hatte. Es steckte in einem mintgrünen Rahmen, der mit weißen Schmetterlingen bemalt worden war. Minsa, Jungkooks Schwester hatte den einfachen Holzrahmen damals zu seinem Geburtstag grün angestrichen und die Schmetterlinge darauf gemalt und tatsächlich war sie es, welche ihn vom Bild aus anstrahlte. Das lange, dunkle Haar zu einem unordentlichen Dutt gebunden, saß sie in einem ihrer kitschigen Schlafanzüge auf Jungkooks altem Bett. Das Bild zeigte, wie sie breit grinsend, mit seiner Gitarre in den Händen versuchte, eine Melodie auf den schwingenden Saiten zu spielen.
Jungkook erinnerte sich noch genau daran, wie schief und falsch die Melodie sich angehört hatte. So unharmonisch, dass beide in schallendes Gelächter ausgebrochen waren, als Minsa dann auch noch begann, dazu zu singen.
Ein trauriges Lächeln huschte über sein Gesicht und gedankenverloren griff er zur Kette an seinem Hals, die er stets unter Shirts und Hoodies trug. Ein silberner Violinschlüssel hing an den langen Gliedern und auch den hatte Minsa ihrem Bruder zu einem seiner Geburtstage geschenkt.
Jungkook liebte die Musik und spielte Gitarre und Klavier. Außerdem konnte er außergewöhnlich gut singen und tanzen. Minsa zog ihn immer wieder damit auf, dass er wohl alles zu können schien und dass ihm wohl alles gelingen würde. Doch all das hatte für Jungkook keinen Wert mehr, seit dem seine Schwester so krank geworden war.
Es gab nur noch ihn und sie auf der großen weiten Welt und auf seltsame Art und Weise, fühlte sich Jungkook für Minsa verantwortlich. Obwohl er der Jüngere der beiden war.

Das schrille Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken und atemlos riss er den Hörer zu sich, um weiter seiner Arbeit nach zu gehen.
So vergingen Stunden voller Beschäftigung, in denen er sich immer wieder Gedanken an Minsa hingab, welche viel zu oft von Gedanken an Mister Kim abgelöst wurden.
Nur zu gerne hätte Jungkook gewusst, was sein Chef wohl gerade in seinem Büro machte. Wie er wohl aussah, so konzentriert in seine Arbeit vertieft. Die Stirn ernst in Falten gelegt und mit einem der teuren Kugelschreiber zwischen den schlanken Fingern.
Jungkook stellte sich vor, wie die eleganten Hände des gestandenen Mannes einige Unterlagen durchgingen. Wie die durchschimmernden Venen unter der hellen Haut sich auf seinen Handrücken abzeichneten und er vielleicht immer wieder einen verärgerten, rauen Ton von sich gab, wenn das Telefon ihn von der Arbeit abhielt.

Angestrengt biss der Dunkelhaarige sich auf die Unterlippe, bis er Blut schmeckte und sich leise fluchend über die Tischplatte lehnte, um das Fenster auf zu reißen. Japsend schnappte er nach der frischen Februarluft, doch das kleine Zimmer kühlte so schnell ab, dass er es nach wenigen Minuten wieder schließen musste. Es war bereits weit nach Mittag, als Jungkooks Magen plötzlich ein lautes Knurren von sich hören ließ und abwesend fiel sein Blick auf die Uhr. Überrascht weiteten sich seine Augen und besorgt dachte er darüber nach, ob Mister Kim seine Pause vergessen hatte oder ob er schlicht keine Zeit hatte, um etwas zu essen.
Initiativ beschloss er, seinem Chef etwas zu imponieren indem er, bei einem der Restaurants in der Nähe, etwas Exklusives zum Essen bestellte und wenig später kam das Gericht bereits an.

Vorsichtig platzierte er das Gericht, auf einen der mattschwarzen Büroteller und suchte nachdenklich nach Besteck, als ihm beim Anblick der hübschen, purpurnen Granatapfelkerne im Beilagen Salat, ein Gedanke durch den Kopf schoss.
Schon als Kind hatte er eine Abneigung gegen Granatapfelkerne entwickelt. Ihre kräftige Farbe, assoziierte er stets mit Blut und all die Themen, welche sich mit Krankheiten, Unfällen und Tod auseinander setzten, belasteten ihn oft schwer.
Blut stand hierbei noch für Leben, doch nur zu gut wusste Jungkook, wie vergänglich das Leben war.
Vergänglichkeit.
Das war es, was das geschmacklose Bild in Mister Kims Zimmer ausdrücken sollte. Der, offensichtlich tote Schmetterling auf Mister Kims Bild, stand für vergangene Schönheit. Für den drohenden Verfall, welcher so abrupt einsetzten konnte, wenn die Zeit zu schnell verging. All das wurde einzig durch den Begriff der Vergänglichkeit miteinander in Verbindung gesetzt und schnell kramte Jungkook einen Kugelschreiber aus seiner Hosentasche, ehe er das Wort, ohne Kontext, auf die weiße Servierte neben dem Teller schrieb. Wie konnte ihm der Begriff nicht früher eingefallen sein. Gerade er, wusste wie vergänglich das Leben und die Schönheit waren. Was die Zeit, von der Minsa viel zu wenig hatte, aus ihr machte und wie die Vergänglichkeit, voller Vorfreude grinsend darauf wartete, dass die notwendige Zeit um zu heilen, den Wettlauf mit der Krankheit verlor.

Aufgeregt machte Jungkook sich mit dem Teller in der einen und Besteck in der anderen Hand auf den Weg in das Büro seines Chefs.
Er verharrte einen Moment vor der weißen Tür, als die laute Stimme des Älteren ihn zusammen zucken ließ, obwohl es gar nicht um ihn ging, was hinter der Tür am Telefon besprochen wurde.
„Nein! Nein Sie hören mir jetzt zu. Ich verbiete mir eine derartige Arbeitsmoral in meinem Unternehmen. Wenn Sie der Meinung sind, sich einen solchen Ton mir gegenüber leisten zu können, darf ich Sie freundlich darüber in Kenntnis setzten, dass sie hiermit entlassen sind!"
So still wie möglich betrat Jungkook das Zimmer ohne anzuklopfen um den Älteren nicht zu stören und nur eben den Teller abzustellen, als er ihm beinahe aus der Hand fiel, weil er so harsch von der Seite angefahren wurde.
„Was bewegt dich dazu, nicht anzuklopfen?", zischte Mister Kim genervt und nahm ihm den Teller so schwungvoll aus der Hand, dass einige Granatapfelkerne auf den grauen Marmorboden sprangen. Er trug, anders als noch am Morgen, nur ein weißes Hemd, welches an den Armen locker nach oben gekrempelt worden war. Das Jackett hing währenddessen ordentlich über der Lehne des Schreibtischstuhles. Vermutlich war dem CEO bei seinen hitzigen Debatten und Personalgesprächen zu warm geworden und die Tatsache, dass Jungkook mehr Aufmerksamkeit auf die trainierten Unterarme des Mannes, anstatt auf seinen forschen Tonfall legte, verwirrte ihn doch schon sehr.

Zu fest stellte Mister Kim den Teller auf das Sideboard neben dem Schreibtisch ab, packte Jungkook mit einer schnellen Handbewegung an der Hüfte und drückte ihn ohne Vorwarnung bäuchlings auf die gläserne Glasplatte des Tisches.
Erschrocken und völlig wehrlos keuchte der Jüngere auf, versuchte sich gegen den kräftigen Griff des Mannes über ihm zu wehren und wand sich wimmernd auf der kalten Glasplatte.
„Mister Kim, haben Sie den Verstand verloren? Lassen Sie mich sofort los!", winselte er, während sich Tränen der Scham und des Unverständnisses in seinen Augenwinkeln bildeten.
„Was denkst du eigentlich wer du bist, huh? Kommst hier rein, ohne dass ich es dir erlaubt habe! Das ist respektlos, Jungkook."
Noch etwas fester umschlangen seine schlanken Finger die dünnen Handgelenke des Jungen und drückten sie fest auf seinen Rücken, während der Ältere sich beim Anblick des wohl geformten Hinterns in der schicken, schwarzen Hose auf die Lippe biss.

Seiner Kontrolle beraubt und deutlich empört über die Schamlosigkeit seines Vorgesetzten schluchzte Jungkook leise auf und wimmerte:
„Es tut mir leid, Mister Kim. Es wird nicht mehr vorkommen, aber bitte... bitte lassen Sie mich los. Sie tun mir weh."
Mit einem Ruck ließ er ihn tatsächlich los und atemlos stolperte Jungkook mit angsterfülltem Blick zurück.
„Sie... Sie dürfen das gar nicht. Mich so anzufassen.", keuchte er und taumelte so weit zurück, bis er mit dem Rücken an die geschlossene Tür prallte.
„Du kannst gerne gehen, wenn du mit meinen Führungsmethoden nicht einverstanden bist, Jungkook. Es ist dein erster Tag hier. Ich bin sicher, ich finde schnell Ersatz für dich."
Verzweifelt starrte der Jüngere auf den Boden, die Hände an die Tür in seinem Rücken gelegt und schwer um Fassung ringend.
Dass es absolut verwerflich war, was sein Chef mit ihm gemacht hatte und dass es deutlich über jegliche Grenzen hinausging, ihn so anzufassen, war ihm bewusst. Auch war ihm klar, dass er sich weder erpressen, noch belästigen lassen musste. Doch es gab ein Problem an der ganzen Sache, welches Jungkook das blanke Entsetzen ins Gesicht schrieb und seinen rationalen Verstand beinahe komplett aussetzte. Und dieses Problem, war das Problem zwischen seinen Beinen.
Völlig unbeeindruckt von der Grenzüberschreitung des Chefs, schien das Problem nämlich so gar nichts gegen Mister Kims dominante und körperliche Art und Weise zu haben. Ganz im Gegenteil.
Peinlich berührt schoss Jungkook das Blut ins Gesicht und während er unter Mister Kims wachsamem Blick rot anlief, schien diesem sein Problem nicht entgangen zu sein.
„Interessant.", murmelte er beinahe belustigt und hob die Augenbrauen, während er sich mit verschränkten Armen auf die Kante des Schreibtisches setzte.
Zur zusätzlichen Verschlimmerung der Situation, stahlen sich erneut die muskulösen Unterarme seines Chefs in Jungkooks Bewusstsein und zum ersten Mal, fiel ihm das zarte Silberkettchen auf, welches sein Handgelenk schmückte. Auch entging ihm der durchdringliche Blick, aus den schönen Katzenaugen oder die definierte Brust, welche sich unter dem Hemd abzeichnete, nicht.

„I-ich... N-nein... Ich möchte den Job.", stotterte er und klatschte sich innerlich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Völlig triebgesteuert, schien Jungkook schlicht zu vergessen, wie viel gefährliche Macht, sein Chef bereits jetzt auf ihn ausübte.
„Dann raus aus meinem Büro.", zischte dieser und auf diese Anweisung hin, stolperte Jungkook aus der Tür, bis in die Toiletten, um sich dort in Sicherheit zu bringen.
„Fuck!", fluchte er wütend auf sich selbst und ein kurzer Blick in den Spiegel verriet ihm, wie lächerlich er aussah.
Die Wangen so Purpur Rot, wie die Farbe der Granatapfelkerne auf Mister Kims Marmorboden und die Stirn von einem glänzenden Schweißfilm benetzt. Auch das ganze Ausmaß der ungewollten Erektion in seiner engen Hose, wurde ihm erst in diesem Moment bewusst und die Bestürzung darüber, dass Mister Kim die deutliche Beule gar nicht entgangen sein konnte, trieb ihm beinahe erneut Tränen in die Augen.
Er fühlte sich wie ein absolut pubertärer Volltrottel und am aller schlimmsten, war die Tatsache, dass es ihm gefallen hatte was passiert war. Es hatte ihm gefallen, weil er sich zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wieder gespürt hatte. Weil er das erste Mal etwas wie Adrenalin durch seine Adern hatte schießen spüren und das erste Mal völlig abgelenkt wurde, von den ständigen Sorgen um seine Schwester.
Ein hysterisches Lachen entkam seinen schmalen Lippen und grinsend hielt er sich die Hand vor den Mund, als ein Gefühl einsetzte, von dem er fast vergessen hatte, wie es sich anfühlte. Lebendig zu sein.

BLACK POISON [TaeKook] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt