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Die bebenden Finger bereits an der kühlen Türklinke, drohte Jungkook beinahe den Mut zu verlieren. Was würde ihn hinter der unscheinbar wirkenden Tür erwarten? Wie sollte er den nächtlichen und eigentlich untersagten Besuch rechtfertigen und wie sollte er Taehyung dafür danken, dass er versucht hatte, ihn zu schützen.
Augenblicklich kam Jungkook sich unfassbar dumm bei dem Gedanken vor, dass er wie ein beleidigtes Kind auf die abneigende Reaktion seines Chefs reagiert und beinahe hysterisch davon gelaufen war. Immerhin war es in Südkorea keine Seltenheit, dass Menschen empfindlich auf Krankheitserreger reagierten. Nicht umsonst war es in den Millionen Metropolen üblich, einen Mundschutz zu tragen, um andere, aber auch sich selbst zu schützen.
Tonlos seufzend schüttelte er den Kopf und gab sich einen Ruck. Er musste wissen wie weitreichend die Konsequenzen seines fahrlässigen Handelns waren und sich im Zweifelsfall aufrichtig bei Taehyung entschuldigen.
Unruhig trat er einige, vorsichtige Schritte in den abgedunkelten Raum und rümpfte über den klinischen Geruch die Nase.
Natürlich roch es auch in seinem Zimmer wenig persönlich, doch trotzdem hatte er unterbewusst mit Taehyungs vertrautem Duft gerechnet, als er den Raum betrat.
Vor den transparenten Vorhängen eines großen Fensters, zeichnete sich schemenhaft ein Bett ab, doch links und rechts daneben befanden sich keine Nachttische.
Zwei große Maschinen waren neben einem Tropf aufgebaut worden und gaben ein monotones Piepen von sich. Unzählige Knöpfe befanden sich unter den Displays der Gerätschaften und Jungkook konnte nur ahnen, wie wichtig sie für Taehyungs Lebenserhaltung waren.
Wie angewurzelt stand er mitten im Raum, während sich seine Augen komplett an die Dunkelheit gewöhnten und sein panischer Atem sich etwas beruhigte.
Maschinen waren ein beunruhigendes Zeichen, aber immerhin bedeuteten sie, dass Taehyungs Vitalwerte streng kontrolliert wurden.
Vorsichtig durchquerte er den Raum, trat an das Bett heran und tatsächlich, da lag er. Die Augen geschlossen und das friedliche Gesicht in sanftes Licht der Displays getaucht.
Grünlich benezte es seine Konturen und erzeugte lange Schatten seiner Wimpern auf den blassen Wangen.
Durch das Heben und Senken der weißen Bettdecke, die sorgfältig über Taehyungs starke Brust gelegt worden war, erkannte Jungkook wie er atmete.
Die breiten Schultern lugten über dem Rand der Decke hervor und steckten in einem ganz ähnlichen Krankenhaus Outfit, wie er selbst eines trug. Sofort tat es ihm unheimlich leid den gestandenen Mann vor sich, derart verletzlich zu sehen.
Ein tonloses Keuchen entkam seinen Lippen, als er den Schläuchen der Apparatschaften folgte und feststellte, dass sie nicht nur in Taehyungs Handrücken, sondern auch unter seiner Decke, vermutlich auf Höhe seiner Brust endeten.
„Was ist mit dir passiert?“, flüsterte er, mehr zu sich selbst und schloss für einen Moment, beherrscht die Augen, als die Tränen bereits an seinen Wimpern klebten.
Eigentlich wollte Jungkook nicht weinen. Es kam ihm anmaßend vor. Immerhin war er offensichtlich weniger verletzt als Taehyung, auch wenn er sich von Herzen wünschte, es hätte ihn selbst härter erwischt.
Der starke Wunsch, den Spieß umzudrehen und ausnahmsweise mal auf den Älteren aufzupassen, lastete tonnenschwer auf seiner Brust und langsam, fast wie in Zeitlupe, streckte er die Hand nach der Decke vor sich aus.
Als seine zittrigen Finger gegen den steifen Stoff stießen, biss er sich nervös auf die Lippe und überlegte einen Moment, hin und her gerissen zwischen höflicher Distanz und dem starken Verlangen nach Nähe.
Drauf und dran einfach um zu drehen und zurück in sein eigenes Zimmer zu laufen, entschloss er sich schließlich dagegen und schlug die Decke, so vorsichtig wie möglich zurück, um neben Taehyung darunter zu schlüpfen.
Der Gedanke, er könnte aufwachen und ihn zum Teufel jagen, sowie sein rasendes Herz, wurden je unterbrochen, als Taehyung ein unzufriedenes Brummen von sich hören ließ.
Wie erstarrt hielt Jungkook den Atem an. Die schweißnassen Finger, in den Stoff der Decke gekrallt, beobachtete er, wie sein Chef sich schwerfällig zu ihm drehte. Die Augen hatte er noch immer geschlossen, doch das ernste Runzeln der Stirn war zurück gekehrt und es war unschwer zu erkennen, dass er Schmerzen hatte.
„Jungkook?“, murmelte er verschlafen und seine Stimme hörte sich dabei an, als wäre sie sehr lange nicht benutzt worden.
Panisch kniff der Angesprochene die Augen zusammen. Er bewegte sich nicht in der Hoffnung, gar nicht bemerkt zu werden, doch das beschleunigte Piepen der Gerätschaften und somit Taehyungs schnellerer Herzschlag verrieten, dass es zu spät war.
„Jungkook, was machst du denn hier?“
Wieder drang das heisere Murmeln leise durch den Raum und langsam öffnete er die Augen, nur um direkt Taehyungs verwirrtem Blick zu begegnen.
„Ich…“
Die Worte blieben ihm im Hals stecken und panisch versuchte er dem intensiven Blick zu entfliehen, schaffte dies aber erst, als er sich beide Handflächen auf die Augen presste.
„Ich gehe besser.“, keuchte er in seine verschwitzten Hände und nahm sich vor, nie wieder einen Blick in Taehyungs hübsches Gesicht zu wagen. Zu groß war die Scharm und das schlechte Gewissen, welches ihn langsam, von innen nach außen aufzufressen drohte.
„Jetzt bist du doch schon hier… Jetzt kannst du mir auch Gesellschaft leisten.“
Es waren kühle, schlanke Finger, die sich sanft auf Jungkooks Unterarm legten und vorsichtig eine Hand von seinem Gesicht zogen.
Das war zu viel. Jungkook war auf alles vorbereitet gewesen. Darauf, weiter ignoriert, angeschrien oder sogar beschimpft zu werden, aber die fürsorgliche Geste, überforderte ihn so schlagartig, dass ihm schwindelig wurde.
Lautlos schluchzte er auf und ließ sich von den kühlen Fingern in die Kissen ziehen. Direkt neben Taehyung fand er seinen Platz, auf demselben Kopfkissen und unter derselben Decke.
Er spürte deutlich, wie ihre Hüften sich berührten und als Taehyung den Arm ausstreckte, um ihn vorsichtig um Jungkook zu legen, brach es aus ihm heraus.
„Es tut mir leid! Ich bin so so SO dumm!“
Schluchzend klammerte er sich an das dünne Krankenhaushemd seines Gegenübers, schmiegte das Gesicht an seine Brust und entschuldigte sich immer wieder, während Taehyung ihn ruhig fest hielt.
„Du bist nicht dumm. Ich bin froh, dass du hier bist. Ich war krank vor Sorge.“, flüsterte er tröstend und bettete sein Kinn auf Jungkooks Haar.
„Was?“
Irritiert und mit tränenüberströmtem Gesicht, sah er auf und schüttelte verständnislos den Kopf.
„Du hast mich weggeschickt und ich habe dich in Gefahr gebracht. Ich weiß nicht wie aber… du bist verletzt und…“
„Du bist zusammen gebrochen, Jungkook. Mitten auf der Straße. Ich habe dich nur nach Hause geschickt, weil du so krank gewirkt hast. Ich hatte kein Recht dazu dich so respektlos zu behandeln. Es tat mir leid, also bin ich dir nach gelaufen und habe dich auf der Straße liegen sehen. Wir haben es gerade so vor den Autos von der Straße geschafft… Dann wurden wir ins Krankenhaus gebracht.“
Taehyung unterbrach ihn mit ruhiger Stimme und wollte ihn fester an seine Brust ziehen, bis der Schmerz ihn daran hinderte und er sich leise knurrend zurück in die Kissen sinken ließ.
Mit bebenden Schultern hing Jungkook an Taehyungs Lippen, lauschte jedem Wort und versuchte sein Gedächtnis wach zu rütteln, doch keine der Erinnerungen an den Unfall kam zurück.
Das sein Gegenüber wegen ihm verletzt worden war und ihm tatsächlich das Leben gerettet hatte, ließ sich kaum, bis gar nicht verarbeiten.
„Wie stark bist du verletzt?“, keuchte er und wusste nicht einmal, ob er die Antwort hören wollte.
„Nicht sehr stark. Keine Sorge. Nur ein paar Schnittverletzungen am Bein und geprellte Rippen. Nichts, was sich nicht wider reparieren lässt.“, versuchte der Ältere ihn zu beruhigen und bettete zwei Finger an Jungkooks Kinn. Vorsichtig zwang er ihn den Blick zu heben und dem seinigen somit völlig ausgeliefert zu sein. Doch es war keine Kälte und Strenge, die Jungkook erwartete, sondern etwas völlig anderes.
Trotz der schlechten Lichtverhältnisse im Zimmer erkannt er die Tränen, welche Taehyungs Augen zum Glänzen brachten, auch wenn sie sich nicht von seinen Wimpern lösten.
Es verschlug ihm die Sprache, sein Gegenüber so zu sehen und ehrfürchtig hob er die Hand, um sie mutig auf Taehyungs Wange zu legen.
Sie war warm und er konnte die rauen Stoppeln eines Bart-Ansatzes fühlen, den er durch die Dunkelheit nicht erkennen konnte.
Seinem Chef jemals wieder so nah zu sein, hätte er sich nie zu hoffen gewagt und tatsächlich kam ihm die Situation mehr wie ein Traum, als wie die Realität vor.
„Eigentlich bin ich es, der sich entschuldigen muss.“, gab Taehyung zu verstehen und räusperte sich leise. Es war offensichtlich, wie schwer es ihm fiel, sich zu entschuldigen und Jungkook wusste, dass er sich vermutlich nur äußerst selten dazu hinreißen ließ.
„Jungkook, ich war nie wirklich nett zu dir und ich weiß nicht mal warum.“
Dieses Mal war er es, der den Blick senkte.
„Ich weiß nicht, wieso ich so bin. Ich weiß nicht, warum ich Menschen immer dann von mir stoßen muss, wenn sie mir wichtig werden. Ich habe wirklich keine Ahnung, was falsch in meinem Kopf läuft, aber ich weiß, dass ich mich entschieden habe.“
Langsam schlossen sich seine Augen und zaghaft schmiegte er die Wange in Jungkooks kleine Handfläche.
„Ich kann dir mein Verhalten nicht erklären, aber ich kann es ändern. Ich wollte dir das eigentlich schon gestern sagen, aber du warst so krank und ich mal wieder ein Idiot. Jungkook, ich…“
Wieder brach er ab, schien mit sich zu ringen und räusperte sich unruhig, doch eigentlich brauchte er sich gar nicht weiter zu erklären. Das Piepen der Geräte und somit die Aufzeichnung seines Herzschlages, verrieten seine Gefühle schon, bevor seine Worte es tun konnten.
Zeit sich zu fragen, weshalb ein Herzfrequenzmesser benötigt wurde, wenn lediglich leichte Verletzungen vorlagen, hatte Jungkook nicht. Viel mehr war er damit beschäftigt, nicht jeden Moment den Verstand zu verlieren, als Taehyung erneut das Wort ergriff.
„Ich bin nicht besonders gut in sowas und vermutlich wirst du das jetzt auch nur ein einziges Mal aus meinem Mund hören, also… also hör mir zu.“
Es war ein Schauspiel tiefer Zerrissenheit, welches sich in Taehyungs Gesicht wiederspiegelte. Die Rosa und Orangetöne der aufgehenden Sonne, schlichen durch die transparenten Vorhänge und tauchten den Raum in warmes Dämmerlicht.
„Ich fürchte… also, es könnte sein… Verdammt, Jungkook! Ich empfinde etwas für dich!“

BLACK POISON [TaeKook] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt