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Sowohl der restliche Flug, als auch der Check In im kliniknahen Hotel und die Taxifahrt zum Krankenhaus war von schwerem Schweigen geprägt.
Sehr wohl bemerkte Jungkook das Zittern Taehyungs Finger, als er ihm die schwere Tür des Krankenhauses aufhielt und ihm den Vortritt gewährte. Es wirkte, als fröstelte sein Freund ununterbrochen, obwohl die abendlichen Temperaturen in Japan verhältnismäßig mild waren.
Insgeheim beschlich Jungkook ein schlechtes Gewissen, weil es ihm nicht möglich war den frierenden Mann zu wärmen und weil er sich wie eine Last an dessen breiten Schultern fühlte.
Strahlend schön und stark war Taehyung gewesen, als er zum ersten Mal in Jungkooks kleiner Wohnung aufgetaucht war. Es war kein schöner Besuch gewesen und viel zu unterkühlt hatte Taehyung von oben auf ihn hinab gesehen, doch Jungkook war eben nach diesem verhängnisvollen Besuch klar geworden, wie sehr er sich verliebt hatte.
Sein damaliger Chef hatte ihm mehr als nur sein Herz gestohlen und wie unverschämt stolz er dabei auftrat, hatte Jungkook verblüfft und imponiert gleichermaßen.
Doch jetzt waren die Züge Taehyungs Gesicht geprägt von Sorge, immer wenn sich ihre Blicke zufällig trafen und das kaschierende Lächeln des Älteren half nicht um dies zu verbergen.
Taehyung litt, dass konnte Jungkook sehen und doch war es ihm unmöglich daran etwas zu ändern. Über alle hatte er nur Schlechtes gebracht, davon war er überzeugt. Sein Vater hatte ihm stets gesagt, dass nie etwas aus ihm werden würde und eben in dem Moment, als er Minsas Krankenzimmer betrat, gab er ihm still Recht.
Der Mundschutz kratzte unangenehm in Jungkooks Gesicht und angsterfüllt suchten seine Finger die Hand seines Freundes, als er sich durch das dämmrige Licht des Zimmers zu seiner Schwester tastete.
Im Schein unzähliger Monitore lag sie auf dem Rücken. Die Decke schützte ihren ausgemergelten Körper vor mitleidigen Blicken, doch ihre blassen Hände verrieten, wie dünn sie geworden war.
Es verschlug Jungkook den Atem.
Immer wieder flüsterte er ihren Namen, als seine Finger kraftlos aus Taehyungs Hand glitten und er vor dem Bett auf die Knie sank.
Im Gegensatz zu den Händen seines Freundes waren Minsas Finger eiskalt und nur das monotone Piepen des Vitalparameters gab überhaupt die Sicherheit, dass sie nicht schon längst wo ganz anders war.
Einst hatten sie die schwersten Klavierstücke bezwungen, doch jetzt wagte Jungkook zu bezweifeln, dass sie überhaupt noch in der Lage waren, einen Stift halten zu können.
Das dunkle Haar, was einst kräftig und glänzend Blicke auf sich gezogen hatte, war geschnitten worden und wirkte stumpf und ungewaschen. Die Krankheit hatte Minsa in aller Brutalität gezeichnet und das betretene Schweigen der Ärzte wirkte so, als hätten sie Minsa längst aufgegeben.
Minuten wurden zu Stunden, während Jungkook auf dem harten Linoleumboden kniete und sich nicht einmal animieren ließ, als Taehyung ihm einen Stuhl an das Bett schob.
Alle Mühe gab der Ältere sich, um es Jungkook so angenehm wie möglich zu machen. Was er dabei dachte, hielt er sorgfältig unter Verschluss.
Er würde verhindern, dass Jungkook irgendwann auch an seinem Bett sitzen und bangen würde. Er würde nicht zulassen, dass der talentierte, junge Mann zerbrach, weil er auch ihn auf schmerzlichste Weise verlor.
Taehyung wusste noch nicht wie, als er Jungkook ein Glas Wasser holte, doch er wusste, dass er die Situation ändern würde.
Durch die angelehnte Tür belauschte er unfreiwillig das Gespräch zwischen einem Arzt und dem jungen Mann, wobei letzterer sich nicht wirklich an der Unterhaltung beteiligte. Lediglich erstickte Geräusche gab er zur Antwort, als der Arzt ihm erklärte, dass seine Schwester die Nacht vermutlich nichtmehr überleben würde.
„Es tut mir sehr leid, Mister Jeon. Es ist nicht nur die Niere und Leber, die transplantiert werden müssten, es ist auch das Gehirn, welches befallen wurde. Es war ein langer Wettlauf mit der Zeit, aber letztlich hat Ihre Schwester sich für den Frieden entschieden und das müssen wir akzeptieren.“
Der schmale Streifen Licht, welcher durch die angelehnte Tür zu Taehyung in den Gang fiel, verdunkelte sich einen Moment, als der Arzt sich bereits zum Gehen abwand, doch Jungkook hielt ihn ab.
Mit bebenden Schultern stand er hinter ihm, die Hände zu wütenden Fäusten geballt und die langen Wimpern voll Tränen behangen.
„Sie hat sich für gar nichts entschieden, verdammt. Wie… wie können Sie es wagen sowas einfach zu sagen? Man entscheidet sich doch nicht dafür Krebs zu haben und akzeptieren kann man es auch nicht.“
Mit jedem Wort wurde die Stimme des jungen Mannes lauter, bis er letztlich tränenerstickt in das Gesicht des Arztes brüllte und Taehyung sich gezwungen fühlte, dazwischen zu gehen.
Kurz warf er dem Arzt einen Blick zu, ehe er den Jüngeren in die Arme schloss und ihn fest an seine Brust drückte.
„Nein! Nein er muss das hören. Das geht doch so nicht! Er kann doch nicht einfach behaupten sie hätte sich für Frieden entschieden, wenn sie hier liegt und leidet und niemand was tut.“
Hysterisch kämpfte Jungkook gegen die starke Umarmung an und schlug wild um sich, ehe er mit Taehyung schluchzend auf die Knie ging.
„Sie darf nicht sterben, Tae. Sie hat es einfach nicht verdient.“
Erneut brach Taehyungs Herz im Anblick der abgrundtiefen Verzweiflung und Traurigkeit des jungen Mannes vor sich.
„Ich weiß.“, flüsterte er in Jungkooks dunkelrotes Haar und streichelte ihn sanft am Kopf.
„Ich weiß.“

Es kam Taehyung wie ein makabrer Scherz des Schicksals vor, dass sein Herz drohte zu kollabieren, während Minsas restliche Organe den Kampf längst aufgegeben hatten.
Dass Jungkook umgeben von kranken Menschen war, wirkte wie ein Flucht, der oft von viel zu guten Menschen Besitz ergriff.
Vor kurzem war Taehyung noch davon überzeugt gewesen, dass sein Herzfehler allein der seinige Fluch war und ehrlicherweise musste er zugeben, dass er verstand, warum ausgerechnet ihn ein Schicksal wie dieses ereilen sollte. Immerhin hatte er sich nie als guten Menschen betrachten können. Doch die Wahrheit sah ganz anders aus. Denn den wahren Fluch trug Jungkook auf den schmalen Schultern. Ein Junge, der voller Unschuld in eine graue Welt geworfen wurde, die keinen Platz für ihn und sein großes Herz zu haben schien. Gesegnet mit einer derart reinen Seele, die prinzipiell viel zu gut für all die schlechten Menschen war.
Gedankenverloren öffnete Taehyung das Fenster, als Jungkook zurück zu seinem Platz an Minsas Bett gefunden hatte.
Die weißen Vorhänge der Fenster tanzten gespenstisch im lauen Luftzug. Auch einige Seiten eines Notizbuchs blätterten sie knisternd um und neugierig folgte Taehyung dem Geräusch.
Auf dem Nachttisch lag, neben einem Stift, ein abgegriffenes Tagebuch und die Seite, welche der Wind aufgeschlagen hatte, zeigte die Bleistiftzeichnung eines Schmetterlings.
Sofort fielen Taehyung die Schaukästen in Jungkooks kleiner Wohnung ein. Sie beinhalteten allerleih exotische Schmetterlingspräparate und tatsächlich wurde ihm kurz schwindelig, als sich ihm die Tragweite seiner Entdeckung offenbarte.
Wirklich bewandert in Schmetterlingskunde war er nicht, doch das prägnante Muster der Flügel, die Minsa gezeichnet hatte, kam ihm bekannt vor. Es war eben solch ein Schmetterling, der als Kunstdruck in seinem Büro über dem Schreibtisch thronte.
„Jungkook, was ist das für ein Schmetterling? Du hast einige davon auch in deinen Schaukästen, richtig?“
Nur wiederwillig hob der Angesprochene den Kopf und folgte kraftlos Taehyungs Blick.
„Das ist ein Monarch Falter. Minsa liebt diese Art von Schmetterlingen. Von ihr sind auch die Kästen in meiner Wohnung.“
Vorsichtig, als wäre es das wertvollste was Jungkook je berührt hatte, glitten seine Finger über die Bleilinien, aus denen der Schmetterling bestand.
„Vergänglichkeit.“, flüsterte er nachdenklich und schien sich im selben Moment an eines ihrer ersten Gespräche zu erinnern.
„Der Schmetterling über deinem Schreibtisch, auf dem Bild, er steht für Vergänglichkeit, oder? So ist es doch.“
Hoffnungslos musterten die runden Augen Taehyungs Gesicht, während dieser den Blick nur schweren Herzens aufrechterhalten konnte.
„So sicher bin ich mir da gar nicht mehr.“

Jungkook wagte es nicht eine Seite in Minsas Tagebuch weiter zu blättern. Zu viel Respekt hatte er vor ihren privatesten Gedanken und Mitteilungen.
Auch Taehyung sah nicht nach. Es brannte ihm auf der Seele, als hätte Minsa deutlich etwas zu sagen, was fälschlicherweise ungehört blieb, doch die Angst war zu groß.
Minsa würde später selbst sage können, was sie sagen wollte, dessen war sich Taehyung sicher.
Er hatte ihre Blutgruppe erfahren, als er mit Nachdruck versucht hatte, ein Spenderorgan für sie zu erkaufen, während ihm selbst keines vergönnt gewesen sein sollte.
Anfänglich hatte er an einen Zufall geglaubt, als er erfuhr, dass seine Blutgruppe mit der Minsas übereinstimmt, doch nun fragte er sich, ob es die ganze Zeit einen Plan für sie gegeben hatte, von dem er nichts gewusst hatte.
Wenn er Recht behielt, würde Jungkook in dieser Nacht nur einen seiner liebsten Menschen verlieren, doch wenn er falsch lag, würde er den Morgen ohne einen von ihnen beiden erleben.
Ein Risiko, welches Taehyung eingehen musste, um nicht tatenlos dabei zuzusehen, wie Jungkook zerbrach.
Ein Risiko, welches ihn sein eigenes Leben kosten würde und das Ende ihres unvergesslichen Sommers bedeutete.
Weit weg von zerwühlten Laken, dem Krater eins Meteoriten oder dem Lärm ihrer Stadt.

BLACK POISON [TaeKook] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt