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Als es wenig später an Mister Kims Tür klopfte, ignorierte er es so lange, bis das Klopfen penetrant in seinem Kopf wieder hallte. Völlig entnervt raufte er sich das Haar und rieb sich die Schläfen, bevor er antwortete.

„Komm schon rein."
Unterkühlt warf er seinem Assistenten einen unergründlichen Blick zu, doch als ihm der leuchtende Knutschfleck an seinem Hals ins Auge fiel, senkte er schnell die Augenlider.
Wut und Unbehagen schäumten in seinem Magen und wie er es bereits geahnt hatte, waren die Medikamente gegen seine Kopfschmerzen nicht angeschlagen.
„Guten Morgen, Taehyung.", flötete Jungkook fröhlich, als er die Tür hinter sich schloss und irritiert sah der Geschäftsführer wieder auf.
Hatte er sich verhört?
„Ich wollte mich gerne mit dir unterhalten."
Erst jetzt fiel dem CEO der ordentliche Brief in Jungkooks Händen auf und die Tatsache, dass er nicht mal einen Kaffee dabei hatte, ließ ihn noch stutziger werden.
Argwöhnisch beobachtete Taehyung wie Jungkook einen interessierten Blick auf die, zu Boden gewischten Unterlagen warf und sie mit einem diskreten Schulterzucken liegen ließ.
Da der Geschäftsführer nicht antwortete, setzte sich Jungkook auf den Lederstuhl, ihm gegenüber und sah ihm professionell in die Augen.
Das abgeklärte, selbstbewusste Auftreten des Jungen überraschte Taehyung so sehr, dass er sich kaum regen konnte.
Heftiger Kopfschmerz pochte in seinen Schläfen und immer wieder huschte sein Blick zum frischen Knutschfleck, als ginge eine unüberwindbare Anziehung von ihm aus.

„Was willst du, Jungkook? Ich glaube nicht, dass ich dir angeboten habe, mich nicht mehr bei meinem Nachnamen zu nennen. Das ist äußerst respektlos.", fing er sich schließlich wieder und beugte sich mit gefährlich verengten Augen nach vorne.
„Weshalb sollte ich Respekt vor dir haben, wenn du keinen vor mir hast?", antwortete Jungkook schlagfertig und das selbstgefällige Lächeln auf den schmalen Lippen brachte Taehyung binnen Sekunden zur Weißglut.
Bedrohlich langsam richtete er sich auf und Jungkook musste beim Gedanken, sein Chef könnte gleich wie ein wildes Tief über die Schreibtischplatte springen, fast schmunzeln.
Sein Plan verlief perfekt und als Taehyung ihm einen harschen Vortrag darüber hielt, dass man seinen Chef gefälligst beim Nachnamen anzusprechen hatte, schob dieser nur lächelnd den Brief über die kühle Tischplatte.
„Das ist meine Kündigung, Taehyung. Du bist nicht mehr mein Chef und ich auch nicht mehr dein Assistent. Ich muss gar nichts mehr, verstehst du? Weil du mir Leid tust, arbeite ich noch diese und nächste Woche hier, damit du dir in der Zeit einen neuen Assistenten suchen kannst. Du hast ja schon einige Male betont, wie leicht ich zu ersetzten bin."
Mit diesen Worten strich er sich arrogant das weiße Hemd glatt und deutete beiläufig auf die Unterlagen am Boden.
„Du solltest das aufräumen. Da waren auch einige Bewerbungen für meine Stelle dabei."
Kurz verbeugte er sich aber nicht einmal ansatzweise so tief, wie noch am ersten Tag und ging schließlich mit starkem Schritt aus der Tür.

Völlig fassungslos blickte Taehyung ihm nach und konnte kaum glauben, was gerade passiert war.
Wie gelähmt konnte er sich einige, lange Minuten nicht rühren, ehe er zaghaft die schlanken Finger nach dem Brief ausstreckte.
Noch nie, hatte er beobachtet, dass er zitterte, doch als er mit bebenden Fingern den Brief öffnete, musste er sich eingestehen wie sehr Jungkooks Auftritt ihn aus dem Konzept gebracht hatte.
Tatsächlich war es eine Kündigung, die ihn im weißen Umschlag erwartete und beherrscht legte er die Faust an seine Lippen.
Starrte über eine halbe Stunde auf den Fleck vor der Tür, an dem Jungkook zuletzt gestanden hatte und ließ die Faust schließlich auf die Tischplatte sausen.
Sie gab nicht nach und schmerzerfüllt verzog er das Gesicht. War seine Hand doch ohnehin schon verletzt von den heftigen Schlägen am Vorabend.
Noch nie, hatte Taehyung so viel Wut und gleichzeitig pure Verzweiflung in sich getragen. Schon immer hatte er ein Problem mit Impulsivität und er wurde schnell sehr ausfällig doch stets war es ihm gelungen die absolute Kontrolle über eine Situation zu behalten. Dass ihm die Kontrolle jetzt so entglitt, trieb ihn gefährlich nah an den Rand des Wahnsinns und mit dem nächsten Schwall Wut, zerriss er die Kündigung so energisch, dass nur noch kleine Papierstückchen übrig blieben.
Schwer atmend und völlig neben sich stehend erhob er sich und musste sich kurz an der kahlen Wand abstützen, als der Kopfschmerz ihm in die Stirn schoss.

Ohne jemandem Bescheid zu sagen und ohne Jungkook weitere Arbeitsanweisungen zu geben, verließ Taehyung sein Büro. Er ignorierte die fragenden Blicke seiner Angestellten und musste sich im leeren Fahrstuhl die Handflächen ins Gesicht pressen, um klarer denken zu können.
Sein Weg führte ihn geradewegs zu einem modernen Hochhaus-komplex, ganz in der Nähe, doch für die Sonne, welche sich in all den Glasscheiben spiegelte, hatte er keinen Blick.
Immer schon mal hatte er sich von einem auf den anderen Moment schrecklich betäubt gefühlt. Als hätte man ihm Watte in die Ohren gestopft und seinen Kopf unter Wasser gedrückt.
Desillusioniert fühlte er sich in Momenten wie diesen, doch es war noch nie so heftig gewesen, wie gerade jetzt.
Er spürte seinen Körper kaum, wurde nur vom ständigen Druck der Verzweiflung verfolgt, welcher sich wie ein Stein in seine Brust legte und ihm das Atmen erschwerte.
„Psychotherapeutische Fachpraxis – Doktor Min.", kündigte die automatische Frauenstimme im Fahrstuhl das ausgewählte Stockwerk an und Taehyung konnte der Rezeptionsdame kaum in die Augen blicken, als er die schwere Tür zur Praxis öffnete.
„Mister Kim, Ihr Termin ist erst am nächsten Dienstag.", begrüßte sie ihn verwundert und entnervt nickte er.
„Ich weiß."
Seine Stimme klang seltsam belegt und kaum noch so stark und dominant, wie sonst.
Die Rezeptionistin schien zu verstehen und nachdem sie ihm einen besorgten Blick zugeworfen hatte, stand sie auf.
„Ich sehe mal nach, ob Doktor Min spontan Zeit für Sie hat."
Hastig verließ sie ihren Platz hinter dem Rezeptionspult und verschwand in einem abgrenzenden Behandlungszimmer.
Zuverlässig lächelnd, kam sie keine Minute später, zurück und führte den schweigenden Mann in ein weiteres Behandlungszimmer.
„Doktor Min hat gerade einen Patienten. Wenn Sie sich noch 10 Minuten gedulden könnten, ist er für Sie da."
Aufmunternd sah sie ihm ins Gesicht und bereitete ein Glas Wasser auf einem der Glastischchen vor.
Taehyung nickte nur abwesend und steckte die Hände in seine Hosentaschen. Gedankenverloren starrte er aus dem Fenster, auf die vielen Menschen, welche eilig die Fußgängerampeln passierten und unheimlich wichtigen Termin zu folgen schienen.
Sie liefen blindlings der Zeit hinterher und Taehyung kannte dieses Gefühl nur zu gut. Mit dem Unterschied, dass Zeit eine Konstante war, die ihm etwas völlig anderes bedeutete, als all den Menschen, die anstrebten pünktlich bei einem Termin zu erscheinen.

Nachdenklich wendete er den Blick ab und ließ sich auf der hellen Wildledercouch neben dem Fenster nieder.
Mit überschlagenen Beinen musterte er die kühle und geordnete Einrichtung des Behandlungsraumes und spielte abwesend mit den Blättern einer Zimmerpflanze, direkt neben der Couch.
Eine ganze Weile lauschte er jedem, noch so kleinen Geräusch, bis das Knarzen der, sich öffnenden Tür ihn zusammen zucken ließ.

BLACK POISON [TaeKook] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt