[12]

3.2K 175 86
                                    

Seinen Kopf, träge auf den Handflächen abgestützt, beobachtete Mister Kim die sprudelnde Vitamintablette, welche sich langsam im Wasserglas vor seinen Augen auflöste.
Die kleinen Blässchen stiegen knisternd in der trüben Flüssigkeit auf und der seltsame Wunsch kam ihm, sich ebenfalls einfach auf zu lösen um nichts mehr spüren zu müssen.
Diffuse Kopfschmerzen zerrten deutlich an seinen Nerven und gereizt nahm er einen großen Schluck des Vitamin Cocktails und spülte damit zwei Schmerztabletten hinunter. Er ahnte, dass die Medikamente sowieso nicht helfen würden doch die Hoffnung, einen Tag nicht mit Kopfschmerzen kämpfen zu müssen, überwog.
Der CEO sehnte sich danach, einfach einmal im Bett bleiben zu können. Einen ganzen Tag nur zu schlafen sein millionenschweres Unternehmen, welches so viele Verpflichtungen mit sich brachte, für einen kurzen Moment zu vergessen.
Unmotiviert richtete er sich schließlich auf, nahm sich die Schüssel mit undefinierbarem Frühstück, welches seine Angestellte für ihn vorbereitet hatte und verzog das Gesicht, als er die Speise probierte. Zweifellos handelte es sich um irgendetwas sehr gesundes mit Gemüse und Reis aber ihm war der Appetit schon nach einem Bissen vergangen.
Etwas unschlüssig stand der Mann, nur mit einem seidigen Morgenmantel bekleidet, in seinem offenen Wohn/ Ess- Bereich und wirkte völlig verloren zwischen all den luxuriösen Möbeln und der klinischen Sauberkeit.
Normalerweise machte er am Morgen stets Sport, doch die nächtliche Ohnmacht und seine Verletzungen an Handknöcheln und Hinterkopf zwangen ihn, das Joggen für heute sein zu lassen. Gedankenverloren musterte er seine Hand, welche etwas unbeholfen in einen Verband gewickelt war und ließ den Blick schließlich aus der riesigen Fensterfront schweifen.
Die grauen Wolken über Seouls Skyline wurden von einigen, kräftigen Sonnenstrahlen durchbrochen und als einer davon, direkt in Mister Kims Wohnung schien und sich in den glänzenden Oberflächen spiegelte, kniff er geblendet und schmerzerfüllt die Augen zusammen.
Selbst Licht schien seinem Körper Schmerzen zuzufügen und unfreiwillig fragte er sich, wie lange er den psychischen und physischen Stress und die schmerzende Einsamkeit noch aushalten würde.
Wie lange er dem Druck standhalten würde, ehe er gezwungen wäre sich von ganz alleine aufzulösen, genau wie die Vitamintablette in seinem Wasserglas.

Auch Jungkook plagten Kopfschmerzen an jenem neuen Morgen, doch er machte sich nicht viel daraus.
Wild entschlossen und voller neuem Selbstbewusstsein strich er sich das weiße Hemd glatt, welches vielleicht etwas zu transparent war und schmunzelte seinem Spiegelbild zu.
Tatsächlich war es einer dieser, seltenen Morgen, an denen er sich sogar ansehnlich fand, so wie er war. Die Haare gewohnt ordentlich und nicht mehr so gezwungen auf verwegen gestylt.
Die ganze Nacht hatte er über Mister Kims Besuch nachgedacht und beschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen und er selbst zu bleiben. Er hatte einen Entschluss gefasst und würde diesen auch durchsetzen aber nicht, ohne Mister Kim noch den nötigen Stoß zu versetzen und es ihm ein bisschen heim zu zahlen.
Zuverlässig verließ er das Haus und freute sich über die feinen Sonnenstrahlen, welche seine Nase kitzelten.
Seoul war gewohnt laut und geschäftig wie sonst auch, doch heute störte ihn das kaum.
Mit dem Fahrrad schlängelte er sich durch all die vollen Straßen und genoss den kühlen Fahrtwind im Gesicht.
An jeder Ecke wurden geräuschvoll die Rollläden der Geschäfte aufgeschoben und die frischen Leckereien der Straßenstände dampften und dufteten. Der Geruch von exotischen Gewürzen, frisch aufgetragenen Parfums und dem rauschenden Verkehr, zog durch die Straßen.
Interessiert ließ Jungkook den Blick gleiten, als eine der Ampeln ihn zum Stehen bleiben zwang und eine ganze Masse an Menschen, in ordentlicher Business Kleidung die Straße überquerte.
Die vielen Pumps und Aktenkoffer glänzten in der subtilen Sonne und ungeduldig sahen die Erwachsenen auf ihre teuren Uhren oder sprachen geschäftig in ihre Smartphones.
Die Schulkinder, in ihren sauberen Uniformen, teils mit kleinen Krawatten, teils mit Schleifen im Haar, unterhielten sich angeregt und immer wieder sah er eines der Kinder lachen.
Früher oder später würden die meisten von ihnen genau so enden, wie die ernsten Geschäftsleute auf dem Weg zu ihrer Arbeit und sie würden sich kaum noch an das befreiende Lachen erinnern können.
Nachdenklich beobachtete Jungkook ein kleines Mädchen, schätzungsweise acht Jahre alt dabei, wie sie sehnsüchtig auf einen Straßenstand blickte, der allerlei koreanische Süßigkeiten verkaufte.
Verträumt stand sie in mitten all der Menschen und leckte sich die Lippen bei all den bunten Köstlichkeiten, welche sich in großen Schalten türmten.
Ihre Schuluniform war nicht so ordentlich wie die der anderen Kinder und ihr Haar war eher wirr als streng nach hinten gebunden.
Sie erinnerte Jungkook deutlich an sich selbst und er nahm sich die Zeit, um vom Fahrrad zu steigen und dem Mädchen eine kleine Tüte der Süßigkeiten zu kaufen.
Das intensive Strahlen in den Augen und das offene Kinderlachen, ließ seine Laune fast ins unermessliche steigen.
Immer wieder verbeugte sie sich dankbar und warf ihm einige ehrfürchtige Blicke zu, ehe sie etwas schüchtern davon lief.
Genau diese Gabe, sich über Kleinigkeiten so sehr zu freuen, schien all den Menschen in ihren Anzügen abhandengekommen zu sein.
Jungkook konnte sie nur dafür bemitleiden. Sie hatten verlernt die Magie des Lebens zu sehen und verlernt mit dem Herzen zu fühlen. Mister Kim war ebenfalls einer der Personen, die so schrecklich abgestumpft waren und Jungkook wusste genau, dass er es irgendwann bitter bereuen würde, so mit seinen Mitmenschen umgegangen zu sein.
Eine kleine Hoffnung wohnte ihm inne, sein Chef wäre vielleicht doch irgendwo zu echten Emotionen fähig, doch es sollte nicht seine Aufgabe sein, diese Emotionen aus ihm heraus zu kitzeln.
Er hatte sich darauf besonnen, seiner Schwester die Möglichkeit zu geben, das Leben genießen zu können. Immerhin hatte sie jeder Situation stets etwas Gutes abgewinnen können und war immer wahnsinnig dankbar für das gewesen, was das Leben ihr bot.

BLACK POISON [TaeKook] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt