Pflegefall

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Someone like you - Adele
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Ich hielt auf dem runtergekommenen Parkplatz und stieg aus. Wind schlug mir ins Gesicht und ein salziger Geruch stieg mir in die Nase. Der Geruch vom Meer. Mom stieg ebenfalls aus und sah auf das Wasser.

"Und jetzt?"-sie.

"Am Meer lang gehen. Mit den Hunden"-ich.

"Okay"-sie. Gemeinsam ließen wir die Hunde aus den Boxen. Alle durften ohne Leine laufen und das nutze jeder einzelne Hund auf seine eigene Weise aus. Einige sprangen aufgeregt ins Wasser, andere wälzten sich im Sand und wiederum andere sprinteten über den Strand. Der Rottweiler hatte seine anfänglichen Probleme. Der Rüde war knapp fünf Jahre alt und hatte sein ganzes Leben nur in Zwingern verbracht. Er kannte das Meer nicht und so musste er sich an die Hacken von Blue und Dexter heften, um die Welt erst einmal richtig kennenzulernen. Ich beobachtete die Hunde und hörte Mom zu, wie sie mir alles erzählte. Dinge die ich noch nie gehört hatten, kamen so ans Licht. Ich beobachtete Mom und Blue und musste merken, dass wenn Blue in ihrer Nähe war, sie deutlich einfacher über das reden konnte, was früher mal war. Ich war froh das sie mir den Gefallen erfüllt, denn es muss nicht einfach sein, über sein Leben zu reden obwohl man weiß, das man vielleicht bald nicht mehr leben wird. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie Mom sich wohl in diesem Moment fühlte, ich wusste nur, das ich unendlich traurig war und das Mom sich 1000x schlimmer fühlen musste.

Nach knapp zwei Stunden gehen, saßen Mom und ich mit den Hunden im Sand und sahen in die Herbstsonne.

"Es tut mir leid Yana, das ich es erst jetzt dir sage"-sie und starrte geradeaus.

"Du kannst da nichts für, also entschuldige sich nicht"-ich.

"Was hat es auf sich, das du mich mit diesen ganzen Hunden an den Strand gebracht hast?"-sie.

"Eigentlich nichts. Ich wollte einfach nur die Ruhe für uns alle"-ich.

"Hast du dabei gemerkt, was du ausgelöst hast?"-sie.

"Nein, was meinst du?"-ich.

"Schau dir die Hunde an. Sie liegen entspannt da. Sie sind weder aggressiv noch ängstlich. Sie sind ausgeglichen. Und weißt du woran es lag?"-sie.

Ich schüttelte den Kopf.

"Du hast ihnen ein kleines Stück Freiheit geschenkt. Du hast ihnen ein kleines Stück der weiten Welt gezeigt. Du hast Leben gerettet. Ist dir das bewusst?"-sie.

Wieder schüttelte ich den Kopf.

"Ich weiß nicht wieso, aber dieser Spaziergang mit den Hunden, gab mir Sicherheit und das Gefühl, dass alles gar nicht so schlimm ist wie ich dachte"-Mom.

"Ich glaube du hast gerade die Zukunft dieser Hunde geschaffen"-ich.

"Jetzt versteh ich dich nicht"-sie und sah mich fragend an.

"Überleg mal. Dexter half mir nach dem Tod meines Kindes ins Leben zurück, Blue gibt dir Halt und erleichtert dir das Leben. Die Hunde sind froh, wenn sich Menschen um sie kümmern und sie eine feste Bezugsperson haben. Jeder dieser Hunde kann in Zukunft ein treuer Partner und Therapiehund werden"-ich.

"Du hast Recht"-Mom. Ich lächelte sie glücklich an. Doch dann versteinerte sich meine Miene wieder.

"Wissen die Ärzte wie lange du noch hast?"-ich mit einem zittern in der Stimme.

"Bis mindestens nächstes Jahr. Dann müssen wir gucken was die Chemotherapie sagt"-sie leise. Ich musste hart schlucken. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Nun hieß es kämpfen, für Mom, meine Familie und die Hunde.

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Ich ging einen letzten Kontrollgang an jedem Hundezwinger vorbei.

"Das mit Fay tut mir leid Schatz"-Charlie.

"Es ist jetzt so und wir dürfen nicht drum trauern. Wir müssen kämpfen!"-ich.

"Ich weiß"-er.

Die beiden älteren Hunde lagen bereits gemeinsam in einem Bett und schienen zu schlafen. Genauso wie die Terrier und die Pitbulls. Doch in dem letzten Zwinger war noch Leben. Ich schaute über die Holzwand und sah in die dunkel braunen Augen des Rottweilers. Unruhig sah er mich an und ging auf und ab.

"Kommst du Yana?"-Charlie.

"Warte kurz. Mit dem Hund ist irgendwas"-ich. Charlie kam zu mir und sah den Rüden an.

"Der ist noch aufgeregt von vorhin"-er.

"Fahr du schon mal vor nach Hause. Ich geh jetzt noch nicht. Ich bleib hier bis er ruhig ist."-ich. Mein Freund seufzte.

"Ich lass Dexter hier"-er und gab mir einen Kuss. Kurz darauf hörte man seinen Oldtimer wegfahren. Jetzt war der Rottweiler sehr nervös. Er lief auf und ab und begann zu bellen. Dexter bellte auch. Daraufhin verstummte der Rüde und begann zu knurren, dann zu bellen, dann zu jaulen. Etwas verwirrt machte ich die gesamte Beleuchtung der Halle wieder an und der Rüde verstummte. Machte ich das Hauptlicht aus und die Nachtbeleuchtung an, begann das selbe Spiel von vorne. Irgendein schlimmes und einschneidendes Erlebnis muss der Hund nachts gehabt haben. Ich setzte mich auf das Bett im Zwinger des Rüdens und wollte den Hund streicheln, doch er zuckte zusammen und verkrümmelte sich in die Ecke. Wieder machte ich die Beleuchtung an und untersuchte das Fell nach Auffälligkeiten. Ich entdeckte Narben im Halsbereich und auf dem Rücken. Der Rüde war verängstigt und als im Nebenraum der Welpe den Napf umkippte zitterte der Rüde. Da wo er herkam, wurde er nachts scheinbar geschlagen und getreten. Er muss wohl Jahre lang gelitten haben, sodass er regelrecht traumatisiert war. Eins stand fest. Er hat wohl noch keine einzige Nacht geschlafen. Ich rief Charlie an.

"Na was gib's?"-er.

Ich schilderte Charlie das Problem und meine Vermutungen und somit fuhr ich diese Nacht mit einem Hund und zwei Sorgen mehr nach Hause.

Together, we are strongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt