12. „Ich liebe Geschenke." (Vergangenheit)

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Jaspers POV
♾♾♾
vor 7655 Tagen

„Der Herr will dich sehen."

„Fuck." Hatte er das laut ausgesprochen? Der sauertöpfischen Miene von Abagrion nach zu urteilen wohl schon. Ups.

Ohne ihn eines weiteren Blicks zu würdigen, verschwand Abagrion wieder.

Er nahm schwer an, dass er folgen sollte. Wehmütig ließ er seinen sehnsüchtigen Blick ein letztes Mal durch seine Wohnung schweifen. Liebevoll glitten seine Augen über das Mondrian Sideboard mit den vielen kreuz und quer angelegten Schubladen und seiner schlichten, ruhigen Eleganz in dem Chaos des ungewollt Gewollten. Nur mit Mühe riss er sich von seinem Marc Newson Sofa los - sauunbequem, aber 2,5 Millionen Pfund wert.
Seufzend dematerialisierte er sich. Wenn es gut lief, würde ihn sein Auftrag lediglich weit weg führen. Er war trotz seiner „Lebens"spanne noch nie in Asien gewesen. Das würde ihn reizen. Wenn es schlecht lief ... wenn es schlecht lief, würde er seine hübsche Wohnung nie wieder sehen und irgendein gelangweilter Aktionär würde seine mühselig gesammelten Schätze unter den Hammer bringen.

Mit einem tiefen Seufzer, der selbst Steine dazu gebracht hätte mit ihm zu fühlen, materialisierte er sich nur wenige Augenblicke später wieder vor der Villa des Herrn.

Es war nicht einmal nötig den schweren Türklopfer aus Messing oder die moderne elektrische Klingel zu benutzen, denn im Moment seines Erscheinens öffnete Abagrion ihm die Tür und wies ihn an hineinzugehen. Er selbst blieb draußen.

Ok. Dann eben nur er alleine.
Er hoffte wirklich, dass er mutiger aussah, als er sich fühlte.

Was der Herr wohl wollte? Hatte er einen Menschen umgebracht, der noch eine Aufgabe gehabt hätte?
Längst überlegte er nicht mehr, ob es sich nach all der Zeit wieder um einen Auftrag handeln könnte, einen hübschen kleinen Krieg oder vielleicht eine nette ausufernde Pandemie. Er war schlagartig wieder blutjunge hundert Jahre alt und alle seine Sünden tanzten Cancan vor seinem inneren Auge, verhöhnten ihn, weil er zum Schulleiter ins Büro musste und mit einem hölzernen Lineal was auf die Finger bekommen würde. Nur dass es nicht irgendein angegrauter, mit seinem Leben als Kinderdompteur unzufriedener Schulleiter war, der Befriedigung aus der Bestrafung von Kindern zog, sondern der Herr. Und dass es nicht seine hübschen, nützlichen Finger waren, um die er fürchtete, sondern sein noch hübscherer Kopf.

Er zermarterte sich eben diesen über seine letzten Morde, aber da war niemand Außergewöhnliches dabei gewesen. Hoffte er. Der Herr mochte es garnicht, wenn einer von ihnen da Mist baute.

Das letzte Mal als er sich in der Villa aufgehalten hatte, war garnicht lange her gewesen. Zum Ball der Wintersonnenwende, den Namrael jedes Jahr ausrichtete und zu dem nur die hochrangigsten und verdientesten Dämonen - und die bedeutsamsten bauschigen Blasebengel eingeladen waren. Mühelos fand er daher den Weg zum Arbeitszimmer des Herrn. Abagrion hatte zwar nicht gesagt wohin, aber Jasper war ja ein cleveres Kerlchen. Und er würde Witze reißen, solange es ging. Lieber lachend sterben, als weinend leben oder so.

Vor der Tür zu dem Arbeitszimmer blieb Jasper stehen und holte tief Luft. Hinter dieser Tür könnte ihn alles erwarten. Aufgaben, Strafen, Lob oder Auszeichnungen. Letzteres wäre doch mal nett.

Er war voll konzentriert auf die Tür vor sich und alle seine Schandtaten der letzten achttausend Jahre - plus und Minus einige hundert - so dass er vor Schreck kiekste, als sich die Tür zu seiner Linken öffnete und der Herr persönlich den Kopf herausstreckte.

Hoffentlich hatte er das nicht gehört.

Doch hatte er. Natürlich. Jasper knirschte mit den Zähnen. Zumindest war der Herr so höflich sein Lachen mit spontanem Husten zu tarnen. Als ob Liliths Kinder husten würden. Nun gut, er nahm, was er kriegen konnte.

Guardian DemonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt