22. „Was würde die Queen tun?"

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... oder „eine verdammt lange Zeit um übers Knie gelegt zu werden."
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Er schuldete Frederik eine Kiste von dem ausgezeichneten roten Château Lafite Rothschild, denn seine Fälschungen hatten jeder Prüfung Stand gehalten.
Genervt strich er sich das schwarze Shirt glatt und verließ den Flughafen, allerdings nicht ohne den jungen Beamten, der ihn zur Tür gebracht hatte nochmal böse anzufunkeln. Abgesehen davon, dass sein Flieger sowieso seit mehreren Stunden weg und mittlerweile auch schon in Schweden gelandet und vermutlich wieder auf dem Rückflug war, konnte er allein ja anders reisen.

Angespannt bis zum Äußersten materialisierte er sich am Stockholmer Flughafen. Da er keine Idee hatte, wohin Liv sich gewendet haben würde, hoffte er einfach darauf, dass sie am Flughafen saß und wartete.
Obwohl er spüren konnte, dass es ihr gut ging und sie keine Schmerzen litt, konnte er jedoch auch ihre Unruhe und Nervosität mitempfinden.

„Wo bist du, V?" Suchend joggte er die langen Hallen des Ankunftsbereichs des Flughafens herauf und herab, durchforstete schließlich jedes Restaurant und die unzähligen kleinen Boutiquen, Parfümerien und Buchläden der Abflughalle, doch von Liv war keine Spur zu sehen.

Resigniert stand Jasper schließlich vor dem Flughafen und sah sich suchend nach einem Taxi um, was er umgehend fand und bestieg. Erst als der Fahrer ihn fragend ansah, wurde ihm bewusst, dass er zum einen gar kein Taxi brauchte und zum anderen, dass er keine Ahnung hatte wo er als Nächstes nach Liv suchen sollte.

Frustriert, nervös und immer noch im Unklaren darüber, warum ihn die Bobbys für einen Terroristen gehalten hatten, materialisierte er sich zum Järntorget, einem
belebten Platz, umrahmt von historischen Gebäuden und Heimat der Sundbergs konditori, der ältesten Konditorei Schwedens, die er bei seinem zweiten, längeren Aufenthalt in Stockholm regelmäßig mit Jean Baptiste Bernadotte besucht hatte - natürlich als dieser noch Maréchal d'Empire und noch nicht König von Schweden war.
Jasper seufzte und ging hinein, um hoffentlich bei einem Stück Käsekuchen und einer großen Tasse heißen Kaffees eine Eingebung zu haben.
Während er wartete, dachte er über das letzte Mal nach, als er hier gewesen war.

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1810
Freund Kasper", Jasper zuckte bei der fremden Aussprache seines Namens wie immer zusammen. Diese Franzosen waren wirklich grässliche Snobs und mit soviel Verachtung für andere Sprachen, als die Französische, gesegnet, dass es an ein Wunder grenzte, dass Jean überhaupt mit ihm sprach.
„Was haltet ihr von dem Vorschlag Mörners?"
Unter den wachsamen und sehr aufmerksamen Blicken Bernadottes vermied Jasper triumphierend zu grinsen. Es hatte ihn weit weniger Überzeugungskraft gekostet, als er für möglich gehalten hatte, aber der kinderlose Karl XIII war von Desiree und Jean so angetan gewesen, dass es ein Leichtes war ihn so zu manipulieren, dass er ihn als Thronerben in Betracht zog. Er räusperte sich. „Du bist ein verdienter General und ein überaus kluger Diplomat. Ich bin mir sicher, dass du das Land befrieden und ihm die Stirn wirst bieten können." Ganz offen spielte er hier auf Napoleon und seinen Größenwahn an. Aber abgesehen von Alex - Zar Alexander - gab es noch kein nennenswertes Gegenwicht zu dem kleinen Korsen. Bis jetzt bestenfalls.

Zufrieden lächelnd lehnte er sich zurück, als Jean mit Karl Otto die Möglichkeiten besprach. Der hieraus resultierende Krieg würde episch werden.

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Auch mit Zucker und Koffein im Blut und einem halbwegs vollen Magen, wollte ihm nicht einfallen, was er als Nächstes tun sollte. Wo konnte sie stecken? Wohin würde sie gehen? Er konnte sich keinen Reim auf ihr Verschwinden machen. Er musste denken wie sie - wie in dem Spiel, was sie beide oft spielten: statt ‚Was würde die Queen tun?' hieß es ab jetzt ‚Was würde Liv tun?'
In Gedanken versunken, zahlte er die Rechnung und machte sich auf den Weg.

Ziellos lief er die Straßen entlang, doch konnte er den Anblick der vertrauen, sich im Wasser spiegelnden, bunten Häuser nicht genießen. Seine Sorge wuchs. Zwar war Daniel tot, aber Jasper war sich sicher, dass dieser nicht allein gehandelt hatte. Namrael, Fenix oder eine unbekannte Größe steckten dahinter. Und er hatte immer noch keine Ahnung. Was war er bloß für ein Soldat? Was für ein Beschützer? Jahrtausende lang hätte ihm keiner etwas vorgemacht. Er war ein Meister darin Menschen zu manipulieren, hatte ein untrügliches Gespür dafür, immer dort zu sein, wo Geschichte geschrieben wurde. Und heute? Heute konnte er nichtmal auf ein Mädchen aufpassen. Er war ein Versager, der es nicht verdient hatte zu existieren.

Wie es für ihn typisch war, ging Jasper völlig in seiner Selbstgeißelung und seinem Selbstmitleid auf. Seufzend ließ er sich auf eine der Bänke am Ufer des Mälaren - oder war es schon die Ostsee? - nieder und sah dem alten Mann neben sich dabei zu, wie er Tauben aus einem blaugelben Karton fütterte.
Anscheinend störte seine Anwesenheit den alten Herrn neben ihm, der einen Blick auf Jasper warf, hastig aufstand und ihn schließlich ‚fan' schimpfte. Die Schachtel ließ er einfach stehen. ‚Teufel' klang das eine Wort, was Angst, Beunruhigend was hatte der Mann bloß für eine Geschichte, dass er das wahre Gesicht sehen konnte?

Rastlos griff Jasper nach dem Karton und lächelte angesichts der Aufschrift: „Wasa".

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1522
„Gustav?!" Margerite rief völlig entnervt nach ihrem Bruder. „Ich fahre zurück nach Uppsala, willst du dich denn garnicht verabschieden?"

Der Gerufene stand zusammen mit Jasper auf der Terrasse des Herrenhauses und rauchte genüsslich, während er die Augen verdrehte. „Margerite. Brüll nicht so, das schickt sich nicht."

Augenblicke später schoss seine Schwester um die Ecke und tippte bei jedem Wort mit spitzem Zeigefinger auf die Brust ihres Bruders. „Wir haben nur noch uns. Sei etwas freundlicher zu mir." Jasper sah, wie sich der Schleier der Trauer über die beiden senkte. Sie hatten den Verlust ihres Vaters im Stockholmer Blutbad noch immer nicht überwunden. Er selbst hatte sich hart für die Idee gefeiert Christian von Dänemark dazu zu bringen seine Krönung mit Enthauptungen des Adels und des Klerus zu feiern, aber Gustav hatte ihm doch leid getan, als er den Leichnam seines Vaters vom Boden des Platzes gekratzt hatte. Irgendwie jedenfalls. Aber er hatte so ein Gefühl gehabt...

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Er hatte sich auch damals nicht getäuscht: Gustav hatte Geschichte geschrieben und war als der König von Schweden, dem es gelungenen war das Joch der Dänen abzustreifen, in die Geschichte eingegangen.
Mit einem Lächeln erinnerte er sich an die achtzig Menschen, die während des Blubades ihr Leben gelassen hatten. Sie hatten einander beschützt, wären lieber selbst gestorben, als einander auszuliefern. Und sie alle wurden unter dem Vorwand der Ketzerei umgebracht.

Mit einem Mal verschoben sich die Puzzleteile in seinem Kopf und er sah endlich klar. Das dumme Kind würde sich opfern oder etwas ähnlich Dämliches tun.

Halb laut murmelnd stand er auf und lief in eine Gasse, wo niemandem auffallen würde, wenn er urplötzlich verschwand. „Ich lebe ewig, V. Ewig. Das ist eine verdammt lange Zeit um übers Knie gelegt zu werden."

Guardian DemonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt